Tz. 52

§ 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB erfasst für die Kapitalrücklage auch den Betrag, der bei der Ausgabe für Schuldverschreibungen für Wandlungsrechte und Optionsrechte zum Erwerb von Anteilen erzielt wird. Notwendiges Element ist das Bezugsrecht auf Aktien[150]; für GmbH-Anteile gilt das auch, ist aber theoretischer Natur.[151] Erfasst sind die in § 221 AktG geregelten Wandelschuldverschreibungen mit ihren Unterformen der Wandelanleihe und der Optionsanleihe.[152] Bei der Wandelanleihe wird dem Gläubiger das Recht gewährt, seinen Rückzahlungsbetrag in Aktien einzutauschen.[153] Bei der Optionsanleihe wird dem Gläubiger das Recht gewährt, neben der Rückzahlung des Anleihebetrags Aktien zu einem bestimmten Preis zu beziehen.[154] Auch erfasst sind naked warrants[155], d. h. isolierte Optionsanleihen ohne zugrunde liegende Schuldverschreibungen.[156] Nicht erfasst sind Genussrechte, weil mit ihnen kein Bezugsrecht auf Aktien einhergeht.[157] Das gilt auch für Gewinnschuldverschreibungen[158], weil sich bei diesen nur die Verzinsung am Gewinn der Gesellschaft orientiert.[159] Hingegen sind Kombinationen von Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechten mit Wandel- oder Optionsanleihen erfasst.[160] Reine Anleihen (Industrieobligationen) sind bloße Schuldtitel, von § 221 AktG nicht erfasst[161] und daher auch nicht unter § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB zu buchen.

[150] Reiner, in: MüKo-HGB, § 272 HGB Rn. 75.
[151] Reiner, in: MüKo-HGB, § 272 HGB Rn. 74.
[152] ADS, § 272 HGB Rn. 108; Hüttemann/Meyer, in: GroßKo-HGB, § 272 HGB Rn. 37; Kropff, in: MüKo-BilR, § 272 HGB Rn. 117; Reiner, in: MüKo-HGB, § 272 HGB Rn. 75.
[153] Merkt, in: Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rn. 23.
[154] Merkt, in: Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rn. 28.
[155] Kropff, in: MüKo-BilR, § 272 HGB Rn. 119; Reiner, in: MüKo-HGB, § 272 HGB Rn. 90.
[156] Habersack, in: MüKo-AktG, § 221 AktG Rn. 36.
[157] Hüttemann/Meyer, in: GroßKo-HGB, § 272 HGB Rn. 39; Mock, in: KK-RechnR, § 272 HGB Rn. 140.
[158] Mock, in: KK-RechnR, § 272 HGB Rn. 141.
[159] Merkt, in: Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rn. 37.
[160] I. E. auch Förschle/Hoffmann, in: BeckBilKo, § 272 HGB Rn. 183.
[161] Habersack, in: MüKo-AktG, § 221 AktG Rn. 1.

cc1) Die Grundfälle

 

Tz. 53

Das Aufgeld kann dadurch anfallen, dass die Anleihe entweder marktgerecht verzinst wird und deshalb ein Aufgeld zu zahlen ist, dass die Anleihe nicht marktgerecht verzinst wird und deshalb kein Aufgeld zu zahlen ist, dass bei späterer Begebung der jungen Aktien ein über dem Nennbetrag liegendes Aufgeld erzielt wird. Letzteres ist gem. § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB zu verbuchen, weil es aus der Ausgabe der Aktien zu einem Preis über dem Nennbetrag resultiert.[162]

 

Tz. 54

Wird die Anleihe marktüblich verzinst, ist die Differenz zwischen erzieltem Erlös und Rückzahlungsbetrag gem. § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB in die Rücklage einzustellen. Emissionskosten dürfen nicht abgezogen werden.[163] Auch bei späterem Verfall der Option bleibt es beim Ausweis unter § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB.[164] Das entspricht der Rechtsprechung des BFH, wonach es für den Verbuchungszeitpunkt allein auf die Begebung der Anleihen ankomme und spätere Entwicklungen unbeachtlich sein sollen.[165]

 

Tz. 55

Wird die Anleihe unterdurchschnittlich oder nicht verzinst, wird es an einem Aufgeld fehlen. Der Ertrag statt des Aufgeldes (bzw. neben dem durch unterdurchschnittliche Verzinsung zu geringen Aufgeld) liegt im Zinsvorteil.[166] Bei fehlender Verzinsung entsprechen sich vereinnahmter Betrag und anzusetzender Rückzahlungsbetrag. Der Zinsvorteil für die Laufzeit ist durch vorsichtige Schätzung zu ermitteln, in der Kapitalrücklage gem. § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB zu passivieren und als Disagio zu aktivieren.[167] Hinsichtlich der Aktivierung eines Disagios gewährt § 250 Abs. 3 HGB ein Wahlrecht. Nach wohl h. M. ist dieses nicht eingeschränkt[168], jedoch soll § 264 Abs. 2 Satz 2 HGB zu Anhangsangaben zwingen.[169] Für die Gegenauffassung folgt aus der gesamten Konstruktion von Wandel- und Optionsanleihen eine Pflicht zur Aktivierung.[170] Letzterer Auffassung ist zu folgen. § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB gebietet die Aktivierung, weil es sich bei der unverzinslichen Anleihenbegebung nur um eine Gestaltungsvariante zur verzinslichen Anleihenbegebung zzgl. Optionsgebühr handelt. Eine bilanzrechtlich unterschiedliche Einordnung ist nicht gerechtfertigt. Der unterschiedliche Zeitpunkt des Mittelzuflusses kommt genügend dadurch zum Ausdruck, dass in einem Fall die erzielten Mittel und im anderen Fall eben nur ein RAP aktiviert werden können.

[162] Hüttemann/Meyer, in: GroßKo-HGB, § 272 HGB Rn. 38.
[163] ADS, § 272 HGB Rn. 113; Hüttemann/Meyer, in: GroßKo-HGB, § 272 HGB Rn. 40.
[164] ADS, § 272 HGB Rn. 111, 129; Hüttemann/Meyer, in: GroßKo-HGB, § 272 HGB Rn. 43; Mock, in: KK-RechnR, § 272 HGB Rn. 155; ausführlich Kropff, in: MüKo-BilR, ZGR 1987, 285 (287 ff., 301).
[165] BFH v. 30.11.2005, I R 3/4, DB 2006, 130 ff. (insbes. unter 2. und 6.).
[166] ADS, § 272 HGB Rn. 120; Förschle/Hoffmann, in: BeckBilKo, § 272 HGB Rn. 180; Hüttemann/Meyer, in: GroßKo-HGB...

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