bb1) Befreiungswahlrechte

 

Tz. 265

Allgemeines

Da der Grundsatz der Retrospektion regelmäßig zu komplexen Rückwirkungen führen kann, sieht IFRS 1 eine Reihe spezifischer Ausnahmeregelungen vor. Die Ausnahmen bestehen entweder in Form optionaler Erleichterungen oder in expliziten Retrospektionsverboten.

 

Tz. 266

IFRS 1.D1 ff. stellen dem IFRS-Erstanwender Regelungen zur Verfügung, die eine Abweichung von Bestimmungen anderer IFRS gestatten und gleichzeitig – für den Fall der Inanspruchnahme dieser optionalen Erleichterungen – verpflichtende Bestimmungen vorgeben. Gemäß IFRS 1.D1 kann der IFRS-Erstanwender frei entscheiden, ob und auf welche der bestehenden Erleichterungen er zurückgreift. Ein sog. cherry picking (Auswahl einer Erleichterung, Nicht-Nutzung einer anderen Erleichterung) ist demnach möglich. Nicht gestattet sind hingegen analoge Anwendungen der Erleichterungsvorschriften auf Sachverhalte, die lediglich Ähnlichkeit mit den exakt umschriebenen Sachverhalten haben. Im Folgenden werden zentrale Befreiungswahlrechte dargestellt.

 

Tz. 267

Unternehmenszusammenschlüsse

IFRS-Erstanwender erhalten durch IFRS 1.C1 ff. die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob und falls ja, ab wann sie IFRS 3 retrospektiv anwenden. Die Anwendung der Erleichterungsmöglichkeiten ist dabei nicht verpflichtend, d. h., der Bilanzierende kann von der Anwendung bestehender Erleichterungsmöglichkeiten auch absehen und sämtliche in der Vergangenheit vorgenommenen Akquisitionen nach IFRS 3 bilanzieren.

Greift der Bilanzierende auf die Erleichterungsvorschriften zurück, ist zu beachten, dass diese gemäß IFRS 1.C5 auch für in der Vergangenheit erworbene Anteile an assoziierten Unternehmen und Gemeinschaftsunternehmen gelten.

 

Tz. 268

Macht ein Unternehmen von der größtmöglichen Erleichterung Gebrauch, so sind die Bestimmungen des IFRS 3 lediglich prospektiv für solche Unternehmenszusammenschlüsse anzuwenden, die sich nach dem Übergangszeitpunkt ereignet haben/ereignen. Die bisherige Bilanzierung der Unternehmenszusammenschlüsse, die sich vor dem Übergangszeitpunkt ereigneten, bleibt in diesem Fall unverändert. Von der prospektiven Anwendung betroffen sind dabei neben der Bilanzierung des goodwill u. a. auch die in IFRS 1.B7 aufgelisteten Anforderungen des IFRS 10: Die Zuordnung des Gesamtergebnisses auf nicht kontrollierende Gesellschafter (IFRS 10.B94), Auf- und Abstockungen bei Mehrheitsbeteiligungen (IFRS 10.23 und 10.B93) und Entkonsolidierungen (IFRS 10.B97–B99 und IFRS 5.8 A).[370]

Wendet der erstmalige Anwender IFRS 3 nicht retrospektiv auf die vergangenen Unternehmenszusammenschlüsse an, gibt IFRS 1.C4 zahlreiche Bestimmungen vor. Hierzu zählen insbesondere Vorgaben zur identischen Einstufung des Unternehmenszusammenschlusses (Unternehmenserwerb, umgekehrter Unternehmenserwerb oder Interessenzusammenführung) wie im vorherigen Abschluss nach den previous GAAP, zur Behandlung des goodwill und zu Ansatz und Bewertung der übrigen Vermögenswerte und Schulden.

 

Tz. 269

Ein IFRS-Erstanwender kann die retrospektive Anwendung des IFRS 3 wahlweise auch auf sämtliche Unternehmenszusammenschlüsse begrenzen, die ab einem beliebigen, eigens festlegbaren Stichtag (vor dem Übergangszeitpunkt) stattfanden. Sämtliche Unternehmenszusammenschlüsse, die sich nach diesem Stichtag ereignet haben, sind dann einheitlich in Übereinstimmung mit den Vorschriften des IFRS 3 zu bilanzieren. Dies führt dazu, dass "ältere goodwills" mit angepassten HGB-Werten fortgeführt werden, während IFRS 3 für "neuere goodwills" angewandt wird. Die Abgrenzung von "neu" und "alt" legt der Bilanzierende selbst fest. Mit der Normierung eines zeitlichen Schnitts will der IASB ein willkürliches Nebeneinander von angepassten HGB-Werten und Anwendungsfällen des IFRS 3 vermeiden.[371]

 

Tz. 270

Bewertung von Sachanlagen

Für den IFRS-Erstanwender besteht das Wahlrecht, Sachanlagen in der IFRS-Eröffnungsbilanz entweder auf Basis fortgeführter Anschaffungs- und Herstellungskosten oder durch Rückgriff auf angenommene Anschaffungs- und Herstellungskosten (deemed cost) zu bewerten. Unter angenommenen Anschaffungs- oder Herstellungskosten ist dabei ein Betrag zu verstehen, der einen Ersatz für die fortgeführten Anschaffungs- und Herstellungskosten zu einem bestimmten Zeitpunkt darstellt. Die planmäßige Abschreibung erfolgt unter der Annahme, dass es zu einem Ansatz des Vermögenswerts zu diesem bestimmten Zeitpunkt kam und dass die Anschaffungs- und Herstellungskosten mit den angenommenen Werten übereinstimmen (IFRS 1.Anlage A und IFRS 1.D5 ff.).[372]

 

Tz. 271

Bei Anwendung angenommener Anschaffungs- oder Herstellungskosten stehen dem Bilanzierenden Wahlrechte in Bezug auf den Ersatz für die Anschaffungs- und Herstellungskosten zur Verfügung, die je Vermögenswert einzeln ausgeübt werden können:

  • Bewertung einer Sachanlage zum Übergangszeitpunkt mit dem beizulegenden Zeitwert (IFRS 1.D5). Die Bewertung zum beizulegenden Zeitwert in der IFRS-Eröffnungsbilanz gemäß IFRS 1.D5 führt nicht zwangsläufig zur verpflichtenden Anwendung des Ne...

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