Zusammenfassung
A. Grundsätzliches
I. Zu § 129 AO
Rz. 1
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Schreib- und Rechenfehler sowie ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines > Verwaltungsakt unterlaufen sind, kann die FinBeh grundsätzlich jederzeit berichtigen (§ 129 AO; > Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten Rz 3). Zur Begrenzung durch Verjährungsfristen > Rz 7. § 129 AO ist auf das in § 90 Abs 1 bis 3 EStG beschriebene Verfahren der maschinellen Gewährung und Rückforderung von Altersvorsorgezulagen (> Private Altersvorsorge Rz 84 ff) nicht anwendbar, weil es sich dabei nicht um einen VA handelt (BFH/NV 2021, 290). Schreibfehler sind insbesondere Rechtschreibfehler, Wortverwechselungen, Wortauslassungen oder fehlerhafte Übertragungen. Rechenfehler sind vor allem Fehler bei der Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division sowie bei der Prozentrechnung (vgl BT-Drs 18/7457, S 87). Die Berichtigung liegt grundsätzlich im > Ermessen des FA; die Begründung der Ermessensausübung ist nur dann entbehrlich, wenn eine andere Entscheidung rechtsfehlerhaft wäre (BFH/NV 1993, 637). Fehler zu Lasten des Stpfl sind zu berichtigen (§ 129 Satz 2 AO). Zur Berichtigung von Schreibfehlern usw in Urteilen enthält § 107 FGO eine gleichartige Regelung. Die objektive Beweislast für das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit trägt derjenige, der sich darauf beruft; ein > Anscheinsbeweis genügt (BFH/NV 2009, 1394).
Rz. 2
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Den Schreib- und Rechenfehlern ähnliche Unrichtigkeiten sind "mechanische Fehler", die ebenso "mechanisch", dh ohne weitere Prüfung erkannt werden können (BFH 141, 485 = BStBl 1984 II, 785 mwN). Dabei kann es sich um Fehler bei der Eingabe von Zahlen bei der Verarbeitung elektronisch übermittelter Daten, um das Übersehen einer eindeutigen Kontrollmitteilung (BFH 146, 350 = BStBl 1986 II, 541) oder die unterlassene Übernahme eines Verlustes aus einer dem FA vorliegenden Verlustbescheinigung (EFG 2020, 569 = DStRE 2020, 1100) handeln. Eine offenbare Unrichtigkeit ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein automatisierter Prüfhinweis unbeachtet blieb (BFH/NV 2015, 1078). Bei der fehlerhaften manuellen Eingabe einer Kennziffer kann es sich um eine offenbare Unrichtigkeit, aber auch um einen Rechtsirrtum handeln (EFG 2017, 360). Eine offenbare Unrichtigkeit ist gegeben, wenn sich aus den Erläuterungen zum Bescheid sowie auch aus den Akten des FA ergibt, dass von den Angaben in der > Steuererklärung abgewichen werden sollte, diese Abweichung jedoch bei der elektronischen Übernahme unterblieben ist (EFG 2020, 332 = DStRE 2020, 816).
Zu weiteren Beispielen > Rz 10 ff.
Rz. 3
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Keine ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten sind Fehler in der Würdigung von Tatsachen, Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht gegebenen Sachverhalts oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung oder Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen (BFH 146, 350 = BStBl 1986 II, 541 mwN; BFH 250, 332 = BStBl 2015 II, 1040). Besteht auch nur die Möglichkeit eines solchen Fehlers, ist § 129 AO nicht anwendbar (BFH 142, 202 = BStBl 1985 II, 32; BFH/NV 1993, 637; BFH 266, 297 = BStBl 2020 II, 371). Lässt sich nicht abschließend klären, wie es zu der Unrichtigkeit im > Steuerbescheid gekommen ist, und stehen sich zwei nicht nur theoretisch denkbare Geschehensabläufe gegenüber, von denen einer eine Berichtigung ausschließt, darf nicht berichtigt werden (BFH 268, 407 = BStBl 2020 II, 698). Die rein abstrakte Möglichkeit, dass dem Fehler auch rechtliche Überlegungen zu Grunde liegen, steht der Anwendung von § 129 AO aber nicht entgegen (BFH 129, 5 = BStBl 1980 II, 62; BFH/NV 1990, 752 mwN).
Die Möglichkeit eines Rechtsirrtums muss sich durch gerichtlich festgestellte Tatsachen belegen lassen (BFH 114, 346 = BStBl 1975 II, 350; BFH 116, 462 = BStBl 1975 II, 868). Ob ein mechanisches Versehen gegeben ist, prüft der BFH nur in eingeschränktem Umfang (BFH/NV 2006, 1793). Hat das FG die Nichterfassung von Lohnersatzleistungen nicht als "offenbaren Fehler" eingeordnet, bindet das den BFH (BFH/NV 2012, 694 = HFR 2012, 583).
Rz. 4
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Offenbar ist ein Fehler, der bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig erkennbar ist (BFH/NV 2017, 438 = HFR 2017, 461); auf das Erkennen durch den Stpfl kommt es allerdings nicht an (BFH/NV 1989, 205). Der Fehler muss ohne Weiteres augenfällig, durchschaubar und eindeutig sein (BFH 142, 13 = BStBl 1984 II, 834; BFH 149, 478 = BStBl 1987 II, 588; BFH 149, 413 = BStBl 1988 II, 164; BFH/NV 1990, 752; 1993, 637 mwN). So zB die Verwendung einer falschen Kennziffer bei der Umsetzung eines Betriebsprüfungsergebnisses, wenn...