I. Überblick

1. Principles versus Rule Based Approach

 

Tz. 51

Weltweit lassen sich in den entwickelten Rechts- und Wirtschaftsordnungen zwei Traditionen der Regulierung von Rechnungslegung und Bilanzierung unterscheiden.[91] Auf der einen Seite stehen die Länder des common law, vor allem Großbritannien und die USA, in denen es für die Rechnungslegung (accounting) nur rudimentäre gesetzliche Vorschriften (principles) gibt. Die eigentlichen Rechnungslegungsnormen werden in diesen Ländern in Form von accounting standards oder generally accepted accounting principles (etwa die US-GAAP) im Wesentlichen von staatlich autorisierten, privatrechtlich organisierten Rechnungslegungsgremien herausgegeben. Solche Standards sind trotz ihres privaten Ursprungs aufgrund der staatlichen Autorisierung für die Rechnungsleger verbindlich, regeln allerdings meist nur einzelne Fragen oder Aspekte der Rechnungslegung und weisen einen vergleichsweise geringen Abstraktionsgrad auf.[92] Soweit es grundlegende Konzepte der Rechnungslegung gibt (vielfach als framework oder conceptual framework bezeichnet), haben sie nicht Vorrang vor den Standards, sondern treten hinter die Standards zurück.[93]

 

Tz. 52

Dem gegenüber steht das kontinentaleuropäische System des code law, in dem die Rechnungslegung grundsätzlich in gesetzlichen Vorschriften geregelt ist. In diesen Ländern, namentlich in Deutschland, Österreich und Frankreich, aber auch in Japan, sollen die wesentlichen und grundsätzlichen Fragen der Rechnungslegung umfassend durch gesetzliche Vorschriften (rules) geregelt werden. Die gesetzlichen Vorschriften wollen durch einen hohen Abstraktionsgrad möglichst alle Probleme der Rechnungslegung abdecken. Soweit das Gesetz allgemeine Grundsätze vorgibt, geben diese Grundsätze Orientierung bei der Auslegung der Einzelbestimmungen.

 

Tz. 53

Üblicherweise werden beide Systeme mit der Wendung "principles versus rule based approach" einander gegenübergestellt.[94]

[91] Heuser, in: Heuser/Theile, IFRS, 1.
[92] Zum US-amerikanischen accounting nach US-GAAP näher Pellens u. a., IFRS, 73 ff.
[93] Zu regelungsmethodischen Fragen solcher frameworks Merkt, ZfbF 66 (2014), 477.
[94] Merkt, International Standards on Auditing and their Adoption in the EU: Legal Aspects and Unsettled Questions, in: Tison/De Wulf/Van der Elst/Steennot (Hrsg.), Perspectives in Company Law and Financial Regulation, Essays in Honour of Eddy Wymeersch, Cambridge 2009, 244 (259 f.); Benston/Bromwich/Wagenhofer, Principles-Versus Rules-Based Accounting Standards: The FASBs Standard Setting Strategy, Abacus 42 (2006), 165.

2. Mehrebenensystem

 

Tz. 54

Sodann ist die Normierung von Rechnungslegung und Bilanzierung dadurch gekennzeichnet, dass die maßgeblichen Regelungen und Grundsätze auf mehreren Ebenen angesiedelt sind. Auf der internationalen Ebene zu nennen sind die internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS mit den SIC und den IFRIC), die für die Abschlussprüfung flankiert werden durch die internationalen Prüfungsstandards (ISA), auf der darunter liegenden europäischen Ebene die Richtlinien und Verordnungen der EU zur Rechnungslegung und Abschlussprüfung und auf der nationalen bzw. mitgliedstaatlichen Ebene – in Deutschland – die Vorschriften des Dritten Buchs des HGB einschließlich der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) sowie ergänzende Spezialvorschriften in anderen Gesetzen und schließlich für den Bereich der Konzernrechnungslegung und der IFRS-Interpretation die Deutschen Rechnungslegungsstandards (DRS). Im Vergleich fällt auf, dass die Regelungen von oben nach unten immer ausdifferenzierter werden. Besonders deutlich wird das beim Vergleich zwischen nationalem Recht und IFRS: Zahlreiche Differenzierungen des deutschen Rechnungslegungsrechts sind den IFRS fremd.

 

Tz. 55

Mehrebenensystem der Normierung der Rechnungslegung und Prüfung

 

Tz. 56

Dieses Mehrebenensystem ist von hoher Komplexität, was damit zusammenhängt, dass die Normen auf den unterschiedlichen Ebenen sehr unterschiedliche Qualität aufweisen. Zum Teil sind sie hoheitlich gesetztes Recht (EU-Richtlinien, EU-Verordnungen, HGB), zum Teil ist ihre Rechtsnatur unklar bzw. umstritten und sie gelten als privat gesetzte Normen oder aufgrund ihrer Anerkennung durch Hoheitsträger als hybride Normen zwischen staatlichem Recht und privaten Regeln; zum Teil gelten sie unnmittelbar (HGB, EU-Verordnungen), zum Teil nur mittelbar (IFRS, EU-Richtlinien); soweit es um EU-Richtlinien geht, werden den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern Wahlrechte eingeräumt, sodass auch europaweit keine einheitliche Anwendung gesichert ist; zum Teil gelten die Normen für den Rechnungsleger zwingend, zum Teil bestehen Wahlrechte des Rechnungslegers; zum Teil sind sie nach europäischen Grundsätzen auszulegen, zum Teil nach nationalen, und über die Auslegung internationaler Standards herrscht wiederum Unklarheit. Treffen in einem Sachverhalt Grundsätze oder Normen unterschiedlicher Ebenen zusammen, können sich schwierige Fragen ergeben.[95]

 

Tz. 57

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass von den inzwischen nur...

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