bb1) Unterscheidung

 

Tz. 727

Es gilt zwei Kategorien von Fremdkapital zu unterscheiden (IAS 23.10):

  • speziell für die Anschaffung bzw. Herstellung eines besonderen Vermögenswertes aufgenommenes spezielles Fremdkapital
  • allgemeines Fremdkapital

bb2) Spezielles Fremdkapital

 

Tz. 728

Bei der Bemessung des zu aktivierenden Betrags aus tatsächlichen Fremdkapitalkosten ist im Falle spezieller Fremdkapitalkosten abzustellen auf aufgenommene Fremdfinanzierungen mit unmittelbarem Bezug für den Vermögenswert sowie direkt zurechenbare Ausnutzung bestehender Kreditlinien oder deren Verlängerung (IAS 23.12). Als Ausgaben gelten Barzahlungen, Hingabe anderer Vermögenswerte oder die Aufnahme verzinslicher Schulden. Abzuziehen sind Erträge aus der temporären Anlage von aufgenommenem, jedoch noch nicht in vollem Umfang benötigtem Fremdkapital (IAS 23.12).

bb3) Allgemeines Fremdkapital

 

Tz. 729

Neben den speziellen Finanzierungsformen sind auch allgemeine, nicht im Zusammenhang mit einem spezifischen qualifizierten Vermögenswert stehende Finanzierungen zu berücksichtigen. IAS 23.10 sieht hier den sog. would-have-been-avoided-Ansatz vor (Konzept der vermeidbaren Fremdkapitalkosten). Dabei bestimmt sich das Aktivierungsvolumen der Fremdkapitalkosten durch die Kosten, die bei Verzicht auf eine Investition in einen qualifizierten Vermögenswert vermeidbar (would have been avoided) gewesen wären. Unterstellt wird eine vollständige Fremdfinanzierung, ohne Rücksicht auf die individuelle Kapitalstruktur des Unternehmens.

 

Tz. 730

Der zu aktivierende Betrag ergibt sich sodann aus der Anwendung eines gewogenen Durchschnittszinssatzes der Fremdkapitalkosten des während der Periode ausstehenden allgemeinen Fremdkapitals auf die nicht durch spezielles Fremdkapital gedeckten Ausgaben für den qualifizierten Vermögenswert. Eine Begrenzung des Aktivierungsvolumens besteht dahingehend, dass der Betrag der während einer Periode aktivierten Fremdkapitalkosten die während einer Periode angefallenen Fremdkapitalkosten nicht übersteigen darf (IAS 23.14).

bb4) Bemessungsgrundlage

 

Tz. 731

Die Ausgaben i.S.v. IAS 23 selbst entsprechen nicht den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten, d.h., noch nicht bezahlte Aufwendungen sind kein Bestandteil der Bemessungsgrundlage. Als Bemessungsgrundlage der kumulierten Ausgaben der Berichtsperiode kann der durchschnittliche Buchwert des qualifizierten Vermögenswerts herangezogen werden, da dieser aktivierte Fremdkapitalkosten vorheriger Perioden beinhaltet (IAS 23.18). Bei einer nicht gleichmäßigen Erfassung der Kosten innerhalb der Periode ist eine zeitanteilig gewichtete Korrektur der einzelnen Abflüsse erforderlich. Wurde eine Wertberichtigung für den qualifizierten Vermögenswert erfasst, ist diese (nur) für Zwecke der Bestimmung der Bemessungsgrundlage wieder zurückzudrehen. Ebenfalls nicht einzubeziehen ist eine gezahlte Umsatzsteuer, die zum späteren Vorsteuerabzug berechtigt.

 

BEISPIEL

Für die Herstellung eines qualifizierten Vermögenswerts wurden durch Unternehmen X Auszahlungen i.H.v. 119 Mio. EUR getätigt. Diese enthalten als Vorsteuer abzugsfähige Umsatzsteuer. Der Regelsatz sei annahmegemäß 19,0 %. Die Bemessungsgrundlage ergibt sich daher als Nettobetrag von 100 Mio. EUR.

bb5) Abgrenzungsfragen

 

Tz. 732

Avalprovisionen, die als Entgelt für die Übernahme einer Bürgschaft gezahlt werden, können Probleme hinsichtlich der Abgrenzung als Fremdkapitalkosten i.S.v. IAS 23 bereiten:

  • Unstrittig sind gezahlte Bürgschaftsprovisionen, die im Zusammenhang mit einer Fremdmittelaufnahme stehen, als Fremdkapitalkosten anzusehen (IAS 23.5).
  • Fraglich ist, ob dies auch für Avalprovisionen gilt, die einen indirekten Bezug zum Fertigungsvorgang haben, wie z.B. Avalprovisionen zur Sicherung der Anzahlungen von Kunden im Rahmen langfristiger Fertigungsaufträge i.S.v. IAS 11.

Avalprovisionen könnten Fremdkapitalkosten darstellen, sofern der zugrunde liegende Finanzierungsvorgang die Begründung einer finanziellen Verbindlichkeit darstellt. Dagegen sprechen folgende Gründe:[890]

  1. Erhaltene Anzahlungen sind nicht finanzielle Verbindlichkeiten, die für die Erbringung einer Leistung gewährt wurden (IAS 32.AG11). Sie basieren nicht auf einer vertraglichen Verpflichtung zur Rückzahlung der erhaltenen Mittel.
  2. Die Absetzung der erhaltenen Zahlungen von der Bilanzposition „Fertigungsaufträge mit aktivischem Saldo” aus langfristigen Fertigungsaufträgen spricht darüber hinaus für das Bestehen einer nicht finanziellen Verbindlichkeit, d.h., die Finanzierungstätigkeit des Kunden ist vielmehr als Tilgungsleistung auf die Forderung aus Auftragserlösen anzusehen.
  3. In einer Analogie zu IFRIC 1.8 sind auch Aufwendungen aus der Aufzinsung von langfristigen Rückstellungen nicht als Fremdkapitalkosten aktivierbar.

Im Ergebnis stellen daher zur Sicherung nicht finanzieller Verbindlichkeiten gezahlte Avalprovisionen keine Fremdkapitalkosten gemäß IAS 23 dar. Davon unabhängig können sie sich nach IAS 11 jedoch indirekt auf die Höhe der Aktivierung auswirken.

[890] Vgl. Zeyer/Eppinger/Seebacher, PiR 2010, 67 (67 f.).

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