Tz. 50

§ 264 Abs. 2 Satz 3 HGB regelt den sog. Bilanzeid. Die Vorschrift wurde erstmals im Jahr 2007 eingeführt (ex § 264 Abs. 2 Satz 3 HGB, sodann § 264 Abs. 2 Satz 5 HGB, nun wieder § 264 Abs. 2 Satz 3 HGB) und setzt Art. 4 Abs. 2c der Transparenzrichtlinie um. Wortlaut und Herkunft zeigen die deutlich kapitalmarktrechtliche Prägung dieser Vorschrift.[88] Die Transparenzrichtlinie will im Zuge europäischer Bankenskandale verlorenes Anlegervertrauen sichern (bzw. zurückerwerben). Im Ergebnis hat die Vorschrift keine Bedeutung, weil sie nichts regelt, was nicht schon geregelt ist.[89] Ihre zweifelhafte Ausgestaltung führt gleichwohl zu Wirkungen, die über bisherige Konzepte zum Bilanzrecht hinausgehen. Gem. § 245 HGB dürfen gesetzliche Vertreter nur ordnungsgemäß erstellte Jahresabschlüsse unterzeichnen. Gem. § 331 HGB war auch bislang schon die unrichtige Wiedergabe von Jahresabschlüssen strafbar. Für Anleger bzw. Gläubiger sind letztlich nur effektive Schadensersatzansprüche relevant. Auch hier führt der Bilanzeid zu keinen Änderungen. Parallelvorschriften für Konzernabschluss bzw. Lagebericht bzw. Konzernlagebericht sind in den §§ 297 Abs. 2 Satz 3, 289 Abs. 1 Satz 5, 315 Abs. 1 Satz 6 HGB zu finden. Der Bilanzeid gehört nicht zum Jahresabschluss, sodass ein Unterlassen weder zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses noch zur Strafbarkeit gem. § 331 Abs. 1 Nr. 3a HGB führt.[90]

 

Tz. 51

Erfasst sind Kapitalgesellschaften gem. § 2 Abs. 7 WpHG. Ausgenommen sind nur Kapitalanlagegesellschaften gem. § 327a HGB. Es muss sich um einen Inlandsemittenten handeln. Das ist ausgeschlossen, wenn die Wertpapiere nur in einem anderen EU-Staat zugelassen sind. Auch bei einem fremden Herkunftsstaat kann trotz (ausschließlicher) Emission in Deutschland § 264 Abs. 2 Satz 3 HGB nicht gelten, weil Emittenten bereits nicht hier bilanzierungspflichtig sind.[91] § 264 Abs. 2 Satz 3 HGB unterfallen nur Emittenten am organisierten Markt im Sinne von § 2 Abs. 5 WpHG, d. h. am regulierten Markt gem. §§ 32 ff. BörsG; der Freiverkehr (§ 48 BörsG) fällt nicht darunter.[92]

[88] Eingehend Fleischer, ZIP 2007, 97 (103 ff.).
[89] Fleischer, ZIP 2007, 97 (103 ff. und 106 unter Nr. 7); Graf/Bisle, in: MüKo-BilR, § 264 HGB Rn. 88.
[90] Claussen, in: KK-RechnR, § 264 HGB Rn. 78; Graf/Bisle, in: MüKo-BilR, § 264 HGB Rn. 95; Reiner, in: MüKo-HGB, § 264 HGB Rn. 112.
[91] Reiner, in: MüKo-HGB, § 264 HGB Rn. 99 f.
[92] Graf/Bisle, in: MüKo-BilR, § 264 HGB Rn. 91.

cc1) Gesetzliche Vertreter

 

Tz. 52

Die gesetzlichen Vertreter der Kapitalgesellschaft haben den Bilanzeid zu leisten. § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB und § 245 HGB werden ähnlich verstanden. Insbesondere stellvertretende Geschäftsführer (§ 44 GmbHG) und Vorstandsmitglieder (§ 94 AktG) müssen auch den Bilanzeid leisten.[93]

[93] Fleischer, ZIP 2007, 97 (100).

cc2) Schriftliche Versicherung

 

Tz. 53

Es muss eine "Versicherung" abgegeben werden. Eine "Versicherung" geht bereits dem Sprachgebrauch nach weit über eine "Unterschrift" hinaus. Im Strafrecht wird neben dem Lügen vor Gericht (uneidlich und eidlich §§ 153, 154 StGB) in Ausnahmefällen die inhaltlich falsche Versicherung an Eides Statt (§ 156 StGB) vor einer dazu zuständigen Stelle unter Strafe gestellt. Um dem Bilanzeid eigenständige Kontur zu verleihen, enthält die Versicherung die Aussage, dass sich der Unterzeichnende mit dem Jahresabschluss beschäftigt habe und eben dessen Richtigkeit nach bestem Gewissen versichern kann. Das heißt, dass bei Unternehmen, deren Geschäftsleiter einen Bilanzeid zu leisten haben, alle Geschäftsleiter den Jahresabschluss eigenverantwortlich prüfen müssen. Anders als bei § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB besteht die Pflicht nicht allein darin, für die kompetente Aufstellung des Jahresabschlusses zu sorgen, sondern diesen auch eigenständig in vollem Umfang zu überprüfen. Während einem Vorstand bzw. Geschäftsführer kein Vorwurf bei Fehlern im Jahresabschluss gemacht werden kann, wenn er mit seinen Kollegen dafür sorgt, dass sich ein kompetenter Kollege des Exekutivgremiums um die Aufstellung des Jahresabschlusses kümmert und nur überwacht wird, verlangt eine Eidesleistung, dass alle Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer den Jahresabschluss vollständig überprüft haben. Das lag wohl auch in der Intention des Gesetzgebers;[94] Teile der Literatur wollen jedoch über die bislang bestehenden Überwachungspflichten nicht hinausgehen.[95] Der strengen Gesetzgebersicht ist zu folgen; andernfalls wäre die Vorschrift völlig überflüssig. Es wurde bei § 264 Abs. 2 Satz 3 HGB ein Wortlaut gewählt, der zu einer intensiven Auseinandersetzung der versichernden Person mit dem Jahresabschluss zwingt. Die Konsequenz ist daher, dass für einen Bilanzeid jedes Vorstandsmitglied bzw. jeder Geschäftsführer vertiefende Kenntnisse im Bilanzrecht haben muss.

 

BEISPIEL

Im dreiköpfigen Vorstand der A-AG ist X für die Bilanzierungs- und Finanzierungsfragen zuständig. Er legt den aufgestellten und vom Abschlussprüfer S geprüften JA seinen Kollegen Y und Z vor. Auch wenn diese für Forschung, Produktion und Vertrieb zuständig si...

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