a) Zweck und Anwendbarkeit

 

Tz. 175

Mit Blick insbesondere auf die Publizitätsvermeidung liegt in § 267 Abs. 1 HGB besonderer Sprengstoff. Die Gesellschaft hat vielfältigen Gestaltungsspielraum.[277] Der Schwellenwert "Bilanzsumme" wird maßgeblich dadurch bestimmt, inwieweit stille Reserven beibehalten werden können oder realisiert sind. Ebenso ist es für die Bilanzsumme maßgeblich, ob ein Vorgang als Aufwand zu buchen oder durch Ansatz von Anschaffungskosten zu neutralisieren ist. Gelingt mit Blick auf die Bilanzsumme bzw. Umsatzschwellenwerte noch nicht die Einordnung der Gesellschaft als kleine oder mittelgroße, ist über eine Aufspaltung der Geschäftstätigkeiten nachzudenken. Ist das betriebswirtschaftlich möglich, können verschiedene Tätigkeiten auf verschiedene Gesellschaften verlagert werden, sodass jede Gesellschaft für sich als kleine einzuordnen ist. Unter dem Gesichtspunkt der Publizität wird dieses Verhalten durch die Aufstellung eines Konzernabschlusses korrigiert. Das hilft bei der Publizitätsvermeidung bereits weiter: Die Schwellenwerte zur Vermeidung eines Konzernabschlusses in § 293 HGB sind deutlich höher. Selbst wenn ein Konzernabschluss aufzustellen ist, wird lediglich das Konzernergebnis detailliert ausgewiesen – ein detaillierter Ausweis für die einzelnen Gesellschaften mit ihren Geschäftsbereichen ist nicht zu erkennen.

 

Tz. 176

Allerdings ist zu beachten, dass das HGB neutral für alle Gesellschaftsformen die Erleichterungen für kleine und mittelgroße Gesellschaften anordnet. § 131 Abs. 1 Satz 3 AktG schreibt jedoch vor, dass jeder Aktionär verlangen kann, dass ihm in der Hauptversammlung ein Jahresabschluss ohne die Einschränkungen des § 266 Abs. 1 Satz 2, § 276, § 288 HGB vorgelegt wird. Aufgrund der Satzungsstrenge des § 23 Abs. 5 AktG kann auch in der Satzung der AG keine davon abweichende Regelung aufgenommen werden. Fraglich ist daher, ob die AG grundsätzlich in ihrem Jahresabschluss nie von den § 266 Abs. 1 Satz 2, § 276, § 288 HGB abweichen darf oder erst einen entsprechenden Jahresabschluss auf Verlangen eines interessierten Aktionärs nachreichen muss. Letztlich muss die AG zweigleisig verfahren. Grundsätzlich kann sie von den obigen §§ Gebrauch machen; sie muss jedoch einen zusätzlichen Jahresabschluss vorrätig halten, der die § 266 Abs. 1 Satz 2, § 276, § 288 HGB außen vor lässt und auf Verlangen sofort einem Aktionär gezeigt werden kann.[278]

 

Tz. 177

In den Übergangsvorschriften gewährt (voraussichtlich) Art. 72 Abs. 2 EGHGB (hängt vom nächsten freien Artikel bei der Verkündung des BilRUG ab) die Möglichkeit einer rückwirkendenden Anwendung der Schwellenwerterhöhungen für das nach dem 31.12.2013 beginnende Geschäftsjahr. Entscheidet sich der Bilanzierungspflichtige dagegen, sind die neuen Schwellenwerte regulär auf das nach dem 31.12.2015 beginnende Geschäftsjahr anzuwenden. Die vorzeitige Anwendung der neuen Schwellenwerte ist damit verbunden, dass auch die neue Umsatzerlösdefinition in § 277 HGB angewendet wird.[279]

 

Tz. 178

Die vorzeitige Anwendung der neuen Schwellenwerte entbindet auch nicht von der Prämisse des § 267 Abs. 4 Satz 1 HGB, dass die Schwellenwerte an zwei aufeinander folgenden Jahren über- oder unterschritten sein müssen, um eine neue Größenklasse zu erreichen. Nach der Begründung im RegE BilRUG soll allerdings für die Einordnung der Gesellschaft für das ab 1.1.2014 beginnende Geschäftsjahr nach den neuen Schwellenwerten ein Vergleich mit den Vorjahreskennzahlen so vorgenommen werden, als wären auch im Vorjahr die neuen Schwellenwerte bereits anwendbar gewesen. Der RegE bringt als Beispiel,[280] dass nach alten Schwellenwerten in jedem Jahr eine mittelgroße Gesellschaft vorgelegen hätte, nach neuen Schwellenwerten hingegen eine kleine. Dann soll bereits im Jahr 2014 die Gesellschaft als kleine gelten. Diese Bemerkung findet keinen Rückhalt im Gesetz und ist in ihren Konsequenzen von höchster Brisanz. Verlässt sich der Rechtsanwender auf diese Bemerkung und unterbleibt die Abschlussprüfung, weil § 316 Abs. 1 Satz 1 HGB für kleine Gesellschaften gerade keine Pflichtprüfung fordert, riskiert die Gesellschaft einen (unheilbar) nichtigen Jahresabschluss (§ 256 Abs. 1 Nr. 2 AktG), wenn zu einem späteren Zeitpunkt geklagt wird und ein Gericht für die Sichtweise des Regierungsentwurfs im Gesetz keinen Anhaltspunkt findet und daher § 267 Abs. 4 Satz 1 HGB anders interpretiert.

 

Tz. 179

Fraglich ist allerdings, wie eine Anwendung für das Geschäftsjahr ab 1.1.2014 noch erreicht werden soll, wenn der Jahresabschluss bereits aufgestellt, ggf. geprüft und festgestellt worden ist. Soweit bereits unentziehbare Rechte begründet worden sind (z. B. kraft eines auf die Feststellung folgenden Gewinnverwendungsbeschlusses) kommt eine erneute Aufstellung und Feststellung nicht in Betracht, weil in diesem Fall auch wertaufhellende Umstände zu beachten wären und ggf. diese Rechte vereiteln könnten. Es kann daher allenfalls zulässig sein, die Neuregelungen dann vorfristig anzuwenden, wenn der Jahresabschluss noch n...

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