aa) Das Verständnis der h. M.

 

Tz. 628

Ist der Erfüllungsbetrag einer Verbindlichkeit höher als ihr Ausgabebetrag "darf" aus dem Unterschiedsbetrag (Disagio, Damnum) ein aktiver RAP gebildet werden.

 

Tz. 629

Nach h. M. stellt Abs. 3 entgegen teils vertretener Ansicht keine Bilanzierungshilfe und auch keinen Mischposten dar. Vielmehr handele es sich um einen echten RAP.[683] So verstanden, begründet Abs. 3 eine Ausnahme zum Vollständigkeitsgebot: Geht es um das Disagio, so braucht keine Abgrenzung stattzufinden, sondern es besteht ein Wahlrecht. Wird aber abgegrenzt, dürfen nach h. M. Bearbeitungsentgelte, Verwaltungs- und Abschlussgebühren nicht einbezogen werden. Denn diesen fehle als einmalige Zahlung der Charakter der Periodenabgrenzung.

[683] ADS, § 250 HGB Rn. 84; Hennrichs, in: MüKo-BilR, § 250 HGB Rn. 44; Kleindiek, in: GroßKo-HGB, § 250 HGB Rn. 29.

bb) Kritik

 

Tz. 630

Indes erscheint eine andere Lesart der Norm überzeugender: Im Falle des Disagios spielt es dem Wortlaut zufolge keine Rolle, ob die vorausbezahlten Zinsen oder Gebühren tatsächlich Aufwand für bestimmte Zeit der kommenden Berichtsperiode(n) darstellen. Das ist nämlich bei Abschlussgebühren usw. gerade nicht der Fall. Demnach dürfte im Falle des Disagios auf die Unterscheidung zwischen einmaligen Gebühren und vorausbezahlten Zinsen verzichtet werden. Stattdessen ist das so aktivierte Disagio für Kapitalgesellschaften gem. § 268 Abs. 6 HGB gesondert auszuweisen oder im Anhang zu erläutern. Mit dieser Lesart lässt sich auch begründen, warum Abs. 3 Satz 2 im Gegensatz zu den Abs. 1 und 2 eine Abschreibungsregelung für den Unterschiedsbetrag enthält. Zudem war die entsprechende Regelung vor dem BiRiLiG noch unter den Bewertungsvorschriften für Verbindlichkeiten enthalten, historisch also nicht speziell auf RAPs zugeschnitten. Das spricht ebenfalls gegen die Perspektive der h. M., das Disagio als Sonderfall des aktiven RAPs zu begreifen.

 

Tz. 631

Diese Auffassung widerspricht nicht der Rechtsprechung des BFH, weil die Steuergesetze eine entsprechende Sonderregelung wie Abs. 3 nicht kennen; folglich muss sie nur fragen, ob die Merkmale eines aktiven RAPs vorliegen. Dabei geht die Rechtsprechung i. d. R. davon aus, dass auch das Disagio nichts anderes ist als zusätzlich geleistete Vergütung für die Kapitalüberlassung und damit zinsähnlich.[684] Hat sie doch eher den Charakter einer Einmalzahlung, lässt der BFH einen RAP nicht zu. Handelsrechtlich könnten diese Kosten nach dieser Auffassung gem. Abs. 3 angesetzt werden.

cc) Wahlrecht und Stetigkeit

 

Tz. 632

Nach h. M. begründet die Formulierung "darf … aufgenommen werden" ein Wahlrecht.[685] Dieses ist stetig (vgl. § 246 Abs. 3 HGB) auszuüben. Die früher zulässige Praxis, auch lediglich die teilweise Aktivierung des Unterschiedsbetrages zuzulassen ist ebenso mit dem Gesetz unvereinbar wie die Entscheidung, lediglich für einige Verbindlichkeiten den Unterschiedsbetrag zu aktivieren, für andere hingegen nicht.[686] Für die Änderung der einmal gewählten Ansatzmethode bedarf es wichtiger Gründe (vgl. § 252 Abs. 2 HGB).

[685] A. A. – soweit ersichtlich – nur Hennrichs, in: MüKo-BilR, § 250 HGB Rn. 43.
[686] Hennrichs, in: MüKo-BilR, § 250 HGB Rn. 44; Kleindiek, in: Großko-HGB, § 250 HGB Rn. 35; Schubert/Krämer, in: BeckBilKo, § 255 HGB Rn. 45 f.; a. A. Kirsch, in: Bonner HdR, § 250 HGB Rn. 112; Trützschler, in: HdR, § 250 HGB Rn. 82.

dd) Abschreibung

 

Tz. 633

Gem. Abs. 3 Satz 2 ist der Unterschiedsbetrag durch planmäßige Abschreibungen (§ 253 Abs. 3 HGB, vgl. Kapitel 6 Tz. 102 ff.) zu tilgen. Die Abschreibungen können auf die gesamte Laufzeit der Verbindlichkeit verteilt werden, aber auch auf einen kürzeren Zeitraum.[687] Außerplanmäßige Abschreibungen sieht die Norm nicht vor. Die h. M. will sie gleichwohl zulassen und erlaubt zum Teil sogar freiwillige außerplanmäßige Abschreibungen.[688] Nach überzeugender Ansicht ist stattdessen ggf. eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden,[689] freiwillige (willkürliche) Abschreibungen scheiden aus.[690]

[687] Hennrichs, in: MüKo-BilR, § 250 HGB Rn. 44; Prinz, in: KK-RechnR, § 250 HGB Rn. 23; Schubert/Krämer, in: BeckBilKo, § 255 HGB Rn. 45 f.
[688] ADS, § 250 HGB Rn. 99; Schubert/Krämer, in: BeckBilKo, § 255 HGB Rn. 51.
[689] Hennrichs, in: MüKo-BilR, § 250 HGB Rn. 48.
[690] Ballwieser, in: MüKo-HGB, § 250 HGB Rn. 19; Hennrichs, in: MüKo-BilR, § 250 HGB Rn. 49; Kleindiek, in: Großko-HGB, § 250 HGB Rn. 35.

ee) Passiver RAP beim Gläubiger

 

Tz. 634

Der Gläubiger hat die Verbindlichkeit zum Erfüllungsbetrag anzusetzen (§ 253 Abs. 1 Satz 2 HGB). Dementsprechend hat (kein Wahlrecht) der Darlehensgeber den Unterschiedsbetrag zwischen Ausgabe- und Erfüllungsbetrag passiv abzugrenzen. Das gilt jedoch nur für den Betrag, der als vorausbezahlter Zins anzusehen ist; andere, einmalige Kosten sind direkt als Ertrag zu erfassen.[691]

[691] Hennrichs, in: MüKo-BilR, § 250 HGB Rn. 50; Kleindiek, in: Großko-HGB, § 250 HGB Rn. 36.

ff) Passiver Unterschiedsbetrag

 

Tz. 635

Der Ansatz eines passiven Unterschiedsbetrages beim Ausgabeaufgeld ist gesetzlich nicht v...

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