cc1) Stichtagsprinzip

 

Tz. 19

Das Stichtagsprinzip (ausführlich vgl. Kapitel 4 Tz. 113) dient der periodengerechten Zuordnung von Aufwendungen und Erträgen und bildet insofern die Grundlage für das Vorsichts- und Realisationsprinzip. Es besagt, dass bilanziell nur diejenigen Geschäftsvorfälle berücksichtigt werden dürfen, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind. Das bilanzrechtliche Stichtagsprinzip zeichnet sich durch wiederkehrende Stichtage aus. Diese teilen bilanziell die Lebenszeit eines Unternehmens in grds. immer gleiche Perioden. Es wird durchbrochen von der Vorgabe, sog. wertaufhellende Tatsachen auch nach dem Stichtag noch bis zum "Tag der Aufstellung" (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) zu berücksichtigen (vgl. Kapitel 4 Tz. 116). Diese Einschränkung dient dem Vorsichts- und Imparitätsprinzip. Darüber hinaus bestimmt das Gesetz teilweise, dass künftige Entwicklungen zu antizipieren sind. Das gilt namentlich für die Vorgabe, Schulden mit dem Erfüllungsbetrag anzusetzen (§ 253 Abs. 2 HGB). Daraus folgt etwa, dass künftige Kostensteigerungen und Kostensenkungen bei der Rückstellungsbewertung bereits zu berücksichtigen sind, obwohl sie tatsächlich zum Stichtag noch nicht entstanden sind (vgl. Tz. 150 f.). Man wird darin keinen Verstoß des Gesetzes gegen das Stichtagsprinzip sehen müssen; vielmehr macht dies deutlich, dass das Stichtagsprinzip durch einzelne Bewertungsvorschriften normativ determiniert ist.

cc2) Wertaufhellungsprinzip

 

Tz. 20

Der Zeitpunkt einer bilanzrechtlichen Bewertung ist grds. der Stichtag. Vermögensgegenstände und Schulden sind "zum Abschlussstichtag einzeln zu bewerten" (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB). Aus dieser Formulierung und dem Umstand, dass die Bilanz nicht "am", sondern "für den Schluss eines jeden Geschäftsjahres" aufzustellen ist, folgt ein Verbot der Berücksichtigung von Tatsachen, die erst nach dem Abschlussstichtag entstanden sind, und zugleich ein Gebot der Berücksichtigung solcher Tatsachen, die vor dem Abschlussstichtag entstanden sind ("wertbeeinflussende Umstände").[42] Problematisch ist aber der Umgang mit Tatsachen, die zwar erst nach dem Stichtag bekannt geworden sind, ihren Entstehungsgrund aber möglicherweise noch in der abgelaufenen Berichtsperiode haben. Die Vorschrift des § 252 Abs. 1 Satz 4 HGB spricht nicht nur davon, dass "alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen" sind, sondern konkretisiert dies mit den Worten: "selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekanntgeworden sind." Das Gesetz bestimmt damit also, inwiefern Umstände, die erst nach dem Bilanzstichtag, aber vor der "Bilanzaufstellung" bekannt geworden sind, berücksichtigt werden müssen (sogenanntes Wertaufhellungsprinzip), wobei statt dem Tag der Aufstellung nach herrschender und überzeugender Auffassung jener der Feststellung maßgeblich ist, sofern beide voneinander abweichen (zur Begründung sogleich unter "Wertaufhellungszeitraum"). Es sind mithin allein solche nachträglich bekannt gewordenen Erkenntnisse und Ereignisse auf den Bilanzstichtag zurückzubeziehen, die zeigen, "wie sich die Verhältnisse am Bilanzstichtag tatsächlich dargestellt haben".[43] Nicht berücksichtigt werden dürfen hingegen Erkenntnisse und Ereignisse, die zeigen, wie sich die Vermögenslage nach dem Stichtag verändert hat. "Das Wertaufhellungsprinzip soll das Stichtagsprinzip mithin lediglich dahingehend präzisieren, dass die Beurteilung der Stichtagsverhältnisse nicht aus dem Blickwinkel des Bilanzstichtages, sondern aus der Sicht des Aufstellungstages zu erfolgen hat."[44] Es wird jedoch darum gestritten, ob die Bilanz zum Abschlussstichtag auf die objektiv vorliegenden Umstände zu beziehen ist, oder ob es auf die subjektive Beurteilung des Bilanzierenden ankommt. Dazu werden zwei Auffassungen vertreten, die als objektive Wertaufhellungskonzeption einerseits und als subjektive Wertaufhellungskonzeption andererseits bezeichnet werden können.[45]

 

Tz. 21

Nach der subjektiven Wertaufhellungskonzeption ist so zu bilanzieren, als sei die Bilanz bereits am Abschlussstichtag selbst erstellt worden. Was am Abschlussstichtag vom Bilanzierenden über die dann gegebenen Vermögensverhältnisse nicht erkennbar war, bleibt unberücksichtigt.[46]

Demgegenüber ist nach der objektiven Wertaufhellungskonzeption der Kenntnisstand des Bilanzierenden am Tag der "Bilanzaufstellung" auf die am Bilanzstichtag objektiv bestehenden Verhältnisse zu beziehen. Folglich sind auch solche Informationen, die der Bilanzierende erst nach dem Abschlussstichtag und während der Bilanzerstellung erlangt hat oder aber bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erlangen können, immer dann wertaufhellend bei der Bilanzaufstellung zu berücksichtigen, wenn sie für die Verhältnisse am Bilanzstichtag von Bedeutung sind.[47]

 

Tz. 22

Um die unterschiedlichen Auswirkungen der vorstehend genannten Auffassungen verdeutlichen zu können, sind zunächst zwei Problemkreise auseinander zu halten:

  1. Es ist zu klären, wi...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Merkt, Rechnungslegung nach HGB und IFRS (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?


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