Tz. 7

Ausgehend davon, dass der Begriff des Vermögensgegenstandes nicht näher gesetzlich konkretisiert ist, kreist die Diskussion seit Jahren um seine Definition. Zugleich verwendet das Steuerrecht statt Vermögensgegenstand den Begriff Wirtschaftsgut. Die Rechtsprechung des BFH versteht beide ausdrücklich synonym.[5] Tatsächlich sind die Perspektiven des Handels- und des Steuerrechts durchaus verschieden.[6] Während die Rechtsprechung für die Aktivierbarkeit eines Gutes auch weiterhin darauf abstellt, ob dieses selbständig bewertbar ist,[7] geht jedenfalls seit dem BilMoG die wohl überwiegende handelsrechtliche Literatur[8] in Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung[9] davon aus, dass eine selbständige Verwertbarkeit erforderlich ist. Die Unterschiede sind praktisch selten relevant, aber auch nicht vollständig zu vernachlässigen.[10] Zudem ist jedenfalls im Hinblick auf immaterielle Vermögensgegenstände umstritten, ab welchem Zeitpunkt des Herstellungsvorgangs ein aktivierbarer Vermögensgegenstand vorliegt. Ausgangspunkt ist auch hier die Regierungsbegründung zum BilMoG, welche einen Ansatz schon dann für möglich erachtet, wenn die Entstehung eines aktivierbaren Vermögensgegenstandes mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.[11] Die Praxis orientiert sich an der Rechtsprechung des BFH.

 

Tz. 8

Ein weiteres Spannungsverhältnis besteht zum Assetkonzept nach IFRS, das selbst nicht für alle Arten von Vermögenswerten einheitlich ist. Nach dem Framework[12] ist Voraussetzung für einen Ansatz generell, dass eine Ressource aufgrund vergangener Ereignisse in der Verfügungsmacht des Unternehmens steht und dass von ihr erwartet werden kann, dem Unternehmen werde künftig ein wirtschaftlicher Nutzen zufließen.[13] Dieser Formulierung dürfte auch der oben genannten Auffassung des Gesetzgebers zum Aktivierungszeitpunkt originärer immaterieller Vermögensgegenstände entlehnt sein. Zahlreiche Standards verfolgen aber themenspezifisch andere Ansatzkonzepte, sodass ein geschlossenes und stimmiges System nach IFRS nicht vorliegt.[14] Wie unter diesen Umständen eine nach Art und Umfang sinnvolle und systemkonforme Annäherung der HGB-Rechnungslegung an die sich ebenfalls stetig weiterentwickelnden IFRS möglich ist, gehört zu den künftigen Aufgaben von Gesetzgeber, Wissenschaft und Praxis.

 

Tz. 9

Diskutiert wird zudem die Reichweite des Vollständigkeitsgebots. Dieses konfligiert mit dem Prinzip der Wesentlichkeit, das europarechtlich in Art. 6 Abs. 1 j) EU-Bilanzrichtlinie festgeschrieben ist. Entgegen dem tradierten deutschen Verständnis gilt das Wesentlichkeitsgebot danach auch für Ansatzfragen, und zwar auch auf der Passivseite der Bilanz. Die Richtlinie sieht in Art. 6 Abs. 4 zwar ein Mitgliedstaatenwahlrecht vor, sodass in Anbetracht der Bedeutung der Bilanz für die Kapitalerhaltung in Deutschland eine Beschränkung des Gebotes der Wesentlichkeit auf den Ausweis möglich wäre, um jedenfalls eine vollständige Erfassung (auch unwesentlicher) Passiva zu gewährleisten.[15] Eine entsprechende Ausübung des Wahlrechts hat der Gesetzgeber jedoch unterlassen (vgl. Tz. 20 ff.).

[6] Ausführlich Anzinger, Kommentar zu § 5 EStG, in: Hermann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, Kommentar, Loseblatt, Köln, Stand Oktober 2015, Rn. 160 ff.
[8] ADS, § 246 HGB Rn. 28; Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, Kap. III. 164; Hennrichs, in: MüKo-BilR, § 246 HGB Rn. 30; Schülke, DStR 2010, 992 (993).
[9] BT-Drucks. 16/10067, 50.
[10] Schülke, StB 2012, 121 f. (Spielberechtigung von Profifußballspielern).
[11] BT-Drucks. 16/10067, 60; klarstellend aber BT-Drucks. 16/12407, 85.
[12] Zur Verbindlichkeit des Framework näher Merkt, Zfbf 2014, 477 (483 ff.).
[13] CF 4.4 (a).
[14] Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, Kap. III 5.1.
[15] Arbeitskreis Bilanzrecht der Hochschullehrer Rechtswissenschaft, BB 2014, 2731.

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