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BAG Urteil vom 22.11.2000 - 4 AZR 688/99 (veröffentlicht am 22.11.2000)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifgebundenheit durch rückwirkenden Gewerkschaftsbeitritt

 

Leitsatz (amtlich)

Die Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers gem. § 3 Abs. 1 TVG beginnt erst mit der satzungsgemäß zustande gekommenen Mitgliedschaft in der Gewerkschaft, hier nach der Satzung der IG Metall mit der Annahme der Beitrittserklärung. Die Vereinbarung eines rückwirkenden Beginns der Mitgliedschaft führt nicht zu einem rückwirkenden Beginn der Tarifgebundenheit.

 

Normenkette

TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1; MTV für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie in Südwürttemberg-Hohenzollern vom 8. Mai 1990 § 4 Ziff. 4.4

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.10.1999; Aktenzeichen 10 Sa 8/99)

ArbG Radolfzell (Urteil vom 09.11.1998; Aktenzeichen 3 Ca 153/98)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (Kammern Freiburg) vom 11. Oktober 1999 – 10 Sa 8/99 – aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten insbesondere um die Wirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Kündigung, und zwar vorrangig um die Frage, ob dem Kläger der besondere tarifvertragliche Kündigungsschutz zusteht.

Der am 27. Oktober 1942 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. Juni 1987 auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 22. Mai 1987 als Leiter der Abteilung Europäische Programme (EPO) mit einem außertariflichen Jahresgehalt von zuletzt 184.710,00 DM brutto tätig. Die Beklagte ist Mitglied des Verbandes Metall- und Elektroindustrie e.V. Südwest. Über die beabsichtigte Schließung der Abteilung EPO unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat in einem Gespräch am 26. Februar 1998 und mit dem Schreiben vom 2. März 1998. Mit dem Schreiben vom 20. März 1998 an den Betriebsrat begründete die Beklagte die Entscheidung über die Schließung der Abteilung EPO und die sich daraus ergebenden personellen Konsequenzen und bat ua. um die Zustimmung zur Kündigung des Klägers zum 30. September 1998. Der Betriebsrat sprach mit dem Kläger am 24. März 1998 über die beabsichtigte Kündigung. Der Kläger erhielt auf seine Anforderung hin von dem Betriebsratsvorsitzenden, der zugleich Vertrauensmann der IG Metall war, ein Beitrittsformular für die IG Metall. Der Kläger gab ihm das Beitrittsformular vor dem 27. März 1998 – wie das Arbeitsgericht auf Grund der Beweisaufnahme festgestellt hat – unterschrieben zurück; der Betriebsratsvorsitzende leitete es an die Ortsverwaltung Singen der IG Metall weiter. Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung mit dem Schreiben vom 26. März 1998. Die Beklagte kündigte dem Kläger mit dem Schreiben vom 27. März 1998 zum 30. September 1998. Das Kündigungsschreiben wurde am 27. März 1998 gegen 15.00 Uhr per Boten in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen, der Kläger fand es dort nach Arbeitsende am Nachmittag vor. Der dem Kläger von der IG Metall zugesandte Mitgliedsausweis wies als Ausgabezeitpunkt den Juni 1998 und als Beginn der Mitgliedschaft den Februar 1998 aus.

Mit seiner Klage wehrt sich der Kläger gegen die Kündigung vom 27. März 1998. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß die ordentliche Kündigung bereits deshalb rechtsunwirksam sei, weil sie gegen § 4 Ziff. 4.4 des Manteltarifvertrages für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie in Südwürttemberg-Hohenzollern vom 8. Mai 1990 idF vom 11. Dezember 1996 (MTV), abgeschlossen zwischen der IG Metall und dem Verband der Metall- und Elektroindustrie e.V. Südwest, verstoße. Er sei der IG Metall vor Zugang der Kündigung beigetreten. Die Mitgliedschaft wirke nach der Satzung der IG Metall auf Februar 1998 zurück, da er für diesen Monat den ersten Beitrag entrichtet habe. Im übrigen sei die Kündigung wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats unwirksam. Sein Arbeitsplatz sei auch nicht weggefallen. Folglich stehe ihm auch das Gehalt für Oktober 1998 zu.

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. März 1998 nicht aufgelöst worden ist,
  2. die Beklagte zu verurteilen an den Kläger 12.680,00 DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Meinung vertreten, der besondere Kündigungsschutz nach § 4 Ziff. 4.4 MTV greife mangels beiderseitiger Tarifgebundenheit nicht zugunsten des Klägers ein; der Kläger sei bei dem Zugang der Kündigung noch nicht Mitglied der IG Metall gewesen. Der Arbeitsplatz des Klägers sei ersatzlos weggefallen und die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß erfolgt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf der Grundlage der vom Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt, daß der Aufnahmeantrag des Klägers dem Betriebsratsvorsitzenden und Vertrauensmann der IG Metall vor dem Zugang der Kündigung vom 27. März 1998 beim Kläger zugegangen sei. Es hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.

Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. März 1998 zum 30. September 1998 ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht schon wegen Verstoßes gegen § 4 Ziff. 4.4 MTV unwirksam. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 27. März 1998 war die Mitgliedschaft des Klägers in der IG Metall und damit die Tarifgebundenheit des Klägers als Voraussetzung für die Geltung des MTV noch nicht gegeben. Die Vereinbarung der Rückwirkung der Mitgliedschaft auf die Zeit ab Februar 1998 hat keine Rückwirkung der Tarifgebundenheit auf einen Zeitpunkt vor „tatsächlicher” Aufnahme in die Gewerkschaft zur Folge.

1. Die Regelung über den besonderen Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer in § 4 Ziff. 4.4 MTV lautet:

„Einem Beschäftigten, der das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb mindestens 3 Jahre angehört, kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Dies gilt auch für die Änderungskündigung.”

2. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß auch der Kläger zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung tarifgebunden war. Entscheidend für die Tarifgebundenheit sei der Augenblick des auf Grund der Satzung vollzogenen Beitritts. Die Satzung der IG Metall, die die Mitgliedschaft sogar auf den Zeitpunkt des Monats der ersten Beitrittszahlung zurückwirken lasse, sei dahingehend auszulegen, „daß die tatsächliche Mitgliedschaft zumindest mit der Abgabe der Beitrittserklärung wirken soll”. Dieser Auslegung stehe der Grundsatz des Vertrauensschutzes der anderen Partei nicht entgegen, weil sich mit der Abgabe der Beitrittserklärung für den Außenstehenden ein erkennbarer Geschehensablauf vollziehe, der idR mit dem Eingangsstempel auf der Beitrittserklärung abgeschlossen werde; auf die Benachrichtigung und Kenntnis der anderen Partei des Arbeitsverhältnisses komme es nicht an, weil für die normative Wirkung der Tarifverträge ebenso wie der Gesetze die Kenntnis der Normadressaten nicht erforderlich sei.

3. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Tarifgebundenheit des Klägers wurde jedenfalls noch nicht mit dem Zugang der Beitrittserklärung bei dem Betriebsratsvorsitzenden in seiner Funktion als Vertrauensmann der IG Metall begründet, sondern setzt eine satzungsgemäße Annahme der Beitrittserklärung voraus.

a) Die Mitgliedschaft in der IG Metall richtet sich nach dem allgemeinen Grundsatz, daß die Mitgliedschaft in einem Verein nur einvernehmlich auf Grund übereinstimmender Willenserklärungen zustande kommen kann(BGH 29. Juni 1987 – II ZR 295/86 – BGHZ 101, 193; LAG Hamm 11. Mai 1989 – 17 Sa 1767/88 – LAGE TVG § 4 Abschlußnormen Nr. 1). Die Modalitäten der Begründung der Mitgliedschaft werden durch die jeweilige Satzung geregelt. Davon geht auch das Landesarbeitsgericht aus.

b) Die Regelungen über die Begründung der Mitgliedschaft in der IG Metall lauten:

„§ 3

…

3. Der Beitritt zur IG Metall ist freiwillig.

4. Die Beitrittserklärung hat bei den Vertrauensleuten oder der Verwaltungsstelle zu erfolgen, in deren Wirkungsbereich der Antragsteller bzw. die Antragstellerin wohnt oder arbeitet. Mit der unterschriebenen Beitrittserklärung und der Leistung des ersten Beitrages erkennt das betreffende Mitglied die Satzung der IG Metall als für sich verbindlich an.

Die Mitgliedschaft beginnt mit dem 1. des Monats, für den der erste Beitrag entrichtet wird.

…

5. Das Mitglied übt seine Rechte und Pflichten in der Verwaltungsstelle aus, in deren Wirkungsbereich es arbeitet. Über die Aufnahme entscheidet die Ortsverwaltung dieser Verwaltungsstelle.

…

Die Aufnahme in die IG Metall kann durch Beschluß der zuständigen Ortsverwaltung verweigert oder innerhalb von drei Monaten rückgängig gemacht werden, wenn dies im Interesse der IG Metall notwendig erscheint.

Nicht aufgenommen werden dürfen:

Personen, die durch ihr Verhalten Maßnahmen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterstützt haben, sowie Personen, die Mitglied einer gegnerischen Organisation sind, und Personen, die Vereinigungen angehören oder unterstützen, deren Handlungen und Aktionen gewerkschaftsfeindlich sind.

Gegen die Entscheidung der Ortsverwaltung kann beim Vorstand Einspruch erhoben werden. Dieser entscheidet endgültig.

