Leitsatz

Die Bestellung als Steuerberater ist vom Bestehen der Steuerberaterprüfung abhängig. Eine gerichtliche Kontrolle der Beurteilung der Prüfungsleistungen und damit auch der Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen der Steuerberaterprüfung ist aufgrund der Eigentümlichkeiten von Prüfungsentscheidungen nur in engen Grenzen möglich. In Betracht kommen ein außergerichtliches Überdenkungsverfahren, ggf. eine Anfechtungsklage vor dem zuständigen Gericht (in Steuerberatungsangelegenheiten also vor dem FG). Abgesehen von formalen Verstößen gegen Prüfungsrecht kann die Anfechtung insbesondere darauf gestützt werden, dass ein Prüfling gegenüber anderen Prüflingen durch die konkrete Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens in einer vergleichbaren Prüfungssituation deutlich benachteiligt worden ist, d. h., wenn sich also nicht ausschließen lässt, dass die Prüfungsbedingungen wesentlich dazu beigetragen haben, dass der betreffende Prüfling kein besseres Prüfungsergebnis erzielen konnte. Ebenso kann die Prüfungsentscheidung als rechtswidrig angefochten werden, wenn sie aufgrund eines Prüfungsverfahrens getroffen worden ist, in dem ein Prüfling Vorteile genossen hat, die anderen nicht gewährt worden sind und die sich auf die Eignung der Prüfung auswirken können, die Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings festzustellen. Eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit ist jedoch nach der Rechtsprechung nur in engen Grenzen gegeben. Jedes Prüfungsrecht muss Ungleichheiten in den Startbedingungen der Prüflinge als unvermeidbar hinnehmen. Deshalb ist bei folgenden Sachverhalten keine Verletzung des Gleichheitssatzes zu sehen:

  • wenn der Prüfungsteilnehmer das Glück hatte, eine Prüfungsaufgabe zu erhalten, auf die er sich besonders gut vorbereitet hat,
  • wenn die Prüfungsbehörde eine zufällig auch von einem privaten Repetitorium verwendete Prüfungsaufgabe ausgegeben hat,
  • wenn Prüfungsfragen mehr oder weniger mit im Schrifttum veröffentlichten Fallbesprechungen, in der Rechtsprechung behandelten Streitsachen oder in Übungskursen behandelten Fällen ähnlich sind.

In diesen Fällen kann der Prüfling nicht unter Berufung auf den Grundsatz der Chancengleichheit verlangen, dass ihm dieselben Vorteile wie anderen Prüflingen eingeräumt werden. Ebenso wenig kann er einfordern, dass Fehler in der Durchführung des Prüfungsverfahrens, die der Prüfungsbehörde bei einem anderen Kandidaten seiner Prüfungsgruppe oder seines Prüfungsjahrgangs unterlaufen sind, auch ihm zugute kommen, er also unter den gleichen ungeeigneten Bedingungen geprüft wird und dass auf diese Weise seine „Benachteiligung” gegenüber anderen Prüflingen korrigiert wird.

Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit liegt vor, wenn ein oder einige Prüflinge einer Prüfungsgruppe oder des Prüfungsjahrgangs definitiv vorher wussten, welche Prüfungsaufgabe bzw. welches Prüfungsgebiet genau kommen wird. Hat die Prüfungsbehörde durch fehlerhaftes Handeln, z. B. durch Verwendung einer vielen Prüflingen bekannten Aufgabe bewirkt, dass andere Prüflinge, die die Aufgabe nicht kannten, deswegen schlechter bewertet worden sind, weil besonders viele andere Prüflinge bei der Bewältigung der betreffenden Aufgabe es leichter hatten, kann dies auch ein Anfechtungsgrund sein, allerdings nur dann , wenn den betreffenden Prüfungsteilnehmern die zutreffende Lösung der Prüfungsaufgabe lediglich eine Gedächtnisleistung abverlangte.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 20.07.1999, VII R 111/98

Anmerkung

Anmerkung: Das Urteil befasst sich umfangreich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen bei Steuerberaterprüfungen der Grundsatz der Chancengleichheit verletzt sein kann. Im Urteilsfall ging es um die Steuerberaterprüfung 1997, bei der die Ertragsteuerklausur mit einer Klausuraufgabe eines Steuerrechts-(Lehr-)instituts im Wesentlichen identisch war und die von einer größeren, nicht genau feststellbaren Zahl von Teilnehmern der Steuerberaterprüfung mehr oder weniger bekannt war. Der Kläger, dem die Klausur nicht bekannt war, wehrte sich gegen das Nichtbestehen der Steuerberaterprüfung mit dem Argument, dass seine Klausur nur deswegen so schlecht bewertet worden sei, weil viele andere Prüflinge die Aufgabe kannten und daher das relativ gute Gesamtergebnis der Ertragsteuerklausur negativen Einfluss auf die Bewertung seiner Klausurlösung gehabt habe. Letztendlich hatte die Anfechtungsklage keinen Erfolg , weil weder von Amts wegen noch vom betreffenden Prüfling diese Kausalität und damit die Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit nachgewiesen werden konnte.

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