Tz. 76
Der durch die Notverordnung über Aktienrecht, Bankenaufsicht und eine Steueramnestie vom 19. September 1931[155] eingefügte § 260b HGB regelte vorübergehend einen weiteren Verweis auf die handelsrechtlichen GoB. Mit dem Aktiengesetz vom 30.1.1937[156] ist diese Vorschrift reformuliert und in § 129 AktG überführt worden.
HGB 1931 | AktG 1937 |
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260b. (1) Für die Aufstellung des Jahresabschlusses kommen, soweit nicht in den §§ 261 bis 261e ein anderes bestimmt ist, die Vorschriften des Vierten Abschnitts des Ersten Buches und im übrigen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung zur Anwendung. (2) Der Jahresabschluß ist so klar und übersichtlich aufzustellen, daß er den Beteiligten einen möglichst sicheren Einblick in die Lage der Gesellschaft gewährt. |
§ 129 Inhalt des Jahresabschlusses (1) Der Jahresabschluß hat den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zu entsprechen. Er ist so klar und übersichtlich aufzustellen, daß er einen möglichst sicheren Einblick in die Lage der Gesellschaft gewährt. (2) Soweit in den folgenden Vorschriften nichts anderes bestimmt ist, sind die Vorschriften des Vierten Abschnitts des Ersten Buchs des Handelsgesetzbuchs über Handelsbücher anzuwenden. |
Tz. 77
Noch bis in die 1960er Jahre herrschte eine handelsrechtliche Perspektive auf die GoB, nach denen diese als Handelsbräuche zu verstehen und als solche durch Sachverhaltsermittlung der kaufmännischen Verkehrsanschauung und der praktischen Übung der Kaufleute zu ermitteln waren.[157] Freilich hatte bereits das Reichsoberhandelsgericht in einer viel zitierten Entscheidung v. 3.12.1873[158] auch deren Charakter als Rechtsgrundsätze adressiert. Spätestens durch die offene Verweisung in § 13 EStG 1925 auf die GoB trat aber neben die vorherrschende handelsrechtliche auch eine steuerrechtliche Sicht auf die GoB (vgl. Kapitel 1), die das Verständnis ihrer Rechtsnatur beeinflusste. Der Reichsfinanzhof erkannte in den GoB Rechtsnormen, die entsprechend dem Zweck und den Zielen des Handelsbilanzrechts zu entwickeln waren.[159]
Besonders augenscheinlich wurde dieses Verständnis nach Inkrafttreten des Aktiengesetzes vom 6.9.1965 das für den Jahresabschluss von Aktiengesellschaften zum Beispiel ein strenges Aktivierungsverbot für selbstgeschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens regelte,[160] das den allgemeinen GoB bis dahin nicht entnommen worden war.[161] Der BFH qualifizierte diese Neuregelungen unmittelbar ohne Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und der praktischen Übung der Kaufleute als allgemeinen Grundsatz der Bilanzierung.[162] Der Vorsitzende Richter des Bundesfinanzhofs Georg Döllerer prägte Ende der 1950er Jahre die Formel, dass die GoB "durch Nachdenken" zu ermitteln seien[163] und die Bundesregierung formulierte Reformvorschläge des Handelsbilanzrechts mit dem Vorverständnis, dass es sich "bei der überwiegenden Zahl der Regelungen des Aktiengesetzes um Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) handelt, die (. . .) von jedem Kaufmann beachtet werden müssen (. . .)"[164]. In der Folgezeit gestaltete, befördert durch das Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes v. 16.5.1969,[165] die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die handelsrechtlichen GoB, wie Beisse bezeichnend formulierte, "mit voller Bindungswirkung" für das Handelsbilanzrecht.[166]
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