aa) Grundsätzliches

 

Tz. 10

Bei § 331 HGB handelt es sich um die zentrale Strafvorschrift des Rechnungslegungsrechts; sie erfasst mit den Nr. 1, 1a, 2, 3, 3a und 4 sechs verschiedene Varianten der unrichtigen Wiedergabe, Verschleierung oder Offenlegung der Verhältnisse einer KapGes bzw. eines Konzerns. Der Vorschrift liegt der Gedanke zu Grunde, dass die erhöhte Gefahr für den Rechtsverkehr, die von einer Haftungsbeschränkung ausgeht, mit erhöhten und sanktionsbewehrten Publizitätspflichten ausgeglichen werden muss (vgl. Tz. 1). So erklärt sich auch die Erweiterung des Schutzbereiches auf bestimmte Nicht-KapGes, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter (§ 335b HGB) vorhanden ist oder besonders sensible Geschäftsbereiche (§§ 340m, 341m HGB) betroffen sind.[24]Schutzgut ist nach zutreffender h. M.[25] das kollektive Vertrauen (der Gläubiger, Gesellschafter, Kapitalmarktteilnehmer, Anleger etc.) in die Richtigkeit, Vollständigkeit, Klarheit und Übersichtlichkeit der verbreiteten Informationen über die Verhältnisse der Gesellschaft. Die Gegenansicht[26] sieht allein das Vermögen als geschütztes Rechtsgut an; dies wird jedoch der Bedeutung der in der Bilanz enthaltenden Informationen für das Wirtschaftsleben nicht gerecht.[27]

[24] Dannecker, in: GroßKo-HGB, § 331 HGB Rn. 2.
[25] Dannecker, in: GroßKo-HGB, § 331 HGB Rn. 3; Quedenfeld, in: MüKo-HGB, § 331 HGB Rn. 1; Olbermann, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 331 HGB Rn. 7; Sorgenfrei, in: MüKo-StGB, § 331 HGB Rn. 1; Südbeck, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, § 331 HGB Rn. 3; Waßmer, in: MüKo-BilR, § 331 HGB Rn. 2; ausführlich auch Krämer, NZWiSt 2013, 286 (288 ff.), die selbst ein akzessorisches Schutzrichtungsmodell favorisiert.
[26] Altenhain, in: KK-RechnR, § 331 HGB Rn. 13; Hellmann/Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl., Stuttgart 2013, Rn. 384.
[27] Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht Besonderer Teil, 3. Aufl., München 2011, Rn. 464.

bb) Abstraktes Gefährdungsdelikt

 

Tz. 11

§ 331 HGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt; die Tat muss keine konkrete Rechtsgutsverletzung zur Folge haben. Der Handlungsunwert allein begründet (in jeder Tatvariante) die Strafwürdigkeit, da nach Wertung des Gesetzgebers bereits von diesem eine erhebliche Gefahr für die genannten Schutzgüter ausgeht.[28] Die Strafbarkeit wird somit, wie bei vielen anderen Wirtschaftsdelikten auch (z. B. §§ 264, 264a, 265b StGB), erheblich vorverlagert. Die Straflosigkeit des Versuchs (§ 23 Abs. 1 StGB) führt damit nicht zu Strafbarkeitslücken. Für die Vollendung wird aber immerhin gefordert, dass mindestens für einen der in Frage kommenden Adressaten die Möglichkeit zur Kenntnisnahme bestanden hat (vgl. Tz. 39 f.).

[28] Dannecker, in: GroßKo-HGB, § 331 HGB Rn. 11; Waßmer, in: MüKo-BilR, § 331 HGB Rn. 4.

cc) Sonderdelikt/Probleme bei Arbeitsteilung

 

Tz. 12

§ 331 HGB ist ein Sonderdelikt, d. h. als Täter kommt von vornherein (unabhängig von einer etwaigen Tat­herrschaft) nur ein beschränkter Adressatenkreis in Betracht, in erster Linie die Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs oder des Aufsichtsrats einer KapGes. Im Einzelnen vgl. Tz. 30, 46, 49, 53, 58, 64.

 

Tz. 13

Sofern das bestellte Organ oder das Aufsichtsratsmitglied das Amt aufgrund der Bestellung ausübt, ist es für die Frage der Täterschaft nicht erheblich, ob der Bestellungsakt zivil- bzw. gesellschaftsrechtlich wirksam ist, etwa bei fehlender Eintragung ins Handelsregister oder Nichtigkeit der Gesellschaft.[29] Die h. M.[30] nimmt eine faktische Betrachtungsweise vor und lässt sogar die tatsächliche Übernahme der Funktion genügen, um auch Fälle zu erfassen, in denen bloße Strohmänner als Organe fungieren. Kriterien für die Annahme eines faktischen Organmitglieds sind der maßgebliche Einfluss auf die Unternehmenspolitik, -organisation und -abläufe, die Einstellung und Entlassung von Personal, Gestaltung der Geschäftsbeziehungen, die maßgebliche Einflussnahme auf Buchhaltung, Bilanzierung und Steuerangelegenheiten sowie die Festlegung und Höhe des eigenen Gehalts.[31] Außerdem muss die Tätigkeit nach außen erkennbar und auf Dauer angelegt sein.

 

Tz. 14

Die hierzu z. T. in der Literatur geäußerten Bedenken sind im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG (Analogieverbot) nicht ganz von der Hand zu weisen: Der Verweis auf § 14 Abs. 3 StGB ist schon deshalb fragwürdig, weil es hier zu einer Überwälzung der Tätereigenschaft gar nicht kommt, da es bei § 331 HGB um den Verstoß gegen höchstpersönliche Organpflichten geht. Ein „faktischer” Vorstand mag zudem wie ein Vorstandsmitglied handeln und das Tatgeschehen auch mehr oder minder beherrschen. Als „Mitglied des vertretungsberechtigten Organs” wird man ihn aber nur schwer bezeichnen können, insbesondere wenn statt ihm offiziell eine andere Person für dieses Amt bestellt worden ist.[32] Der sogenannte Strohmann wird schließlich auch von der h. M. nicht von seinen Verpflichtungen befreit;[33] er ist vielmehr derjenige, der durch seine Unterschrift die Richtigkeit der Rechnungslegung nach außen hin vertritt. Die h. M. führt also zu einer Verdopplung von Verantwortlichkeiten.

 

Tz. 15

Wei...

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