ee1) Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten

 

Tz. 152

Grundlagen

Für Verbindlichkeiten ist eine Rückstellung zu bilden, wenn Grund oder Höhe einer Verpflichtung ungewiss sind. Hinsichtlich der Bewertung ist daher zu unterscheiden:

  • Steht die Höhe der möglicherweise entstehenden Verpflichtung fest?
  • Ist die Höhe einer sicher bestehenden Verpflichtung ungewiss?

Im ersten Fall, dass nur das "Ob", nicht aber die Höhe der Verpflichtung ungewiss ist, ist umstritten, ob die Rückstellung mit dem Nominalwert anzusetzen oder ob aufgrund der Unsicherheit der Entstehung ein dem Risiko entsprechender Abschlag vorzunehmen ist. Für eine Berücksichtigung der Eintrittswahrscheinlichkeit spricht, dass die Abbildung ökonomischer Sachverhalte entsprechende Wahrscheinlichkeiten berücksichtigen muss. Es erscheint unangemessen, sichere und unsichere Verpflichtungen bzgl. der Höhe der Darstellung gleich zu behandeln.[375] Andererseits widerspricht die Berücksichtigung allgemein-statistischer Risiken dem Grundsatz, dass bilanziell die effektive wirtschaftliche Belastung dargestellt werden soll, die dem Kaufmann droht.[376] Denn tatsächlich geht es um eine "Entweder-Oder-Entscheidung".[377] Die wirklich zu erwartende Belastung kann daher nicht dargestellt werden. Entsprechend dem Vorsichtsprinzip ist daher der volle Wert der möglichen Belastung anzusetzen.

 

Tz. 153

Ist lediglich die Höhe der Verpflichtung ungewiss, so ist gem. der Vorgabe, nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung zu bewerten, unter Beachtung des Vorsichtsprinzips der wahrscheinlichste Wert darzustellen, der das Unternehmen belasten wird. Im Falle gleich großer Wahrscheinlichkeit verschiedener Beträge ist der höhere Betrag zu wählen. Eine gleich große Wahrscheinlichkeit liegt dabei nicht nur vor, wenn diese – in Prozent ausgedrückt – absolut identisch sind (z. B. 72 %). Vielmehr ist insoweit von einer gewissen Streubreite auszugehen. Zu berücksichtigen ist deshalb auch, ob die Eintrittswahrscheinlichkeiten in den unterschiedlichen Szenarien wesentlich voneinander abweichen. Nur wenn dies der Fall ist, braucht nicht der höchste Wert angesetzt werden.[378]

 

Tz. 154

Sach- und Dienstleistungsverpflichtungen

Besondere Bewertungsprobleme stellen sich, wenn Sach- oder Dienstleistungsverpflichtungen bewertet werden müssen. Unter Sach- und Dienstleistungsverpflichtungen sind alle Verpflichtungen zu verstehen, die keine reinen Geldleistungsverpflichtungen sind.[379] Darunter fallen auch Geldwertschulden, d. h. Verpflichtungen, die zwar in Geld zu erfüllen sind, deren Höhe jedoch von den Preisen bestimmter Güter oder Leistungen abhängt.[380]

 

BEISPIEL

Hat jemand Schadensersatz oder Wertersatz für die Zerstörung einer Sache zu leisten, steht die Höhe des Schadens nicht von vornherein fest. Sie hängt etwa davon ab, welchen Wert die zerstörte Sache gerade am Markt hat oder welche Kosten erforderlich sind, um die Sache wiederherzustellen.

Sach- und Dienstleistungsverpflichtungen sind mit dem Betrag anzusetzen, der voraussichtlich aufzuwenden sein wird, um die Verpflichtung zu erfüllen. Dies sind die Vollkosten, also die Einzelkosten und die notwendigen Gemeinkosten.[381] Notwendige Gemeinkosten sind Gemeinkosten, soweit sie bei der Vorrätebewertung als Herstellungskosten anzusetzen sind (vgl. § 255 HGB).[382]

 

Tz. 155

Grundsätzlich gilt für die Bewertung von Rückstellungen aus ungewissen Verbindlichkeiten das Einzelbewertungsprinzip gem. § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB. Demnach ist jede Verpflichtung einzeln zu erfassen und zu bewerten.[383] Hiervon wird dann eine Ausnahme zugelassen, wenn ansonsten eine vernünftige kaufmännische Beurteilung nicht erfolgen kann.[384] Die Zulässigkeit ergibt sich gem. § 240 Abs. 4 HGB, der eine Gruppenbewertung unter Annahme typisierter Bewertungsparameter erlaubt. Zu denken ist an Fälle, in denen die Beurteilung nur in Bezug auf die Gesamtheit der Produkte, nicht aber das einzelne Produkt möglich ist.[385] Dies betrifft namentlich:

  • Garantierückstellungen, weil unklar ist, welches konkrete Produkt zu einem Garantiefall werden wird, sich aber unter Umständen berechnen lässt, wie viele der verkauften Produkte einen Mangel aufweisen werden und mit welchen Kosten daher zu rechnen ist
  • Produkthaftungsrisiken
  • Bürgschaftsverpflichtungen
  • Wechselobligo
 

Tz. 156

Kompensatorische Betrachtung

Diskutiert wird eine kompensatorische Berücksichtigung von möglichen Gegenansprüchen.

 

BEISPIEL

  • Ansprüche gegen die Haftpflichtversicherung
  • Rückgriffsansprüche bei gesamtschuldnerischer Haftung
  • Im Falle von Rückstellungen für Verpflichtungen zur Abraumbeseitigung und Rekultivierung, wenn hierbei möglicherweise noch Veräußerungserlöse zu erzielen sind

Dabei ist zunächst zu unterscheiden, ob diese Gegenansprüche bereits nach den Voraussetzungen des § 246 Abs. 1 HGB zu aktivieren sind oder ob sie zwar möglich oder sogar wahrscheinlich sind, jedoch die Aktivierungsvoraussetzungen noch nicht erfüllen.

 

Tz. 157

Soweit Gegenansprüche bestehen und aktivierungspflichtig sind, gilt das Verrechnungsverbot gem. § 246 Abs. 2 HGB. Schulden und Vermögensgege...

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