6. Aus der IG Metall oder einer anderen Gewerkschaft ausgeschlossene oder in Verbindung mit einem Untersuchungsverfahren ausgetretene Mitglieder können nur auf besonderen Antrag und nur durch den Vorstand wieder aufgenommen werden. Der Antrag ist bei der zuständigen Ortsverwaltung einzureichen.

7. Die Aufnahme ausgetretener oder wegen Beitragsrückstandes gestrichener Mitglieder kann durch die Ortsverwaltung erfolgen.”

c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ergibt sich aus den Satzungsbestimmungen der IG Metall nicht, „daß die tatsächliche Mitgliedschaft zumindest mit der Abgabe der Beitrittserklärung wirken soll”. Vielmehr setzt die Mitgliedschaft in der IG Metall die Annahme der Beitrittserklärung voraus.

aa) § 3 Ziff. 4 Abs. 1 Satz 1 der Satzung bestimmt, daß die Beitrittserklärung bei den Vertrauensleuten oder der Verwaltungsstelle zu erfolgen hat. Nach § 3 Ziff. 5 Abs. 1 Satz 2 entscheidet die Ortsverwaltung der zuständigen Verwaltungsstelle über die Aufnahme. Nach § 3 Ziff. 5 Abs. 3 Halbs. 1 kann die Aufnahme durch Beschluß der zuständigen Ortsverwaltung verweigert oder innerhalb von drei Monaten rückgängig gemacht werden. Aus diesen Regelungen über die Begründung der Mitgliedschaft ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß die Mitgliedschaft bereits durch den Zugang der Beitrittserklärung begründet werden soll. Der Wortlaut der Satzung ist insoweit eindeutig, weil er von der Entscheidung der Verwaltungsstelle über die Aufnahme spricht. Auch die weiteren Regelungen über die Mitgliedschaft sprechen dagegen, daß die Mitgliedschaft in der IG Metall allein durch die einseitige Beitrittserklärung begründet werden kann, insbesondere die Regelung in § 3 Ziff. 5 Abs. 4 über die Gründe, die der Aufnahme zwingend entgegenstehen, und die Regelungen über die Aufnahme bestimmter Personengruppen in § 3 Ziff. 6 und 7.

bb) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann aus § 3 Ziff. 4 Abs. 2 der Satzung, wonach die Mitgliedschaft mit dem 1. des Monats beginnt, für den der erste Beitrag entrichtet wird, nicht abgeleitet werden, daß „die tatsächliche Mitgliedschaft” schon „mit der Abgabe der Beitrittserklärung eintreten soll”. Die Regelung in § 3 Ziff. 4 Abs. 2 der Satzung setzt die Einigung über die Mitgliedschaft voraus und macht den Beginn der Mitgliedschaft zusätzlich von der Zahlung des ersten Beitrages abhängig. Die Mitgliedschaftsrechte sollen erst entstehen, wenn das Mitglied seinen Beitragszahlungsverpflichtungen erstmals nachgekommen ist. Das ändert nichts daran, daß es zur Begründung der Mitgliedschaft der Annahme der Beitrittserklärung bedarf.

cc) Auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes, auf den das Landesarbeitsgericht zur Begründung seiner Auffassung mit dem Hinweis darauf abgestellt hat, daß sich mit der Abgabe der Beitrittserklärung bei dem Vertrauensmann ein für einen Außenstehenden erkennbarer Geschehensablauf vollziehe, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Auch der an sich zutreffende Gesichtspunkt, daß der Beginn der Tarifgebundenheit nicht die Benachrichtigung oder Kenntnis der anderen Partei voraussetze, trägt zur Begründung der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nichts bei. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es nicht, die satzungsmäßig bestimmten Voraussetzungen für das Zustandekommen der Mitgliedschaft zu ignorieren, nämlich die Annahme der Beitrittserklärung, über die nach § 3 Ziff. 5 Abs. 1 Satz 2 der Satzung die Ortsverwaltung der für das zukünftige Mitglied zuständigen Verwaltungsstelle entscheidet.

d) Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 27. März 1997 lag mangels Mitgliedschaft in der IG Metall noch keine Tarifgebundenheit des Klägers vor, auf Grund der ihm der Kündigungsschutz gem. § 4 Ziff. 4.4 MTV zustehen konnte. Denn nach den insoweit für die Revisionsinstanz nach § 561 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist die Beitrittserklärung dem Betriebsratsvorsitzenden in seiner Funktion als Vertrauensmann der IG Metall zwar vor dem 27. März 1998 zugegangen. Der insoweit darlegungspflichtige Kläger hat aber nicht behauptet, daß seine Beitrittserklärung auch vor dem 27. März 1998 an die zuständige Ortsverwaltung weitergeleitet und dort angenommen worden sei. Der Mitgliedsausweis des Klägers ist vielmehr erst im Juni 1998 ausgestellt worden.

