a) Vollständigkeitsgebot

aa) Auswirkung auf die Bilanz

aa1) Ansatzrecht und Ansatzpflicht

 

Tz. 10

Die bilanzielle Abbildung eines ökonomischen Sachverhalts setzt die Existenz eines Vermögensgegenstands, einer Schuld, eines Rechnungsabgrenzungspostens oder eines Sonderpostens voraus. Diese müssen sich dem bilanzierenden Kaufmann zurechnen lassen. Das ist der Fall, wenn der jeweilige Wert dem Betriebsvermögen des Kaufmanns rechtlich oder zumindest wirtschaftlich zuzurechnen ist.

 

Tz. 11

Führt ein Sachverhalt weder zu einem Vermögensgegenstand noch zu einer Schuld ist bereits das Kriterium der abstrakten Aktivierbarkeit nicht erfüllt, weshalb die bilanzielle Abbildung des Sachverhalts – abgesehen von Sonderfällen wie den Rechnungsabgrenzungsposten – ausscheidet.

 

Tz. 12

Gleichwohl rechtfertigt das Vorliegen allein der abstrakten Aktivierbarkeit nicht immer die Bilanzierung. Zusätzlich zur abstrakten muss auch die konkrete Aktivierbarkeit gegeben sein. Diese liegt vor, wenn keine Ausnahmeregelung den Ansatz trotz abstrakter Aktivierbarkeit eines Wertes ausnahmsweise verbietet.[16] Eine solche Ausnahme besteht etwa für bestimmte selbsterstellte Vermögensgegenstände des Anlagevermögens gem. § 248 Abs. 2 Satz 2 HGB oder für Forderungen aus schwebenden Geschäften (vgl. Tz. 18 ff.).

 

Tz. 13

Daraus folgt:

  1. Keine Bilanzierung bei Fehlen der abstrakten Aktivierbarkeit
  2. Keine Bilanzierung, wenn es an der konkreten Aktivierbarkeit fehlt
  3. Bilanzierungspflicht eines Wertes, wenn dieser am Bilanzstichtag beim Unternehmen einen abstrakt und konkret aktivierbaren Vermögensgegenstand darstellt
 

Tz. 14

Eine Schuld ist erst dann passivierbar, wenn die Verpflichtung mit gewisser Wahrscheinlichkeit besteht. Dies stellt eine zentrale Konzeption der Erfassung von Verbindlichkeiten dar. Der Bilanzersteller soll nicht mehr "Schuld auf sich nehmen" müssen als er in Wirklichkeit trägt.

Teilweise wird auch auf der Passivseite zwischen abstrakter und konkreter Passivierbarkeit unterschieden. Trotz Vorliegens einer bilanziellen Schuld kann die konkrete Passivierbarkeit fehlen. Das ist dann der Fall, wenn eine bestehende Schuld aufgrund entgegenstehender handelsrechtlicher Vorschriften oder Grundsätze ausnahmsweise nicht passiviert werden darf. Daher kann beispielweise der Grundsatz der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte (vgl. Tz. 18) als Fall fehlender konkreter Passivierbarkeit verstanden werden. Auch der Ausweis des Eigenkapitals, also von Forderungen der Gesellschafter gegen die Gesellschaft mit bestimmter Zwecksetzung (vgl. Tz. 76), zählt dazu.[17] Schließlich besteht ein Passivierungswahlrecht für mittelbare Pensionsverpflichtungen (vgl. Kapitel 6 Tz. 189). Damit fehlt es jedenfalls trotz Vorliegens der Voraussetzungen einer ungewissen Verbindlichkeit an einer konkreten Passivierungspflicht. Explizite Passivierungsverbote für Schulden kennt in erster Linie das Steuerrecht.[18]

[16] Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, Kap. III. 211.
[17] Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, Kap. III. 322.
[18] Winnefeld, Bilanz-Hdb., Kap. D. Rn. 860 f.

aa2) Sachliche Zuordnung zum Vermögen "des Kaufmanns"

 

Tz. 15

In die Handelsbilanz des Kaufmanns aufzunehmen ist nur das Vermögen, das dem Gewerbebetrieb (§ 1 HGB) zuzuordnen ist, nicht auch das Privatvermögen des Kaufmanns. Im Falle von Handelsgesellschaften bereitet dies keine Probleme. Sie haben eigenes Gesellschaftsvermögen. Das gilt sowohl für Kapitalgesellschaften, die als juristische Person selbst Rechtsträger sind, als auch für Personengesellschaften, deren Vermögen gesamthänderisch gebunden ist. Entscheidend ist, ob die Vermögensgegenstände über die einschlägigen Vertretungsvorschriften für die Gesellschaft erworben wurden.[19] Steuerrechtliches Sonderbetriebsvermögen, das den Gesellschaftern gehört, aber dennoch in der Bilanz des Unternehmens auszuweisen ist, gibt es handelsrechtlich nicht. Im Gegensatz zu Handelsgesellschaften haben Einzelkaufleute sowohl eine unternehmerische als auch eine private Vermögenssphäre. Die Merkmale zur Abgrenzung beider Sphären sind handelsrechtlich nicht vorgeschrieben, die Praxis orientiert sich an den steuerrechtlichen Vorgaben. Maßgeblich ist danach die Nutzung des Vermögensgegenstandes. Es gilt:[20]

  • Wird der Vermögensgegenstand zu mehr als 50 % betrieblich genutzt, gehört er zum Betriebsvermögen.
  • Wird er zu weniger als 10 % betrieblich genutzt, ist er Privatvermögen.
  • Im Falle einer betrieblichen Nutzung zwischen 10 % und 50 % besteht ein Wahlrecht, das durch die faktische Behandlung in der Buchführung ausgeübt wird, die sich aber an den tatsächlichen Gegebenheiten orientieren muss und nicht willkürlich sein darf.

Eine Aufspaltung einzelner Vermögensgegenstände nach betrieblicher und privater Nutzung erfolgt nicht. Zur Problematik, insbes. bei Grundstücken vgl. Tz. 30.

[19] Hennrichs, in: MüKo-BilR, § 246 HGB Rn. 152.
[20] Förschle/Ries, in: BeckBilKo, § 246 HGB Rn. 58 ff.

aa3) Persönliche Zuordnung zwischen einzelnen Kaufleuten

 

Tz. 16

Die persönliche Zuordnung von Vermögensgegenständen und Schulden richtet sich im Grundsatz nach der rechtlichen Stellung als Gläubiger bzw. Schuldner. Sofern die Vermögensgegenstände – nicht Schulden – jedoch wirtschaftlich einem anderen Kaufmann zu...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Merkt, Rechnungslegung nach HGB und IFRS (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?


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