aa) Latenzierung durch die Hintertür

 

Tz. 12

Nach der Auffassung des IDW[4] und Teilen des Schrifttums[5] läuft die Befreiung von der Steuerlatenzrechnung für Einzelunternehmen, nicht einen Ausnahmetatbestand erfüllende Personengesellschaften und kleine ­KapGes ins Leere. Danach besteht eine Pflicht zur bilanziellen Abbildung von passiven Latenzen – ausgenommen solche, die auf quasi-permanente Differenzen zurückzuführen sind (vgl. Tz. 6) – über die Passivierung einer Rückstellung, soweit die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 249 HGB erfüllt sind.

 

Tz. 13

Nach einer Gegenauffassung im Schrifttum wird die Pflicht zur Bilanzierung passiver latenter Steuern durch die Hintertür des § 249 HGB ausgeschlossen.[6] Die Gegenposition beruft sich hierbei auf folgende Argumente:

  • Es ist keine Änderung bestehender GoB eingetreten. Eine Ausdehnung der Steuerlatenzrechnung durch die Modernisierung des Handelsrechts ist daher nicht belegt.
  • Auch eine historische Auslegung des Gesetzes begründet keine intendierte Ausdehnung der Vorgaben des § 274 HGB auf nicht unmittelbar angesprochene Unternehmen.
  • Unabhängig von der Auslegung des Gesetzes und der Gesetzesbegründung sind aber die Voraussetzungen für die Passivierung einer Rückstellung (rechtliche Entstehung/wirtschaftliche Verursachung) nicht erfüllt.

Die Gegenauffassung kommt daher zu dem Ergebnis, dass mangels rechtlicher Entstehung und wirtschaftlicher Verursachung eine passive Latenz keine nach § 249 HGB zu bilanzierende Schuld begründet, es somit also bei einer vollumfänglichen Befreiung bleibt.

 

Tz. 14

Neben den beiden (Extrem-)Positionen lässt sich noch eine weitere Auffassung feststellen. Die Bundessteuerberaterkammer[7] klammert die Frage nach der Erfüllung der Voraussetzungen für die Passivierung einer Rückstellung aus und unterstellt (typisiert) eine Pflicht zur Passivierung einer Rückstellung für solche Fälle, "in denen die Ansatz- oder Bewertungsdifferenz auf steuerlichen Tatbeständen beruht, mit denen der Steuergesetzgeber eine Steuerstundung bezweckt." An folgende Konstellationen hat die Bundesteuerberaterkammer dabei gedacht:

 

Tz. 15

Die drei kontroversen Auffassungen führen zu einer Spaltung der Bilanzwelt.[8] Es bleibt – bis zu einer abschließenden Klärung durch den Gesetzgeber – dem einzelnen Bilanzierer überlassen, welcher Auffassung er einen Vorzug einräumt. Eine besondere Herausforderung stellt – insoweit eine Beauftragung erfolgt – die Abstimmung mit dem Abschlussprüfer dar. Eine Unbeachtlichkeit für den Bestätigungsvermerk setzt voraus, dass die Position des Berufsstands als über die Gesetzesvorgaben hinausgehend erachtet wird. Zur Vermeidung von Auseinandersetzungen wäre daher eine Latenzrechnung durch die Hintertür des § 249 HGB zu wählen.

[4] Vgl. aufgehoben IDW ERS HFA 27 Rn. 3, WPg Supplement 3/2009, 15 ff.
[5] Bertram, in: Bertram u. a., 2. Aufl. 2010, § 274 HGB Rn. 7; Spanheimer/Simlacher, in: HdR, § 274 HGB Rn. 5.
[6] Zur nicht verpflichtenden freiwilligen Anwendung Hoffmann/Lüdenbach, HGB, § 274 HGB Rn. 61.
[7] Bundessteuerberaterkammer, Ausweis passiver latenter Steuern als Rückstellungen in der Handelsbilanz, abrufbar unter
https://www.bstbk.de/export/sites/standard/de/ressourcen/Dokumente/04_presse/publikationen/02_steuerrecht_rechnungslegung/15-BStBK-Verlautbarung_latenter_Steuern_2012–09–19.pdf (abgerufen am 24.3.2016).
[8] Roß, BB 2014, 1.

bb) Komplexität und Widerspruch bei Bewertung und Ausweis

 

Tz. 16

Wird der wohl herrschenden Auffassung gefolgt, sind (ausgewählte) passive Latenzen über die Passivierung einer Rückstellung im Anwendungsbereich des § 249 HGB abzubilden. Korrespondierend zu den Ansatzvorschriften des § 249 HGB finden sich besondere Bewertungsvorgaben in § 253 HGB. Für die Bewertung der als Rückstellung erfassten passiven Latenzen wäre dann konsequenterweise eine Abzinsung geboten, wenn die Restlaufzeit sich auf mehr als ein Jahr beläuft (§ 253 Abs. 2 Satz 1 HGB). Für die eigentlich von der Steuerlatenzrechnung befreiten Unternehmen ergäben sich Anforderungen an die Bewertung, die für unmittelbar von § 274 HGB angesprochene Unternehmen explizit ausgeschlossen sind, da ein Abzinsungsverbot besteht (DRS 18.49).

 

Tz. 17

Die als Konsequenz auftretenden Fragen der Bewertung können nur vermieden werden, wenn eine Erfassung von passiven latenten Steuern als Rückstellung ausgeschlossen wird (vgl. Tz. 14). Die Inkaufnahme einer Latenzierung durch die Hintertür mündet entweder in einer besonderen Komplexität der Bewertung für von § 274 HGB "befreite" Unternehmen oder in einer in sich widersprüchlichen Gesetzesauslegung.

Nach der Auffassung des Berufsstands sei es für die Bewertung "nicht zu beanstanden, wenn i. S. des Rechtsgedankens des § 274 Abs. 2 Satz 1 HGB eine Abzinsung der Rückstellungen unterbleibt".[9] Der bilanzielle Ausweis soll unter der Rubrik Steuerrückstellungen erfolgen, ein gesonderter Ausweis als "Passive latente Steuer" nach § 266 Abs. 3 E. HGB soll ausscheiden. Diese Lösung führt zu nicht auflösbaren,...

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