Dipl.-Psych. Julia Scharnhorst
Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen ist nach dem Arbeitsschutzgesetz verpflichtend und bildet die Grundlage, um Stressbelastungen an ihrer Ursache angehen zu können. Zusätzlich ist es aber durchaus sinnvoll, Mitarbeitende zu befähigen, mit Stressphasen besser umzugehen. Eine verbesserte Stresskompetenz der Mitarbeitenden kann helfen, Fehlbelastungen und Überbeanspruchungen zu vermeiden. Deshalb sollten Angebote zum Stressmanagement für Mitarbeitende und Führungskräfte ein grundlegender Bestandteil der Verhaltensprävention im Unternehmen sein und dauerhaft der gesamten Belegschaft zur Verfügung stehen.
Es gibt verschiedene psychologische Stressmodelle, die beschreiben, welche Faktoren bei der Entstehung von Stress beteiligt sind, und so Ansatzpunkte für Gegenmaßnahmen liefern. Aus einem relativ einfachen Stressmodell ergeben sich bereits mögliche Maßnahmen.
Abb. 1: Vereinfachtes Stressmodell
Grundsätzlich ergeben sich 4 verschiedene Ansatzpunkte für Maßnahmen:
- Stressoren: stressauslösenden Faktoren,
- Ressourcen: individuelle Möglichkeiten zur Bewältigung und zum Ausgleich von Stress,
- Die subjektive Bewertung von Stressoren und eigenen Bewältigungsmöglichkeiten,
- Die körperlichen oder psychischen Stressfolgen.
Geeignet für die Verhaltensprävention – also Maßnahmen, die die Mitarbeitenden für sich selbst durchführen können – sind die letzten 3 Punkte. Mitarbeitende haben oft nur begrenzten Handlungsspielraum, wenn es um die Veränderung der Arbeitsbedingungen geht.
Coaching
Stressmanagement wird Beschäftigten üblicherweise als Seminar in Form einer internen oder externen Fortbildung angeboten. In dieser Form können allerdings nur allgemeingültige Techniken und Methoden vermittelt werden. Eine Verhaltensänderung, angepasst an den individuellen Arbeitsplatz, lässt sich gut über ein individuelles oder ein Team-Coaching vermitteln. Dieses sollte bestenfalls direkt am Arbeitsplatz stattfinden.
Die Stärkung individueller Ressourcen zur Bewältigung von Stress könnte z. B. eine bewusste Gestaltung und Vorbereitung des Arbeitstags, der Umgang mit Unterbrechungen und Ablenkungen, das Nein-Sagen bei aktueller Auslastung und der Aufbau eines guten und unterstützenden Verhältnisses zu Team-Kollegen sowie Vorgesetzten sein. Inhalt von Stressmanagement-Maßnahmen kann auch die Reflexion darüber sein, ob das eigene Aufgabengebiet und der Tätigkeitsbereich noch den eigenen Qualifikationen und Interessen entsprechen.
Ein oft unterschätzter Ansatzpunkt ergibt sich aus der persönlichen Bewertung sowohl der Stressoren, als auch der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten. Die eigene Einstellung zur Arbeit allgemein und zur aktuellen Aufgabe im Besonderen entscheidet darüber, ob die Aufgabe als Stressbelastung oder als Herausforderung angesehen wird. Wer eine neue Aufgabe als zwar schwierig und anspruchsvoll ansieht, aber daran glaubt, sie letztendlich bewältigen zu können, wird keinen schädlichen Stress erleben, sondern Motivation empfinden. Wenn jedoch die innere Einstellung besteht, generell überlastet und ausgenutzt zu sein, erscheinen selbst bewältigbare Anforderungen als Überforderung und führen zu Stress.
Die individuelle Bewertung bezieht sich aber nicht nur auf die Anforderungen und Belastungen, sondern auch auf die Ressourcen. Viele Mitarbeitende nehmen ihre Ressourcen und die positiven Seiten ihrer Arbeit gar nicht mehr wahr, sondern setzen ein gutes Gehalt, geregelte Arbeitszeiten, ein nettes Team und hilfreiche Vorgesetzte als selbstverständlich voraus. Zur Stressbewältigung gehört auch die Achtsamkeit um sich dieser Kraftquellen bewusst zu werden und daran zu arbeiten, sie zu erhalten und möglichst auszubauen.
Maßnahmen zur Stressbewältigung befassen sich erst zuletzt damit, wie sich mögliche kurz- und langfristige Stressfolgen bewältigen lassen. Zur Verringerung kurzfristiger Stressfolgen gehören z. B. das Erlernen von Techniken zur Regulierung intensiver Emotionen wie Frustration, Ärger und Wut, das Einhalten und sinnvolle Gestalten von Pausen sowie das Erlernen kurzer Entspannungs- und Lockerungsübungen.
Zur Verringerung langfristiger Stressfolgen gehören vor allem Aktivitäten, die im privaten Bereich der Beschäftigten angesiedelt sind, wie z. B. ein Abbauen von körperlichen Anspannungen durch Bewegung und Sport, das Erlernen eines Entspannungsverfahrens zum besseren Abschalten, die aktive und sinnvolle Gestaltung der Freizeit durch Hobbys, der Aufbau eines unterstützenden sozialen Netzwerks und der Umgang mit privaten Verpflichtungen und Anforderungen.
Stressbewältigungs-Seminare
Stressbewältigungs-Seminare sollten sich nicht allein auf die Vermittlung eines Entspannungsverfahrens beschränken. Entspannungsmethoden sind zwar ein sinnvolles Instrument zur Verhinderung von Stressfolgen, reichen alleine aber nicht aus. Sowohl Betriebe, als auch die Seminarteilnehmende gehen oft davon aus, über die individuelle Entspannungsfähigkeit bereits alle Möglichkeiten der Stressbewältigung ausgeschöpft zu haben...