Robert Engert, Winfried Simon
Liegt keine erste Tätigkeitsstätte vor und bestimmt der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer sich dauerhaft typischerweise arbeitstäglich an einem festgelegten Ort einfinden soll (z. B. an einem Treffpunkt für einen betrieblichen Sammeltransport, am Busdepot, am Fährhafen oder am Betrieb des Arbeitgebers), um von dort seine berufliche Tätigkeit aufzunehmen oder seine Einsatzorte aufzusuchen, werden die Fahrten des Arbeitnehmers von der Wohnung zu diesem "Sammelpunkt" wie Fahrten zu einer ersten Tätigkeitsstätte behandelt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG). Für diese Fahrten gilt ebenfalls die Entfernungspauschale (gesetzliche Fiktion).
BEISPIEL 1:
Bus- oder Lkw-Fahrer haben regelmäßig keine erste Tätigkeitsstätte. Lediglich, wenn dauerhaft und typischerweise arbeitstäglich ein vom Arbeitgeber festgelegter Ort aufgesucht werden soll, werden die Fahrten von der Wohnung zu diesem Ort/Sammelpunkt gleich behandelt mit den Fahrten von der Wohnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte (FG Nürnberg vom 13.5.2016, 4 K 1536/15, EFG 2016 S. 1240 – rkr.).
BEISPIEL 2:
Kundendienstmonteure und Montagearbeiter haben ebenfalls i. d. R. keine erste Tätigkeitsstätte. Nur dann, wenn dauerhaft und typischerweise arbeitstäglich ein vom Arbeitgeber festgelegter Ort aufgesucht werden soll, werden die Fahrten von der Wohnung zu diesem Ort/Sammelpunkt ebenso behandelt wie die Fahrten von der Wohnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte. Dies kann auch der Betrieb des Arbeitgebers sein (vgl. Tz 11.12.2.1)
BEISPIEL 3:
Seeleute, die auf einem Schiff tätig werden sollen, haben i. d. R. keine erste Tätigkeitsstätte, da das Schiff keine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers ist. Soll der Dienstantritt, die Ein- und Ausschiffung aber typischerweise arbeitstäglich von dem gleichen Anleger (wie z. B. einem Fähranleger, Liegeplatz des Seenotrettungskreuzers, Anleger des Fahrgastschiffes) erfolgen, werden die Fahrten zu diesem Ort/Sammelpunkt ebenso behandelt wie die Fahrten von der Wohnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte.
BEISPIEL 4:
Angestellte Lotsen haben üblicherweise keine erste Tätigkeitsstätte, wenn sie ihre Tätigkeit typischerweise auf verschiedenen Schiffen ausüben sollen. Fahrten von der Wohnung zu einer vom Arbeitgeber festgelegten Lotsenstation oder Lotsenwechselstation, um von dort zum Einsatz auf ein Schiff verbracht zu werden, werden ebenso behandelt wie die Fahrten von der Wohnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte.
Nicht ausreichend ist es, wenn der Arbeitnehmer die betriebliche Einrichtung nur einmal pro Woche aufsuchen muss, z. B. um Material abzuholen oder Urlaubs- und Stundenzettel abzugeben. In diesem Fall sucht der Arbeitnehmer dauerhaft denselben Ort nicht typischerweise arbeitstäglich auf, sodass nicht nur die Fahrten mit dem eigenen Pkw von der Wohnung zu den auswärtigen Baustellen, sondern auch die Fahrten von der Wohnung zum Betrieb und ggf. Verpflegungsmehraufwendungen nach den für Auswärtstätigkeiten geltenden Grundsätzen geltend gemacht werden können (FG Nürnberg vom 8.7.2016, 4 K 1836/15, EFG 2016 S. 1692 – rkr.). Entsprechendes gilt bei einem Lkw-Fahrer, der den Lkw im Betrieb überwiegend zu mehrtägigen Fahrten übernimmt (FG Niedersachsen Urteil vom 15.6.2017, 10 K 139/16 – rkr.).
Was unter "typischerweise arbeitstägliches" Aufsuchen eines vom Arbeitgeber dauerhaft festgelegten gleichbleibenden Ortes zu verstehen ist, hat der BFH in einem neuen Grundsatzurteil geklärt (BFH-Urteil vom 19.4.2021, BStBl II S. 727). Ein "typischerweise arbeitstägliches" Aufsuchen erfordert nach Ansicht des BFH kein ausnahmsloses Aufsuchen des vom Arbeitgeber festgelegten Orts an sämtlichen Arbeitstagen des Arbeitnehmers; ein nach Weisung "typischerweise fahrtägliches" Aufsuchen genügt aber nicht. Im Einzelfall muss aufgeklärt werden, ob der Arbeitnehmer gemäß den Weisungen seines Arbeitgebers bei einer vorausschauenden ("ex ante") Betrachtung den Betriebssitz oder einen anderen Ort als vom Arbeitgeber festgelegten Sammelpunkt typischerweise arbeitstäglich aufsuchen sollte. Wenn z. B. von vornherein feststand, dass der Arbeitnehmer nicht nur auf eintägigen Baustellen eingesetzt werden würde, sondern auch auf mehrtägigen Fernbaustellen, dann liegt aus vorausschauender Sicht kein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen des Betriebssitzes des Arbeitgebers vor. Da es sich bei "Sammelpunktfahrten" dem Grunde nach um eine berufliche Auswärtstätigkeit handelt, trägt das Finanzamt die Feststellungslast für eine auf die Entfernungspauschale beschränkte Abziehbarkeit der Fahrtkosten. Den Steuerpflichtigen trifft jedoch bei der Aufklärung des Sachverhalts eine Mitwirkungspflicht, da es sich bei den arbeitsrechtlichen Festlegungen um Tatsachen aus seiner beruflichen Sphäre handelt.
Treffen sich mehrere Arbeitnehmer typischerweise arbeitstäglich an einem bestimmten Ort, um von dort aus gemeinsam zu ihren Tätigkeitsstätten zu fahren (privat organisierte Fahrgemeinschaft, vgl. Tz 11.12.7.4), liegt kein "Sammelpunkt" nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr...