Tz. 42

Durch IFRS 10 werden Prinzipien bzw. Grundsätze festgelegt, anhand derer sich die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses bemisst. Ausschlaggebend ist dabei das durch IFRS 10 determinierte Control -Konzept. Daher hat ein Investor gemäß IFRS 10.5 im Falle einer Unternehmensverbindung zu beurteilen, ob nach Maßgabe des Control-Konzepts ein Mutter-Tochterverhältnis vorliegt.[99]

 

Tz. 43

Während vor Einführung des IFRS 10 durch die bis dato anzuwendenden Vorschriften des IAS 27 und des SIC 12 zwei verschiedene Konsolidierungskonzepte – IAS 27 für sog. "normale Unternehmen" und SIC 12 für sog. "Zweckgesellschaften" – nebeneinander standen, weist IFRS 10 ein einheitliches Konsolidierungskonzept auf. Ein Mutter-Tochter-Verhältnis gemäß IFRS 10 liegt immer dann vor, sofern das übergeordnete Unternehmen – der sog. investor –

  • wegen bestehender Rechte die Fähigkeit besitzt, die relevanten Aktivitäten des untergeordneten Unternehmens – der sog. investee – zu lenken (Kriterium der Entscheidungsgewalt bzw. power-Kriterium),
  • variablen bzw. schwankenden Rückflüssen aus dem Engagement in dem untergeordneten Unternehmen ausgesetzt ist (Kriterium der Ergebnisvariabilität bzw. returns-Kriterium) und
  • die bestehende Entscheidungsgewalt zur Beeinflussung der Rückflüsse eingesetzt werden kann (Verknüpfung zwischen power-Kriterium und returns-Kriterium).[100]

Das Control-Konzept des IFRS 10 besteht folglich aus zwei logisch miteinander verknüpften Kernelementen, die für sämtliche ggf. zu konsolidierende Unternehmen gleichermaßen gelten. Hierbei handelt es sich um die zum Zweck der Generierung variabler Rückflüsse (returns-Kriterium) eingesetzte Entscheidungsgewalt in Bezug auf die relevanten betrieblichen Prozesse auf vertraglicher bzw. faktischer Basis (power-Kriterium). Dies bedeutet, dass es um solche Rückflüsse geht, deren Generierung mit dem Eingehen eigentümerähnlicher Risikopositionen einhergeht.[101]

 

Tz. 44

Wenngleich die dem Control-Konzept zugrunde liegenden Kriterien sowohl auf "normale Unternehmen" als auch auf "Zweckgesellschaften" anzuwenden sind, bestehen zwischen beiden Arten von Engagements erhebliche praktische Unterschiede:[102]

  • Bei "normalen Unternehmen", die ein breites Tätigkeitsfeld aufweisen, lassen sich die relevanten Aktivitäten üblicherweise nur über Stimmrechte oder äquivalente Instrumente – wie bspw. Beherrschungsverträge – lenken. Vor diesem Hintergrund wird z. T. auch von sog. "voting interest entities" gesprochen. Im Regelfall gehen mit den Stimmrechten auch eine Beteiligung am Kapital sowie an den Ergebnissen einher, sodass eine Variabilität der Rückflüsse besteht. Über die Stimmrechte bzw. stimmrechtsähnlichen Instrumente werden üblicherweise auch die Rückflüsse beeinflusst.
  • Bei auch als "structured entities" bezeichneten Zweckgesellschaften – bspw. Leasingobjekt- oder ABS-Gesellschaften – werden die relevanten Aktivitäten durch schuld- oder gesellschaftsrechtliche Regelungen üblicherweise weitgehend im Vorhinein determiniert. Die Entscheidungsspielräume der Exekutivorgane oder Gesellschafter sind regelmäßig auf administrative Tätigkeiten – u. a. Feststellung des Jahresabschlusses – beschränkt. Insofern ist den Stimmrechten bei diesen Gesellschaften keine besondere Bedeutung beizumessen, sodass z. T. auch von "non voting entities" die Rede ist. Die Ausübung von Entscheidungsgewalt vollzieht sich stattdessen durch Festlegung von Zweck und Struktur der Einheit oder spezielle Beziehungen (bspw. eines einzigen Kunden). Es besteht hierbei die Vermutung, dass ein Investor bei hoher Teilhabe an den Risiken und Chancen die Entscheidungsgewalt durch Gründungsverträge oder auf andere Art und Weise zu seinen Gunsten geregelt hat.

Wenngleich IFRS 10 eine einheitliche Konzeption zur Verfügung stellt, lebt die Unterschiedlichkeit von structured entities auf der einen Seite und voting interest entities auf der anderen Seite in der praktischen Anwendung fort:[103]

  • Bei Vorliegen klarer Stimmrechtsverhältnisse in einer voting interest entity ist die Frage nach der Kontrolle im Regelfall bereits beantwortet. Somit entfällt das Erfordernis zur Untersuchung von Unternehmenszweck und -struktur, Risiko- und Chancenverteilung, speziellen Beziehungen, etc.
  • Bei Zweckgesellschaften spielen die Stimmrechte üblicherweise kaum eine Rolle, sodass stattdessen Faktoren wie Unternehmenszweck und -struktur oder Risiko- und Chancenverteilung einer eingehenden Untersuchung bedürfen.
 

Tz. 45

Die nachfolgende Abbildung stellt die erforderlichen Prüfschritte zur Anwendung des IFRS 10 systematisch dar:

Die Prüfschritte bei der Anwendung des IFRS 10[104]

 

Tz. 46

Gemäß IFRS 10.12 besitzt ein Investor die Verfügungsgewalt, sofern er die gegenwärtige Fähigkeit zur Lenkung der relevanten Aktivitäten hat, selbst wenn seine Weisungen noch nicht ausgeübt worden sind. Demnach kommt es lediglich auf die gesicherte Möglichkeit zur Lenkung der relevanten Aktivitäten an, während die tatsächliche Ausübung nicht entscheidend ist. Ein Nachweis darü...

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