Tz. 183
Stand: EL 28 – ET: 03/2016
Der im Juli 2009 veröffentlichte IFRS für KMU stand am Ende eines fünfjährigen Standardsetzungsprozesses. Im Ergebnis hat dieser lange Weg zu einem attraktiven Standard für KMU geführt. Dies ist nicht zuletzt auf die intensive Meinungsbildung durch Standardsetzer, Verbände und Unternehmen im Rahmen des Due Process zurückzuführen. Der zunächst veröffentlichte Standardentwurf stieß insbesondere in Europa auf große Kritik, da er aufgrund einer Vielzahl von Querverweisen eng an die herkömmlichen IFRS angebunden war und keine wesentlichen Erleichterungen für KMU aufwies. Diese Kritik wurde in den Stellungnahmen an den IASB adressiert. In einer unerwarteten Kehrtwende hat sich der IASB von seiner ursprünglichen Sichtweise, es könne nur einen "true and fair view" und somit konzeptionell keine unterschiedlichen Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden geben, gelöst und wesentliche Erleichterungen vorgenommen. Damit hat sich der IASB in seinen Überlegungen am Ende nicht mehr nur von konzeptionellen Erwägungen leiten lassen. Vielmehr hat er letztlich das Verhältnis von Kosten für die Unternehmen und Nutzen für die Abschlussadressaten von KMU-Abschlüssen in den Vordergrund gestellt. Die Einführung der planmäßigen Abschreibung des Geschäfts- oder Firmenwerts ist hierfür das beste Beispiel.
Die im Standardentwurf enthaltenen Querverweise auf die herkömmlichen IFRS wurden – mit Ausnahme des Wahlrechts zur Anwendung des IAS 39 – vollständig eliminiert. Dies war von vielen Seiten gefordert worden. Damit stellt der Standard ein eigenständiges, in sich geschlossenes Regelwerk dar. Auch die Wahlrechte hat der IASB sehr stark eingeschränkt und damit die Komplexität des Standards deutlich verringert. Durch die Einführung der Impraktikabilitätsklausel sowie der Ausnahme aufgrund von undue cost and effort können KMU von der Anwendung bestimmter Regelungen ausgenommen sein, sofern diese nicht oder nur mit erhöhtem Aufwand anwendbar sind. Diese Befreiungsklauseln sind zwar mit einem hohen Grad an Ermessen verbunden, führen aber dazu, dass insbesondere kleine Unternehmen von komplexeren Regelungen ausgenommen werden.
Ein verpflichtender Rückgriff auf die herkömmlichen IFRS ist nicht vorgesehen. Er wird jedoch über die Regelungshierarchie des IFRS für KMU 10.6 ermöglicht. Dies eröffnet den Anwendern die Möglichkeit, unkompliziert Lösungen für komplexere Sachverhalte zu finden. Gleichwohl besteht jedoch auch die Möglichkeit, die Regelungen eigenständig zu interpretieren und auf die dafür vorgesehenen pervasive principles zurückzugreifen. Zudem werden Anwenderfragen von der SMEIG aufgegriffen und in Form von Q&As adressiert. Insgesamt besteht in Bezug auf den IFRS für KMU ein wesentlich größerer, vom IASB intendierter interpretatorischer Spielraum als für die herkömmlichen IFRS. Dieser Spielraum kann durch die nationalen Gesetzgeber oder Standardsetzer ausgefüllt werden. Im Rahmen der Änderungen 2015 wurden überwiegend Klarstellungen vorgenommen und Inkonsistenzen beseitigt. Daneben wurden die Regeln zu Ertragsteuern aus IAS 12 übernommen, was zu begrüßen ist.
Eine Hauptzielgruppe des Standards sind grenzübergreifend tätige nicht-kapitalmarktorientierte Konzerne, die bislang zwangsläufig ihre nationalen Rechnungslegungsvorschriften weltweit angewandt haben, sofern es solche gab. Damit ist der potenzielle Anwenderkreis des IFRS für KMU weltweit erheblich größer als jener der herkömmlichen IFRS. Der IFRS für KMU kann für diese Unternehmen zu wesentlichen Erleichterungen und Einsparungen im Bereich der Konzernrechnungslegung führen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der nationale Gesetzgeber des Abschluss erstellenden Unternehmen, den IFRS für KMU für eine freiwillige oder verpflichtende Anwendung anerkannt hat.
Südafrika hat den Standard bereits kurz nach seiner Veröffentlichung zur Anwendung übernommen. Einer empirischen Studie zufolge haben mittlerweile (Stand: 2015) von 138 untersuchten Ländern 40 Länder den IFRS für KMU in nationales Recht übernommen und weitere 28 Länder planen oder diskutieren eine zukünftige Übernahme. Dabei haben lediglich 12 der 40 Länder den IFRS für KMU verpflichtend eingeführt. Vor allem in Ländern Mittel- und Südamerikas sowie in Afrika ist der IFRS für KMU derzeit am meisten verbreitet (Stand: 2015). Darüber hinaus planen zahlreiche asiatische Länder, den IFRS für KMU zur Verfügung zu stellen. Die Europäische Kommission hat die Anwendbarkeit des IFRS für KMU innerhalb der Europäischen Union bisher abgelehnt. Während die angelsächsischen und skandinavischen Länder einer Einführung des IFRS für KMU überwiegend positiv gegenüberstehen, wird der Standard insbesondere aus deutscher Sicht nach wie vor kritisch gesehen (vgl. Kajüter et al., IRZ 2015, S. 15). Die weltweite Akzeptanz des Standards zeigt jedoch, dass der IFRS für KMU sechs Jahre nach seiner Veröffentlichung eine attraktive Alternative für international tätige, nicht-kapitalmarktorientierte Unternehmen darstellt.