4. Der Kläger kann sich zur Begründung seines besonderen tariflichen Kündigungsschutzes auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß seine Mitgliedschaft in der IG Metall rückwirkend ab Februar 1998 begründet worden sei.

a) Dabei kann zugunsten des Klägers davon ausgegangen werden, daß die Rückwirkung des Beginns der Mitgliedschaft des Klägers in der IG Metall ihr gegenüber wirksam ist. Der Mitgliedsausweis weist als Beginn der Mitgliedschaft den Februar 1998 aus. Die Satzung der IG Metall schließt die Vereinbarung des rückwirkenden Beginns der Mitgliedschaft nicht ausdrücklich aus. Somit konnte der rückwirkende Beginn der Mitgliedschaft des Klägers in der IG Metall ab Februar 1998 durch eine entsprechende Vereinbarung zwischen dem Kläger und der IG Metall und die Zahlung des ersten Beitrags für Februar 1998 wirksam begründet werden.

b) Der rückwirkende Beginn der Mitgliedschaft des Klägers in der IG Metall ab Februar 1998 kann aber nicht rückwirkend ab Februar 1998 die Tarifgebundenheit des Klägers begründen. Eine im Innenverhältnis wirksame Rückwirkung des Beginns der Mitgliedschaft in der Koalition ist für den Beginn der Tarifgebundenheit gem. § 3 Abs. 1 TVG rechtlich ohne Bedeutung, weil es insoweit auf den „tatsächlichen Beitritt” ankommt(BAG 20. Dezember 1988 – 1 ABR 57/87 – AP BetrVG 1972 § 87 Auszahlung Nr. 9; zustimmend ua. Wiedemann/Oetker TVG 6. Aufl. § 3 Rn. 32; Löwisch/Rieble TVG § 3 Rn. 25; Schaub Arbeitsrechts-Handbuch 9. Aufl. § 206 II 2 Rn. 7 S 2021). Diese Einschränkung der Wirkungen einer rückwirkenden Begründung der Mitgliedschaft im Hinblick auf die Tarifgebundenheit rechtfertigt sich nicht nur aus dem Vertrauensschutz des Vertragspartners, sondern vorrangig daraus, daß die gesetzlich geregelten Folgen der mitgliedschaftlich begründeten Tarifgebundenheit nicht einseitig modifiziert werden können. Nach § 3 Abs. 1 TVG ist die Tarifgebundenheit von der Mitgliedschaft in den Tarifvertragsparteien abhängig und führt gem. § 4 Abs. 1 TVG dazu, daß die Rechtsnormen des Tarifvertrages unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen gelten. Diese gesetzlich begründete normative Wirkung steht nicht zur Disposition einer rückwirkenden Vereinbarung über den Beginn der Mitgliedschaft zwischen einer Tarifvertragspartei und deren Mitgliedern.

c) Der „tatsächliche Be itritt” im Sinne dieses Grundsatzes ist erst gegeben, wenn ausgehend von den einschlägigen Satzungsbestimmungen die Mitgliedschaft vertragsrechtlich zustande gekommen ist. Es kommt insoweit also entscheidend auf den Zeitpunkt des Zustandekommens der Mitgliedschaft an. Dieses Zustandekommen kann zB durch eine aufschiebende Bedingung oder eine Festlegung eines zukünftigen Zeitpunkts in die Zukunft verlegt werden. Es kann aber nicht durch die Vereinbarung einer rückwirkenden Mitgliedschaft zurückverlegt werden. Denn auch dann ist die Mitgliedschaft erst durch die Einigung zwischen Gewerkschaft und Mitglied zustande gekommen; allein die Wirkungen dieser Einigung sind durch die Vereinbarung eines früheren Beginns der Mitgliedschaft modifiziert worden.

II. Die Kündigung vom 27. März 1998 ist somit nicht bereits wegen Verstoßes gegen § 4 Ziff. 4.4 MTV unwirksam. Dies hat die Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts (§ 564 Abs. 1 ZPO) und die Zurückverweisung des Rechtsstreits zur Folge (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Landesarbeitsgericht wird zu klären haben, ob die Kündigung aus den anderen vom Kläger behaupteten Gründen unwirksam ist.

 

Unterschriften

Schliemann, Bott, Wolter, E. Wehner, Weßelkock

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 22.11.2000 durch Freitag, Urkundsbeantin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 614726

BB 2001, 1640

DB 2000, 2433

DB 2001, 1622

NWB 2000, 4734

ARST 2002, 16

FA 2001, 30

FA 2001, 319

NZA 2001, 980

SAE 2001, 284

ZTR 2001, 410

AP, 0

AuA 2001, 38

AuS 2000, 57

b&b 2001, 187

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