aa) Grundsätzliches Vorgehen

 

Tz. 263

Grundsätzlich sind die zum Erstanwendungszeitpunkt (vgl. Tz. 261, 31.12.2014) gültigen IFRS-Bestimmungen einheitlich für sämtliche Perioden anzuwenden, die im ersten IFRS-Abschluss dargestellt werden. Hiermit verbunden ist das Erfordernis der Retrospektion, d. h., es ist so zu bilanzieren, als ob die zum Erstanwendungszeitpunkt gültigen IFRS schon immer angewandt worden wären. Dies macht die Anwendung der zum Erstanwendungszeitpunkt gültigen IFRS auf Sachverhalte vor diesem Zeitpunkt und auch eine Rückverfolgung der vor dem Übergangszeitpunkt eingetretenen Geschäftsvorfälle notwendig, sofern es nach den am Erstanwendungszeitpunkt gültigen IFRS zum Ansatz eines Vermögenswerts oder einer Schuld gekommen wäre. Der Ansatz im erstmaligen IFRS-Abschluss ergibt sich dabei aus der den IFRS entsprechenden Fortschreibung.[368]

Für die IFRS-Eröffnungsbilanz sind nicht die zum Übergangszeitpunkt anzuwendenden, sondern die zum Erstanwendungszeitpunkt gültigen IFRS-Bestimmungen maßgeblich. Herausforderungen bei der praktischen Durchführung können sich ergeben, sofern zum Erstanwendungszeitpunkt IFRS-Bestimmungen gelten, die zum Übergangszeitpunkt inhaltlich noch nicht abschließend feststehen. Erfolgt die Aufstellung der IFRS-Eröffnungsbilanz in zeitlicher Nähe zum Übergangszeitpunkt, kann es dazu kommen, dass im Nachhinein eine Anpassung der IFRS-Eröffnungsbilanz an in die in den zwei Folgejahren bis zum Erstanwendungszeitpunkt in Kraft getretenen bzw. vorzeitig anwendbaren IFRS-Bestimmungen erforderlich ist. Empfehlenswert ist somit die laufende Berücksichtigung der IASB-Agenda.[369]

 

Tz. 264

In aller Regel weicht das sich in der IFRS-Eröffnungsbilanz im Zuge der retrospektiven Anwendung ergebende Eigenkapital vom nach den previous GAAP ermittelten Eigenkapital ab. Für die erforderliche Verrechnung des Unterschiedsbetrags sind gemäß IFRS 1.11 am ehesten die Gewinnrücklagen (retained earnings) geeignet. Eine andere Eigenkapitalposition soll herangezogen werden, sofern diese besser geeignet ist.

[368] Ull, in: MüKo-BilR, IFRS 1 Rn. 29.
[369] Driesch, in: Beck IFRS-Hdb., § 44 Rn. 42.

bb) Befreiungen von der Retrospektion

bb1) Befreiungswahlrechte

 

Tz. 265

Allgemeines

Da der Grundsatz der Retrospektion regelmäßig zu komplexen Rückwirkungen führen kann, sieht IFRS 1 eine Reihe spezifischer Ausnahmeregelungen vor. Die Ausnahmen bestehen entweder in Form optionaler Erleichterungen oder in expliziten Retrospektionsverboten.

 

Tz. 266

IFRS 1.D1 ff. stellen dem IFRS-Erstanwender Regelungen zur Verfügung, die eine Abweichung von Bestimmungen anderer IFRS gestatten und gleichzeitig – für den Fall der Inanspruchnahme dieser optionalen Erleichterungen – verpflichtende Bestimmungen vorgeben. Gemäß IFRS 1.D1 kann der IFRS-Erstanwender frei entscheiden, ob und auf welche der bestehenden Erleichterungen er zurückgreift. Ein sog. cherry picking (Auswahl einer Erleichterung, Nicht-Nutzung einer anderen Erleichterung) ist demnach möglich. Nicht gestattet sind hingegen analoge Anwendungen der Erleichterungsvorschriften auf Sachverhalte, die lediglich Ähnlichkeit mit den exakt umschriebenen Sachverhalten haben. Im Folgenden werden zentrale Befreiungswahlrechte dargestellt.

 

Tz. 267

Unternehmenszusammenschlüsse

IFRS-Erstanwender erhalten durch IFRS 1.C1 ff. die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob und falls ja, ab wann sie IFRS 3 retrospektiv anwenden. Die Anwendung der Erleichterungsmöglichkeiten ist dabei nicht verpflichtend, d. h., der Bilanzierende kann von der Anwendung bestehender Erleichterungsmöglichkeiten auch absehen und sämtliche in der Vergangenheit vorgenommenen Akquisitionen nach IFRS 3 bilanzieren.

Greift der Bilanzierende auf die Erleichterungsvorschriften zurück, ist zu beachten, dass diese gemäß IFRS 1.C5 auch für in der Vergangenheit erworbene Anteile an assoziierten Unternehmen und Gemeinschaftsunternehmen gelten.

 

Tz. 268

Macht ein Unternehmen von der größtmöglichen Erleichterung Gebrauch, so sind die Bestimmungen des IFRS 3 lediglich prospektiv für solche Unternehmenszusammenschlüsse anzuwenden, die sich nach dem Übergangszeitpunkt ereignet haben/ereignen. Die bisherige Bilanzierung der Unternehmenszusammenschlüsse, die sich vor dem Übergangszeitpunkt ereigneten, bleibt in diesem Fall unverändert. Von der prospektiven Anwendung betroffen sind dabei neben der Bilanzierung des goodwill u. a. auch die in IFRS 1.B7 aufgelisteten Anforderungen des IFRS 10: Die Zuordnung des Gesamtergebnisses auf nicht kontrollierende Gesellschafter (IFRS 10.B94), Auf- und Abstockungen bei Mehrheitsbeteiligungen (IFRS 10.23 und 10.B93) und Entkonsolidierungen (IFRS 10.B97–B99 und IFRS 5.8 A).[370]

Wendet der erstmalige Anwender IFRS 3 nicht retrospektiv auf die vergangenen Unternehmenszusammenschlüsse an, gibt IFRS 1.C4 zahlreiche Bestimmungen vor. Hierzu zählen insbesondere Vorgaben zur identischen Einstufung des Unternehmenszusammenschlusses (Unternehmenserwerb, umgekehrter Unternehmenserwerb oder Interessenzusammenführung) wie im vorherigen Abschluss nach den previous GAAP, zur Behandlung des goodwill und zu Ansatz...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Merkt, Rechnungslegung nach HGB und IFRS (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge