Tz. 87

IAS 8.41 Satz 2 stellt klar, dass auch unwesentliche Fehler (immaterial errors) IFRS-widrig sind. Er schränkt dies aber durch die Bedingung ein, dass sie absichtlich mit dem Ziel bewirkt wurden, eine bestimmte Dar­stellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage oder Cashflows zu erreichen. Für diese unwesentlichen vorsätzlichen Fehler enthalten die IAS 8.41 ff. keine Regelung der Rechtsfolgen.[188] Schlüssig wird dieses Fehlerkonzept gleichwohl, wenn man den Zusam­men­hang mit IAS 8.8 berücksichtigt, der die Wesentlichkeit als Voraussetzung für die An­wendung von Rech­nungs­legungsmethoden konkretisiert.[189] IAS 8.41 Satz 2 regelt mit der Formel der ab­sichtlich herbeigeführten un­we­sentlichen Fehler keine eigene Fehlerkategorie. Die Regelung stellt vielmehr klar, dass nicht nur solche Fehler wesentlich sind, die nach dem objek­tivierten Em­pfän­gerhorizont der Abschlussadres­sa­ten ob­jek­tiv geeignet sind, die wirtschaft­lichen Ent­schei­dungen der Adressaten zu beeinflussen. We­sent­lich sind auch Fehler, die nach den subjek­tiven Vorstellungen des Abschlusserstellers die Entscheidungen der Adressaten beeinflussen können (Subjektiver Wesent­lich­keits­begriff).[190] Bezogen darauf enthält IAS 8.41 Satz 2 eine Vermutungsregel. Von einem Fehler der vom Abschlussersteller absichtlich ein­ge­fügt wurde, um eine bestimmte Darstellung zu erreichen, ist zu ver­mu­ten, dass er die Ab­schluss­adres­saten in ihrer Entscheidungsfindung beeinflusst und deshalb wesentlich ist.[191]

Die Absicht einer fehlerhaften Darstellung ist ein subjektives Element, das nur mittelbar fest­ge­stellt werden kann. Ein Indiz für eine absichtlich fehlerhafte Darstellung ist eine systematisch fehlerhafte Darstellung mehrerer Sachverhalte mit einem einheitlichen Darstellungsziel.[192]

 

Tz. 88

 

BEISPIEL

Der Finanzvorstand des Unternehmens stellt bei Durchsicht der Entwürfe für den Abschluss des Geschäftsjahres X4 fest, dass die Kennzahlen in Kreditverträgen trotz Nutzung aller zulässigen Prognose- und Schätzungspielräume um 0,3 % und 0,5 % verfehlt würden. Er erteilt deshalb per E-Mail die Anweisung an den Leiter der Abteilung Rechnungswesen, für die Einhaltung der Kennzahlen in den Kreditverträgen Sorge zu tragen. Der Leiter der Abteilung Rechnungswesen nimmt danach unter Zeitdruck einen unbegründeten pauschalen Bewertungsabschlag bei den Rückstellungen für Rechtsrisiken um 0,5 % und einen unbegründeten pauschalen Bewer­tungs­aufschlag bei der Bewertung des Vorrats­ver­mö­gens um 0,3 % vor. Bei der Aufstellung des Abschlusses für das Geschäftsjahr X5 wird der Sachverhalt vollständig auf­gedeckt.

Lösung: Der Fehler ist wesentlich, weil für einen Bilanzadressaten, den Kreditgeber, die genaue Einhaltung der vereinbarten Schwellenwerte relevant ist. Die Anweisung, für die Einhaltung der Wert zu sorgen, stützt mit der Beweisregel des IAS 8.41 Satz 2 die Vermutung, dass der Fehler wesentlich ist.

[188] Driesch, in: Beck IFRS-Hdb., § 45 Rn. 44.
[189] Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, IFRS, § 24 Rn. 36.
[190] Küting u. a., DB Beilage Nr. 7/2007 zu Heft Nr. 45, 1 (13): Bewusste Manipulation des Abschlussadressaten als Kennzeichen qualitativer Wesentlichkeit; im Ergebnis ebenso Driesch, in: Beck IFRS-Hdb., § 45 Rn. 44.
[191] Im Ergebnis ähnlich Blaum/Holzwarth/Wendlandt, in: Baetge u. a., IFRS-Ko, IAS 8 Rn. 145; Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, IFRS, § 24 Rn. 36: Absichtliche unwesentliche Fehler schwer vorstellbar.
[192] Blaum/Holzwarth/Wendlandt, in: Baetge u. a., IFRS-Ko, IAS 8 Rn. 138: "Muster".

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Merkt, Rechnungslegung nach HGB und IFRS (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge