1. Einleitung
a) Überblick
Tz. 128
Die Rechnungslegungsgrundsätze für den Jahresabschluss nach IFRS bilden wie die GoB ein Gesamtsystem, das sich aus den Rechnungslegungszwecken (inneres System) und daraus abgeleiteten Rechnungslegungsprinzipien und -grundsätzen (äußeres System) zusammensetzt. Die Rechnungslegungszwecke sind als inneres System durch die Vorgängerorganisation des IASB, das IASC, im Rahmenkonzept (framework) dokumentiert worden. Sie werden durch das Rahmenkonzept aber nicht abschließend abgebildet, sondern sind auch in einzelnen Standards, vor allem in IAS 1, oder auch gar nicht kodifiziert. Die Rechnungslegungszwecke der IFRS können sich wie die GoB durch die Gesamtheit der Standards und die Verkehrserwartungen weiterentwickeln, ohne im Rahmenkonzept oder in den Standards geändert zu werden. Diese Verselbständigung des inneren Systems ergibt sich zwangsläufig in dem Umfang, in dem die Standards dem Einfluss des Standardsetters entzogen und Gegenstand der betriebswirtschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Forschung und der Rechtsanwendung werden. Durch die Übernahme in Unionsrecht wird dieser Prozess beschleunigt. Auch die Rechnungslegungsprinzipien und -grundsätze (äußeres System) sind teilweise im Rahmenkonzept, überwiegend aber in den einzelnen Standards, insbesondere IAS 1, 8 und 10 formuliert. Die Rechnungslegungsgrundsätze der IFRS werden durch die herausgehobene Rolle der Risikokapitalgeber als stellvertretendes Modell für alle Abschlussadressaten geprägt. Daraus ergibt sich die Kapitalmarktorientierung der IFRS, die sich in den einzelnen Bilanzierungsgrundsätzen widerspiegelt. Dieser augenscheinliche Unterschied darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die IFRS in einigen Bilanzierungsgrundsätzen mit den GoB übereinstimmen.
b) Entstehungsgeschichte
Tz. 129
Bis 1989 entwickelten sich die Rechnungslegungsgrundsätze für den Jahresabschluss nach IFRS ohne dokumentierte Leitlinien allein durch die kasuistischen Festschreibung von Kompromissen zwischen den vorherrschenden Bilanzierungsregeln (sog. best practice) der damaligen im IASC vertretenen Länder.[336] Entsprechend der Zusammensetzung des IASC[337] dominierte der Einfluss der angloamerikanischen Bilanzierungstradition (vgl. Kapitel 1). Ein konzeptionell gefestigtes System der Bilanzierungszwecke und Bilanzierungsgrundsätze bestand nicht.
Das Rahmenkonzept wurde 1989 vom IASC als Leitlinie für die Entwicklung weiterer Standards, aber auch als Auslegungshilfe veröffentlicht und war geprägt durch den Rechtsvergleich mit dem Conceptual Framework des amerikanischen Standardsetzers FASB.[338] Im Jahr 2001 wurde es unverändert vom IASB übernommen. Dieses Rahmenkonzept von 1989 ist die Grundlage für die meisten bisher in Unionsrecht überführten Standards. Die Hoffnung, mit einem Rahmenkonzept könnte sich ein prinzipienbasiertes Rechnungslegungssystem entwickeln hat sich bis heute nicht erfüllt.[339]
Von 2004–2010 arbeiteten IASB und das FASB an einem gemeinsamen Rahmenkonzept (joint conceptual framework project).[340] Das Gesamtprojekt war in acht Teilphasen aufgeteilt.[341] Ziel war ein prinzipienbasiertes, in sich geschlossenes und international akzeptiertes Rahmenkonzept, welches gewährleistet, dass IFRS-Abschlüsse Informationen für Investitionen, Kreditgewährung und ähnliche Entscheidungssituationen bereitstellen. Aus der Perspektive des IASB sollten die IFRS damit noch stärker auf das Ziel einer kapitalmarktorientierten Finanzberichterstattung ausgerichtet werden.[342] Abgeschlossen wurde im gemeinsamen Projekt nur Phase A, Ziele und qualitative Anforderungen (objectives and qualitatives characteristics), mit der Veröffentlichung der neu gefassten Kapitel 1, The Objective of General Purpose Financial Reporting und Kapitel 3, Qualitative Characteristics of Useful Financial Information in einem überarbeiteten Rahmenkonzept vom 28.9.2010.[343] Wesentliche Unterschiede bestehen in der Zwecksetzung der Rechnungslegung. Das Rahmenkonzept 2010 akzentuiert die Kapitalmarktorientierung und den Fair-Value-Gedanken[344] und lässt die Dokumentations- und Rechenschaftsfunktion zurücktreten.[345] Das Vorsichtsprinzip, das bereits im Rahmenkonzept 1989 nur als Sorgfaltsmaßstab formuliert war (vgl. IASC F.37 (1989)), wurde ganz aufgegeben. IASB und FASB sahen es als mit dem Neutralitätsgrundsatz unvereinbar an.[346] Seit 2010 mischen sich im Rahmenkonzept mit den alten und neuen Teilen auch die älteren und jüngeren Zielsetzungen. In der Praxis wird nach wie vor das Rahmenkonzept von 1989 stärker wahrgenommen, weil nur dieses durch die Europäische Kommission amtlich veröffentlicht und deshalb im Unterschied zu den jüngeren Teilen des Rahmenkonzepts lizenzfrei nachgedruckt werden kann.[347]
IAS 1 vereint heute einzelne Rechnungslegungsgrundsätze die früher über verschiedene Standards verstreut waren. Rahmengrundsätze der Bilanzierung skizzierten bereits der 1975 herausgegebene IAS 1: Angaben zu Bilanzierungs- un...
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