Tz. 58

Das deutsche Bilanzrecht ist geprägt von dem Grundgedanken, dass sich die Anforderungen an die Bilanzierung an den Bedürfnissen des Geschäftsverkehrs orientieren müssen. Da diese Bedürfnisse unterschiedlich sind, gilt nicht ein einheitliches Bilanzrecht für sämtliche Unternehmen. Vielmehr differenziert der Gesetzgeber anhand unterschiedlicher Kriterien. Zentrale Kriterien sind zunächst die Organisationsform und -struktur des Unternehmensträgers. Der Einzelkaufmann unterliegt anderen, weniger anspruchsvollen Anforderungen als die Kapitalgesellschaft, bei der das Eigentum von der Geschäftsleitung getrennt ist (separation of ownership and control) und die Eigentümer für Gesellschaftsverbindlichkeiten nur begrenzt haften. Diese beiden Eigenschaften der Kapitalgesellschaft machen strengere Bilanzierungsvorschiften erforderlich. Je komplexer die Struktur des Unternehmensträgers ist, desto komplexer ist auch das Bilanzierungsregime. So gilt für Konzerne ein eigenes Konzernbilanzrecht. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Unternehmensgröße. Größere und große Unternehmen unterliegen gesteigerten Bilanzierungsanforderungen. Hinzu kommt die Differenzierung nach der Branche. In manchen, besonders sensiblen Branchen gelten besonders umfangreiche und strenge Bilanzierungsvorschriften, weil der Geschäftsverkehr eines besonderen Schutzes bedarf. Die genannten Differenzierungen ziehen sich durch das gesamte Rechnungslegungsrecht.

1. HGB-Rechnungslegungsrecht

 

Tz. 59

Die gesetzlichen Regelungen zur kaufmännischen Rechnungslegung finden sich im Dritten Buch des HGB. Das ist konsequent, denn Rechnungslegung und Bilanzierung sind kein Spezifikum der unternehmenstragenden Gesellschaft, sondern eine allgemeine Anforderung an die Handelsbücher und – darauf aufbauend – die Rechnungslegung des Kaufmanns, sei er Einzelkaufmann (natürliche Person), Personenhandelsgesellschaft (OHG, KG) oder Körperschaft (GmbH, AG). Daher war es richtig, die Rechnungslegung der AG im Zuge der Umsetzung der 4. und 7. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie durch das Bilanzrichtliniengesetz (BiRiLiG) von 1985 aus dem AktG in das dritte Buch des HGB zurückzuführen[97] und dort in ein schlüssiges Gesamtsystem einzufügen, das beim Einzelkaufmann ansetzt (erste Stufe) und auf dessen Pflichtenprogramm zusätzliche Pflichten für Kapitalgesellschaften (zweite Stufe), Konzerne (dritte Stufe), kapitalmarktorientierte Kapital­gesellschaften (vierte Stufe) sowie spezifische Pflichten für Gesellschaften beaufsichtigter Branchen (Kredit­institute, Finanzdienstleitungsinstitute, Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds, fünfte Stufe) aufsetzt.

 

Tz. 60

Neben der handelsrechtlichen Rechnungslegung nach HGB und ergänzenden Gesetzen gibt es auch eine bürgerlich-rechtliche Rechnungslegung nach dem BGB, siehe insbesondere §§ 259, 260 BGB.[98] Sie besteht im Unterschied zur handelsrechtlichen Rechnungslegungspflicht allerdings nicht allgemein, sondern folgt aus einem bestimmten Rechtsgrund, namentlich einem bestimmten Schuldverhältnis.[99]

 

Tz. 61

In der inneren Struktur folgt das Dritte Buch vier Aufbauprinzipien: vom Einfachen zum Komplizierten (Kaufleute §§ 238263 HGB, unabhängige Kapitalgesellschaften §§ 264289a HGB einschließlich der GmbH & Co. §§ 264a–c HGB, Konzern §§ 290315a HGB); vom Allgemeinen zum Besonderen (Vorschriften für alle Kaufleute einschließlich der Kapitalgesellschaften §§ 238263 HGB, ergänzende Vorschriften für Kapitalgesellschaften §§ 264335b HGB, ergänzende Vorschriften für eingetragene Genossenschaften §§ 336339 HGB, ergänzende Vorschriften für Unternehmen bestimmter Geschäftszweige §§ 340341p HGB); in zeitlicher Reihenfolge vom Anfang zum Ende (Buchführung §§ 238241a HGB, Bilanz und Jahresabschluss §§ 242256a HGB, Aufbewahrung und Vorlage §§ 257261 HGB; Jahresabschluss §§ 264289a HGB, Prüfung §§ 316324a HGB, Offenlegung §§ 325329 HGB) und materielle Vorschriften (§§ 238–341p HGB) vor institutionellen Regelungen (§§ 342, 342a HGB Privates Rechnungslegungsgremium; Rechnungslegungsbeirat; §§ 342b342e HGB Prüfstelle für Rechnungslegung). Aus Praktikabilitätsgründen wird davon innerhalb des 2. Abschnitts vereinzelt abgewichen. So stehen etwa die Gliederungsvorschriften für die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung für die großen Kapitalgesellschaften (§§ 266, 275 HGB) vor den Erleichterungen dazu für kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften (§§ 266 Abs. 1 Satz 3, 267, 276 HGB).

 

Tz. 62

Mit dieser inneren Struktur des dritten Buchs sind wichtige inhaltliche Vorgaben verknüpft. Durch die klare Einteilung in einen Ersten Abschnitt, der für Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften abschließend und darüber hinaus für alle anderen Kaufleute und gleichgestellte Gesellschaften (OHG, KG, GmbH, AktG, KGaA, EWIV) gilt, und einen Zweiten Abschnitt für Kapitalgesellschaften und Kapitalgesellschaften & Co. soll ausdrücklich der früheren Tendenz nach Erlass des AktG 1965 Einhalt geboten werden, die strengen Rechnungslegungsvorschriften für Kapitalgesellschaften auf...

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