Tz. 8

Der Grundsatz der Bilanzidentität, der auch als Grundsatz des Bilanzzusammenhangs bezeichnet wird, gehört zum Grundsatz der Bilanzkontinuität; als Bewertungsgrundsatz betrifft er die materielle Bilanzkontinuität. Danach müssen die Wertansätze in Eröffnungs- und Schlussbilanz miteinander übereinstimmen. Er bildet die Voraussetzung für den Grundsatz der Periodenabgrenzung. Der Grundsatz der Bilanzidentität bewirkt, dass sich Falschbewertungen tendenziell über die Folgeperioden ausgleichen – jedenfalls im Falle abschreibungspflichtiger Güter.[7] Er bewirkt aber auch, dass Falschbewertungen grundsätzlich nicht lediglich für die Folgeperiode berichtigt werden dürfen, denn dann würde der berichtigte Wert in der Eröffnungsbilanz nicht mehr mit dem Wert der Schlussbilanz übereinstimmen. Das gilt auch bei Nichtigkeit der Bilanz.[8] Gleichwohl werden zahlreiche Ausnahmen zugelassen, sodass oft eine Anpassung der Werte nicht in den Abschlüssen vergangener Jahre, sondern nur für die Zukunft erfolgen muss (ausführlich dazu vgl. Kapitel 19 Tz. 59 ff.). Werden Anpassungen in laufender Rechnung vorgenommen, so sind sie im Anhang zu erläutern.[9]

 

Tz. 9

Der Grundsatz der Bilanzidentität ist nicht ausnahmslos gewährleistet. Abweichungen sind nach Maßgabe des § 252 Abs. 2 HGB zulässig. Erforderlich ist, dass eine sachlich begründete Ausnahme vorliegt. Das ist selten der Fall. Als mögliche Ausnahmen werden insbesondere die nachfolgend beschriebenen Konstellationen diskutiert.[10]

[7] Merkt, in: Baumbach/Hopt, § 252 HGB Rn. 6.
[8] ADS, § 252 HGB Rn. 20; Kleindiek, in: GroßKo-HGB, § 252 Rn. 10; Winnefeld, Bilanz-Hdb., Kapitel E Rn. 19.
[9] IDW RS HFA 6 Rn. 15 ff., WPg Supplement 2/2007, 77.
[10] Nach ADS, § 252 HGB Rn. 15 ff.

aa1) Auswirkungen von Gewinnverwendungsbeschlüssen

 

Tz. 10

Die erste Konstellation ist die Änderung von Bilanzposten aufgrund der konkreten Gewinnverteilung, wenn diese zum Stichtag noch nicht beschlossen war. In der Praxis ist es nicht unüblich, bei der Einbuchung der Werte aus der Vorjahresbilanz für die nachfolgende Bilanz die inzwischen vorliegenden Gewinnverwendungsbeschlüsse zu berücksichtigen.[11] Zutreffend erscheint es, die Veränderungen infolge der Gewinnverwendung über die GuV zu buchen und entsprechend bilanziell nachzuvollziehen, anstatt die "Abkürzung" über eine direkte Anpassung der Bilanzposten zu wählen.[12] Zwar ändert sich der materielle Gehalt der Bilanz durch die direkte Erfassung nicht, die formelle Veränderung ist aber so besser nachvollziehbar.

[11] Für Zulässigkeit dieses Vorgehens: Baetge/Ziesemer/Schmidt, in: Baetge/Kirsch/Thiele, BilR, § 252 HGB Rn. 27; Winkel­johann/Büssow, in: BeckBilKo, § 252 HGB Rn. 8.
[12] Fülbier/Kuschel/Selchert, in: HdR, § 252 HGB Rn. 35; Kreipl/Müller, in: Bertram u. a., HGB, § 252 HGB Rn. 22.

aa2) Vermögensübertragungen im Stichtagsmoment ("Mitternachtsgeschäfte")

 

Tz. 11

Angesprochen sind hier Umwandlungen, insbesondere Verschmelzungen, und Anteilsübertragungen in der juristischen Sekunde zwischen zwei Geschäftsjahren ("Mitternachtsgeschäfte").[13] In der Praxis wird der Übertragungszeitpunkt mitunter auf den Stichtag, 24:00 Uhr gelegt. Teilweise wird stattdessen das Datum konkret angegeben, wobei aber verschiedene Schreibweisen möglich sind:

  • Variante 1: 31.12., 24:00 Uhr
  • Variante 2: 01.01., 0:00 Uhr
  • Variante 3: 31.12., 24:00 Uhr/01.01., 0:00 Uhr

Rein tatsächlich handelt es sich bei dem Zeitpunkt der Vermögensübertragung immer um dieselbe Sekunde. Fraglich ist jedoch, welchem Geschäftsjahr der Übertragungsakt auf Seiten des Veräußerers und des Erwerbers jeweils zuzuordnen ist, wenn Stichtag für Veräußerer und Erwerber der 31.12. ist. Dies ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden.[14] Regelmäßig wird sich aus den Umständen ergeben, dass die Parteien den Willen hatten, den Veräußerungsvorgang auf den letzten Moment des alten Geschäftsjahres zu legen, den Erwerbsvorgang hingegen auf den ersten Moment des neuen Geschäftsjahres.[15] Der Veräußerer muss daher den Vermögensabgang im alten Geschäftsjahr erfassen, der Erwerber im neuen. Die Schlussbilanz des Veräußerers weist den Vermögensgegenstand daher nicht mehr aus, die GuV zeigt wertmäßig den Abgang. Die Eröffnungsbilanz des Erwerbers zeigt den Vermögensgegenstand nicht; er wird am 01.01. als Zugang buchhalterisch erfasst, erscheint aber erst in der Bilanz des neuen Geschäftsjahres. Konsequenz: der Vermögensgegenstand ist faktisch zum Stichtag, auf den die Transaktion stattfindet, in keiner Bilanz sichtbar; allerdings ist der Vorgang gem. § 284 Abs. 3 HGB im Anhang anzugeben.

 

BEISPIEL

Die A-GmbH veräußert ihre Beteiligung an der X-GmbH an die B-AG. Als Übertragungszeitpunkt wird der 31.12.2015, 24:00 Uhr/01.01.2016, 0:00 Uhr festgelegt. Wird wie vorgeschlagen bilanziert ist die Beteiligung zuletzt bilanziell sichtbar in der Bilanz der A-GmbH zum 31.12.2014. In der Bilanz zum 31.12.2015 weisen weder die A-GmbH noch die B-AG die Beteiligung aus. In der Bilanz zum 31.12.2016 ist die Beteiligung in der Bilanz der B-AG sichtbar.

Teilweise wird als Ausnahme zum Grundsatz der Bilanzkontinuität vorgeschlagen, ...

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