cc1) Schwebende Geschäfte

 

Tz. 18

Schwebende Geschäfte sind zweiseitig verpflichtende Rechtsverhältnisse, die auf Leistungsaustausch gerichtet sind und bei denen die Hauptleistungspflicht noch nicht vollständig erbracht ist.[21] Schwebende Geschäfte sind nicht zu bilanzieren. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist nach dem Äquivalenzprinzip (vgl. Kapitel 6) von der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung auszugehen, so dass der Ausweis schwebender Geschäfte nur eine Bilanzverlängerung bedeutet.[22] Gleichzeitig entspricht die Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte dem Realisationsprinzip, denn typischerweise ist in der Gegenforderung ein Gewinnanteil enthalten, der andernfalls vereinnahmt würde.[23] Droht aus dem schwebenden Geschäft ein Verpflichtungsüberschuss oder gerät der Schuldner in Erfüllungsrückstand, ist das Gleichgewicht der gegenseitigen Ansprüche gestört und Rückstellungsbildung (§ 249 Abs. 1 Satz 1, 2 HGB) oder Verbindlichkeitsansatz erforderlich.

 

Tz. 19

Der Schwebezustand beginnt mit Abschluss des Rechtsgeschäfts und endet, wenn der Sachleistungsverpflichtete seine Leistung erbracht hat; er kann nun seine Forderung ansetzen (vgl. Kapitel 7 Tz. 33 ff.).

[21] BFH v. 23.6.1997, GrS 2/93, DStR 1997, 1442 (1443 f.); Hennrichs, in: MüKo-BilR, § 246 HGB Rn. 134; Kleindiek, in: GroßKo-HGB, § 246 HGB Rn. 59; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 246 HGB Rn. 21.
[23] Kleindiek, in: GroßKo-HGB, § 246 HGB Rn. 59; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 246 HGB Rn. 21.

cc2) Grundsatz der Wesentlichkeit

 

Tz. 20

Ob der Grundsatz der Wesentlichkeit eine Einschränkung des Vollständigkeitsgebotes rechtfertigt, ist derzeit in der Diskussion und insbes. für den Ansatz der Passiva problematisch. Ausgangspunkt der Diskussion ist, dass Art. 6 Abs. 1 j) EU-Bilanzrichtlinie den Wesentlichkeitsgrundsatz für Ansatz, Bewertung und Ausweis vorschreibt, während er im HGB nicht ausdrücklich normiert ist. Die Frage ist daher, ob damit die Richtlinie defizitär umgesetzt ist oder ob sie über einen möglicherweise existierenden GoB der Wesentlichkeit hinreichend transformiert wurde.

cc3) Wesentlichkeitsprinzip als GoB

 

Tz. 21

Ausgehend von dem Befund fehlender Benennung im HGB stellt sich zunächst die Frage nach der Existenz eines GoB der Wesentlichkeit. Diese wird heute im Grundsatz bejaht, wofür mehrere Argumente sprechen. Auch im deutschen Bilanzrecht des HGB gibt es einige Vorschriften, die eine exakte Erfassung nicht fordern und stattdessen die gesammelte Erfassung von Gütern, ihre Bewertung als Gruppe oder das Weglassen bestimmter Informationen beim Ausweis erlauben:

  • Sammelposten gem. § 240 Abs. 3 HGB im Inventar: "für das Unternehmen von nachrangiger Bedeutung"
  • Gruppenbewertung bestimmter gleichartiger Vermögensgegenstände gem. § 240 Abs. 4 HGB: "dürfen mit dem gewogenen Durchschnittswert angesetzt werden"
  • Bewertungsvereinfachungsverfahren gem. § 256 HGB
  • Ausweis künftig zu erwartender, aber noch nicht entstandener Verbindlichkeiten gem. § 268 Abs. 4 HGB, wenn diese "einen größeren Umfang haben"

Der Gesetzgeber des BiRiLiG von 1985 hat ferner an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen, dass mit entsprechenden Vereinfachungen dem Grundsatz der "Wesentlichkeit" entsprochen werde, "der schon heute als Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung sowohl für den Jahresabschluß als auch für den Konzernabschluß anerkannt" sei.[24] Überdies werden vielfach praktische Zwänge ins Feld geführt, die für die Anerkennung des Grundsatzes streiten.[25]

 

Tz. 22

Daher wird heute überwiegend der Grundsatz der Wesentlichkeit als GoB angesehen, der jedenfalls für die Bewertung gilt.[26] Hier wird er zur Begründung herangezogen, dass bestimmte "unwesentliche" Abweichungen nicht zur Fehlerhaftigkeit der Bilanzierung führen.[27] Auch in der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen und Wahlrechten kann ein Ausdruck des Wesentlichkeitsprinzips gesehen werden,[28] konturiert wird er hingegen hierdurch kaum.

[24] BT-Drucks. 10/04268, 115.
[25] Krumm, in: Blümich, EStG, § 5 EStG Rn. 259; Marx, FR 2011, 267 (269); Scheffler, Der Grundsatz der Wesentlichkeit bei Rechnungslegung und Bilanzkontrolle, in: Kirsch/Thiele (Hrsg.), Festschrift zum 70. Geburtstag von Jörg Baetge, Düsseldorf 2007, 505 (510).
[26] Marx, FR 2011, 267 (268); Mekat, Der Grundsatz der Wesentlichkeit in Rechnungslegung und Abschlussprüfung, Baden-Baden 2009, 78 ff. m. w. N.
[27] Krumm, in: Blümich, EStG, § 5 EStG Rn. 259.
[28] Scheffler, Der Grundsatz der Wesentlichkeit bei Rechnungslegung und Bilanzkontrolle, in: Kirsch/Thiele (Hrsg.), Festschrift zum 70. Geburtstag von Jörg Baetge, Düsseldorf 2007, 505 (512).

cc4) Relevanz für Fragen des Bilanzansatzes?

 

Tz. 23

Ob der Grundsatz der Wesentlichkeit auch Auswirkungen auf den Ansatz und damit auf das Vollständigkeitsgebot hat, wird selten problematisiert. Soweit die Frage angesprochen wird, ist sie auf die Aktivseite der Bilanz bezogen. Teilweise wird hier eine Relativierung des Vollständigkeitsgrundsatzes durch den der Wesentlichkeit generell abgelehnt.[29] Die Steuerrechtsprechung hat in erster Linie Bewertungsfragen im Lichte der Wesentlichkeit be...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Merkt, Rechnungslegung nach HGB und IFRS (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge