Tz. 70

Eine der drei Bedingungen zur Begründung eines Beherrschungsverhältnisses besteht in der Verbindung zwischen Entscheidungsgewalt und Ergebnisvariabilität (IFRS 10.17). Für die meisten der in der Bilanzierungspraxis auftretenden Beherrschungsverhältnisse dürfte diese Bedingung erfüllt sein. Von besonderer praktischer Relevanz ist diese allerdings bei sog. Prinzipal-Agenten-Beziehungen.[146]

 

Tz. 71

Im Rahmen der Vereinbarung einer Prinzipal-Agenten-Beziehung kommt es zur Übertragung von Entscheidungsrechten von einer Partei (Prinzipal) auf eine andere Partei (Agent). Der Agent übt die übertragenen Rechte im Interesse des Prinzipals aus. Dem Wortlaut des IFRS 10.B58 folgend handelt es sich beim Agenten um eine Partei, die vorrangig beauftragt wurde, um im Namen bzw. zugunsten des Prinzipals zu handeln. Demnach ist es nicht möglich, dass ein Agent, auf den die Verfügungsgewalt über ein Beteiligungsunternehmen übertragen wurde und der daher im Interesse des Prinzipals handelt, dieses Beteiligungsunternehmen beherrscht. Stattdessen sind die transferierten Entscheidungsrechte dem Prinzipal zuzurechnen. So schreibt IFRS 10.B59 vor, dass ein Investor (bzw. Prinzipal) bei der Beurteilung einer möglichen Beherrschung eines Beteiligungsunternehmens die an seinen Agenten delegierten Entscheidungsbefugnisse so zu behandeln hat, als würden sie direkt von ihm (d. h. vom Investor bzw. Prinzipal) gehalten werden. Vor diesem Hintergrund hat ein Investor zu prüfen, ob er eine vorliegende Verfügungsmacht über ein Beteiligungsunternehmen als Prinzipal oder als Agent ausübt. Daneben ist ebenfalls zu prüfen, ob eine andere Partei mit Entscheidungsrechten als Agent für ihn handelt.[147]

 

Tz. 72

Im Kontext der Prinzipal-Agenten-Beziehung wirkt die Verknüpfung des Kriteriums der Entscheidungsgewalt und des Kriteriums der Ergebnisvariabilität wechselseitig:[148]

  • Wenn eine Partei auf der einen Seite Entscheidungsmacht auf eine zu beurteilende Einheit ausübt, auf der anderen Seite allerdings der Variabilität der Rückflüsse aus ihrem Handeln nicht ausgesetzt ist, so handelt diese als Agent, da ein Dritter als Begünstigter bzw. als Belasteter aus dem Handeln hervorgeht. Mithin ist das Vorliegen eines Beherrschungsverhältnisses zu verneinen.
  • Wenn eine Partei auf der einen Seite der Variabilität von Rückflüssen ausgesetzt ist, die er auf der anderen Seite jedoch durch eigenes Handeln nicht direkt beeinflusst, kann er als Prinzipal handeln, der die Entscheidungsmacht auf Dritte übertragen hat. Von einem Beherrschungsverhältnis ist in diesem Fall auszugehen. Wenn keine Entscheidungsmacht übertragen wurde, fehlt bereits das Kriterium der Entscheidungsgewalt, ein Beherrschungsverhältnis ist nicht gegeben.
 

Tz. 73

Der materielle sowie der zeitliche Umfang der Übertragung von Entscheidungsmacht können von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein und von einzelfallbezogener Stimmrechtsübertragung bis hin zu einem vollumfänglichen Management durch hierzu beauftragte Dritte reichen. Vor diesem Hintergrund fordert IFRS 10.B60 eine einzelfallbezogene Beurteilung unter Beachtung sämtlicher relevanter Umstände bei Prinzipal-Agenten-Konstellationen. IFRS 10 führt zu diesem Zweck unterschiedliche Bereiche an, die ein ggf. als Agent handelnder Entscheidungsträger zur Beurteilung heranziehen soll:[149]

  • Umfang der zustehenden Entscheidungsmacht
  • Rechte Dritter, durch welche die Entscheidungsmacht eingeschränkt werden könnte
  • Vergütungen für erbrachte Dienstleistungen
  • Umfang anderer Rückflüsse aus der zu beurteilenden Einheit an den Entscheidungsträger
 

Tz. 74

IFRS 10.B73 ff. verlangt im Rahmen der Beurteilung von Beherrschungsverhältnissen die Berücksichtigung von Beziehungen zu anderen, in einem Interessenverhältnis zu der zu beurteilenden Einheit stehenden Parteien. Zu prüfen ist dabei, ob und in welchem Ausmaß ein Dritter im Namen bzw. im Interesse des Berichtsunternehmens handelt. Ob diesem Handeln eine vertraglich geregelte Übertragung von Entscheidungsgewalt zugrunde liegt, ist dabei nicht entscheidend (IFRS 10.B74 f.). Der Standard führt u. a. nachfolgende Beispiele für diese sog. de-facto-Agenten an:[150]

  • Verbundene Unternehmen der beurteilenden Einheit
  • Unternehmen, denen die Anteile ohne bzw. nur gegen eine geringe Gegenleistung von der beurteilenden Einheit übertragen wurden oder bei denen die beurteilende Einheit die Finanzierung des Anteilserwerbs übernommen hat
  • Unternehmen, bei denen eine Vereinbarung mit der beurteilenden Einheit besteht, nach welcher sie die Beteiligung ausschließlich mit Zustimmung der beurteilenden Einheit veräußern können oder die sie verpflichtet, bei Vorliegen konkreter Bedingungen die Rechte aus der Beteiligung zu veräußern oder zu verpfänden
  • Unternehmen, bei denen die operative Geschäftstätigkeit von Ressourcen abhängt, die von der beurteilenden Einheit zur Verfügung gestellt werden
  • Gesellschaften mit Personenidentität im Vergleich zu der beurteilenden Einheit im Hinblick auf Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgane
  • Parteien, zu d...

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