Tz. 86

Die rechtspolitische Diskussion und die Entwicklung des Handelsbilanzrechts wird von den unions­rechtlichen Bezügen, von den Einflüssen der internationalen Rechnungs­le­gungs­stan­dards, des Steuer­bilanzrechts, des Gesellschaftsrechts, von der Ausbildung der Rechts­an­wen­der und von wirt­schaftlichen Interessen getrieben. Neue Erkenntnisse der be­triebs­wirtschaftlichen Forschung erreichen das Handelsbilanzrecht meist nur mittelbar durch die internationalen Rechnungslegungsstandards.

 

Tz. 87

Seit dem BiRiLiG ist das Handelsbilanzrecht mit vorrangigem Unionsrecht verknüpft. Aus dieser Ver­bindung ergibt sich regelmäßiger Anpassungsbedarf und auch kleinere Änderun­gen der Jahresabschlussrichtlinie lösen im nationalen Recht über das notwendige Maß hinaus­rei­chende Reformdiskussionen aus. Zuletzt hat die To­talrevision der Jahresabschlussrichtlinie die rechts­po­li­tische Dis­kus­sion über die Grund­sätze des Jah­res­abschluss belebt. Die Richtlinie er­öffnet neue Mitglied­staaten­wahl­rechte, die in wei­terem Umfang als bisher auch eine Abkehr vom Anschaffungs- und Her­stellungs­kosten­höchst­wertprinzip erlauben wür­den (vgl. Art. 8 der RL). Einige der neu eingefügten Vorschriften eröff­nen darüber hinaus den Weg zu einer wei­te­ren An­nähe­rung an die inter­natio­na­len Rechnungs­legungs­standards. Zu nennen sind die Grund­sätze der wirt­schaftlichen Betrach­tungs­weise, das We­sent­lichkeitsprinzip und das Mit­glied­staaten­wahl­recht einer erfolgsneutralen Neubewertung und erfolgswirksamen Höher­be­wer­tung zum Zeit­wert. Darin erkennen Verfechter unterschied­licher Bilanzierungstraditionen die Ge­legenheit, das fragile Gleichgewicht zwischen Vorsicht und Ein­blick in der handelsrechtlichen Rechnungs­le­gung neu auszutarieren. Von sol­chen Experi­men­ten ist Abstand zu nehmen. Die Er­fah­run­gen mit der Höherbewertung zum beizu­legen­den Zeitwert in den inter­natio­nalen Rech­nungs­legungs­stan­dards sind nicht ermuti­gend. Für kleine und mittlere Unter­nehmen ist eine Be­wer­tung zum Zeitwert zudem mit erhebli­chen Kos­ten verbunden.[196] Die stär­kere Be­to­nung des Grund­satzes der wirtschaftlichen Betrach­tungs­weise und des Wesentlich­keits­prinzips sind aus deutscher Sicht nicht neu. Soweit sie nicht aus­drück­lich geregelt sind, ent­sprechen sie den Grund­sätzen der ordnungsmäßigen Bilanzie­rung. Für die §§ 243 und 264 Abs. 2 HGB hat sich aus der Revision der Jahresabschlussrichtlinie kein Anpassungs­be­darf ergeben.[197] Der Gesetz­geber hat mit dem BilRuG überzeugend keine Änderungen an diesen Vorschriften vorge­nom­men. Auf die Grund­sätze ordnungsmäßiger Bilanzierung könnten allerdings die Erleich­te­rungen für Kleinst­ka­pi­talgesellschaften zurückwirken und eine allgemeine Rekali­brierung des Wesent­lich­keits­grund­satzes bewirken.

 

Tz. 88

Mit dem BilMoG hat das deutsche Handelsbilanzrecht an verschiedenen Stellen Bilanzierungs­grundsätze der internationalen Rechnungslegungsstandards des IASB übernommen. Obgleich es sich dabei nur um punktuelle Angleichungen handelt,[198] hat dies die nicht ganz neue Diskus­sion darüber befeuert, ob mit Blick auf die Internationalisierung der Rechnungslegung eine Neu­aus­richtung der Bilanzierungsgrundsätze nötig sei.[199] Überlegt wurde auch, ob für die ange­gli­chen Bilanzierungsvorschriften die Interpretation der internationalen Rechnungslegungs­stan­dards maßgeblich sei,[200] und daraus eine "schleichende IFRS-Unterwanderung der GoB" dro­hen könnte.[201] Überzeugend sind die Gegenstimmen, die auf die unterschiedlichen Ziel­systeme hinweisen. Während die handels­rechtlichen Bilan­zierungsgrundsätze dem Han­dels- und Gesellschaftsrecht zuzuordnen und auf den Schutz der Gesell­schafter und Gläubiger ausgerichtet sind, folgt die Ausrichtung der internationalen Rech­nungs­legungsstandards dem Ziel, die Kapitalmarktteilnehmer zu schützen. Die IFRS sind im Kern Kapital­marktrecht, nicht nur kapitalmarktorientiert.[202] Schon deshalb verbietet sich deren unbesehene Übernahme in die handelsrechtlichen GoB. Die unterschiedlichen Verortungen und Zweck­setzungen verbieten aber nicht jede übereinstimmende Interpretation. Es ist nicht ausge­schlossen, dass es bei einzelnen Regeln Überschneidungen in den Zielen und der bilanziellen Abbildung des gleichen Sach­verhalts gibt. Der rechtsvergleichende Blick in die internationalen Rechnungs­legungs­stan­dards[203] setzt aber das Bewusstsein für die unterschiedlichen Zwecke und Re­ge­lungs­techniken voraus.

 

Tz. 89

Ein traditionell bedeutsamer Treiber der Entwicklung des Handelsbilanzrechts ist das Steuer­recht (vgl. Kapitel 1). Über den dort geltenden Maßgeblichkeitsgrundsatz kommen regelmäßig gleichermaßen wertvolle wie schädliche Impulse für die rechts­poli­tische Diskussion und Ent­wicklung der Bilan­zierungs­grundsätze. Mit der im handelsrechtlichen Schrifttum vielfach ge­for­derten[204] Aufhebung der Bedingung kongruenter Wahlrechtsausübung für die Inanspruchnahme von Steuerver­günstigungen (Arbeitsbegriff: "umgekehr...

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