Tz. 702

§ 255 Abs. 4 HGB definiert den in § 253 Abs. 1 Satz 3 und 4 HGB bezeichneten beizulegenden Zeitwert. Er ist relevant für die Bewertung von Planvermögen gem. § 246 Abs. 2 Satz HGB, die Bewertung von solchen Rückstellungen, deren Höhe sich ausschließlich nach dem beizulegenden Zeitwert von Wertpapieren i. S. v. § 266 Abs. 2 A.III.5. HGB bestimmt und für die Bewertung von Finanzinstrumenten des Handelbestandes bei Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten. Nicht verwechselt werden darf der beizulegende Zeitwert mit dem beizulegenden Wert gem. § 253 Abs. 3 Satz 5 und Abs. 4 Satz 2 HGB, der für alle Vermögensgegenstände gilt.

 

Tz. 703

Abs. 4 bezeichnet drei Verfahren, wie der beizulegende Zeitwert ermittelt werden darf, die aber in einem klaren Rangverhältnis stehen. Danach ist der beizulegende Zeitwert

  1. zunächst der Marktpreis. Nur dann, wenn sich der Marktpreis nicht ermitteln lässt, ist es zulässig, den beizulegenden Zeitwert anhand
  2. anerkannter Bewertungsmethoden vorzunehmen. Gelingt auch das nicht, schreibt Satz 3 die
  3. Bewertung zu fortgeführten Anschaffung- und Herstellungskosten vor, wobei nach Satz 4 der zuletzt ermittelte beizulegende Zeitwert als fortzuführender Anschaffungs- oder Herstellungspreis genommen werden muss.
 

Tz. 704

Marktpreis i. S. v. Satz 1 ist der aktuelle Marktpreis am Bewertungsstichtag, wie er auf einem aktiven Markt ermittelt wird (mark to market). Wann das der Fall ist, gibt die Norm nicht vor. Nach der Gesetzesbegründung[871] auf aktivem Markt ermittelt ist der Preis, wenn er

  • an der Börse, von Brokern, Händlern, Branchengruppen, einem Preisberechnungsservice oder einer Aufsichtsbehörde,
  • leicht und regelmäßig erhältlich ist und
  • auf Markttransaktionen zwischen unabhängigen Dritten beruht.

Diese Voraussetzungen sind IAS 39.48A entnommen. Auf die Ausführungen hierzu wird insofern verwiesen (vgl. Tz. 326). Mit deutscher Gesetzessystematik und -terminologie haben diese Kriterien kaum Berührungspunkte. Die Gesetzesbegründung spricht davon, es sei der "notierte Preis" maßgeblich.[872] Unzulässig ist deshalb die Berücksichtigung von gezahlten Paketzu- oder Abschlägen, Fungibilitätszu- und abschlägen, etc.[873] Ob damit zugleich eine Aussage getroffen ist, wo – etwa allein auf einem organisierten Markt gem. § 2 Abs. 5 WpHG – dieser Preis notiert sein muss, erscheint offen. Der Umstand, dass im Gegensatz zum Ansatz nach Anschaffungskosten ein konkreter Transaktionsvorgang als Mittel zur Objektivierung fehlt, spricht dafür.[874] Nach der Gesetzesbegründung fehlt es dann an einem aktiven Markt, wenn im Verhältnis zu den emittierten Aktien nur kleine Volumina eines Unternehmens gehandelt werden oder eine Marktenge vorliegt.[875]

 

Tz. 705

Mit anerkannten Bewertungsmethoden darf nur bewertet werden, wenn kein Marktpreis vorliegt. Welche dies sind, lässt das Gesetz offen. Die Gesetzesbegründung nennt als erstes die Möglichkeit, Vergleichswerte zugrunde zu legen, die sich aus früher vereinbarten Marktpreisen ergeben.[876] Bisher ist es nicht gelungen, diese Vergleichsmethode, die ebenfalls IAS 39 entlehnt ist,[877] dogmatisch zu fundieren und der sicheren praktischen Anwendbarkeit zuzuführen.[878] Gleichwohl wird teilweise auch hier eine Rangfolge der Bewertungsmethoden dahingehend gesehen, dass der Vergleichsmethode der Vorrang vor allen anderen gebührt.[879] Daneben kommen als Bewertungsmethoden das Discounted-Cashflow-Verfahren oder das Ertragswertverfahren in Betracht.

 

Tz. 706

Führen diese Methoden zu keinem verlässlichen Ergebnis, ist zu fortgeführten Anschaffungskosten zu bewerten. Das gilt sowohl für die Erst- als auch für die Folgebewertung.[880] Verlässlich ermitteln lässt sich ein beizulegender Zeitwert nach der Gesetzesbegründung dann nicht, wenn die angewendete Methode eine Bandbreite möglicher Werte zulässt, die signifikant voneinander abweichen und eine Gewichtung nach Eintrittswahrscheinlichkeiten nicht möglich ist.[881] Teilweise wird eine Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten auch dann für möglich gehalten, wenn die Bewertung nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist.[882] Das Stetigkeitsgebot des § 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB verlangt aber, dass dies die Ausnahme bleibt. Als fortgeführte Anschaffungspreise sind dann die zuletzt verlässlich ermittelten Marktpreise heranzuziehen.

 

Tz. 707

Ausgenommen von der Möglichkeit zur Zeitwertbewertung sind nach § 253 Abs. 1 Satz 5 und 6 HGB KleinstKapGes (vgl. § 267a HGB), die von den ihnen zustehenden Möglichkeiten Gebrauch gemacht haben, ihren Jahresabschluss nicht um einen Anhang zu erweitern, ihre Bilanz und GuV vereinfacht darzustellen und vereinfacht zu publizieren.

[871] BT-Drucks. 16/10067, 61.
[872] BT-Drucks. 16/10067, 61.
[873] Kirsch, in: Bonner HdR, § 255 HGB Rn. 253; Schubert/Pastor, in: BeckBilKo, § 255 HGB Rn. 517; Tiedchen, in: MüKo-BilR, § 255 HGB Rn. 130.
[874] Ekkenga, in: KK-RechnR, § 255 HGB Rn. 157; anders Scharpf/Schaber/Märkl, in: HdR, § 255 HGB Rn. 431.
[875] BT-Drucks. 16/10067, 61.
[876] BT-Drucks. 16/10067, 61.
[877] ...

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