Tz. 153

Aus der Loyalitätspflicht der EU-Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 3 EUV) sowie der Zielsetzung von Art. 288 Abs. 3 AEUV folgt die Pflicht der Mitgliedstaaten zur gemeinschaftsrechtskonformen bzw. richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts.[221] Das gilt besonders dann, wenn ein Mitgliedstaat bereits geltendes nationales Recht für ausreichend hinsichtlich des umzusetzenden Richtlinienrechts erachtet.[222] Im Bilanzrecht steht hier die Bilanzrichtlinie 2013 als "Grundgesetz der Bilanzierung" im Mittelpunkt. Die Auslegung handelsrechtlicher Rechnungslegungsnormen, die im Rahmen der Umsetzung der Bilanzrichtlinie bzw. ihrer Vorgänger, der Vierten und Siebenten Richtlinie, erlassen worden sind, sind deshalb im Zweifel so auszulegen, dass sie den Vorgaben der Richtlinien entsprechen. Im Schrifttum wird befürwortet, im Ergebnis das Auslegungsresultat nach den nationalen Auslegungskriterien mit Hilfe der richtlinienkonformen Auslegung zu überprüfen.[223] Damit werde dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts genügt.

 

Tz. 154

Bei der Auslegung des europäischen, durch die Richtlinien vorgegebenen Bilanzrechts ist darauf zu achten, dass die dort verwendeten Begriffe grundsätzlich autonome Begriffe des europäischen Rechts sind, deren Verständnis aus dem Unionsrecht selbst und nicht durch Rückgriff auf die verschiedenen nationalen Rechte oder auf das Herkommen aus dem privaten Standard-Setting-Bereich zu gewinnen ist. Erforderliche ist also eine autonome Auslegung des europäischen Bilanzrechts.[224] Eine Ausnahme gilt nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann, wenn entweder das Gemeinschaftsrecht selbst für die Erläuterung des Sinnes und der Tragweite der verwendeten Begriffe ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist oder wenn sich dem Gemeinschaftsrecht und seinen allgemeinen Grundsätzen keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, die es gestatten, Inhalt und Tragweite einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift im Wege der autonomen Auslegung zu ermitteln.[225]

[221] EuGH Urt. v. 10.4.1984, Rs. 79/83 (Harz/Deutsche Tradax), Slg. 1984, 1921, Rn. 26; EuGH Urt. v. 10.4.1984, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann), a. a. O., Rn. 26; dazu bereits Beisse, BB 1990, 2007 (2011 f.).
[223] Winnefeld, Bilanz-Hdb., Einf. Rn. 77 m.w.N.
[224] Hennrichs, in: MüKo-BilR, Einf. Rn. 68.
[225] EuGH, Entsch. v. 27.6.1990 – Rs. C-118/89 (Lingenfelser/Bunddesamt für Ernährung und Forstwirtschaft), Slg. 1992, II-2637 (2648 Rn. 32).

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Merkt, Rechnungslegung nach HGB und IFRS (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge