Tz. 11

Die Entwicklung des modernen Bilanzrechts lässt sich nur verstehen als eine kontinuierliche und recht schnelle Abfolge von regulatorischen Einzelmaßnahmen, deren gemeinsames Ziel es ist, bestehendes Bilanzrecht schritt- bzw. stufenweise zu optimieren. In Anlehnung an eine Redewendung aus dem Aktienrecht[13] spricht man anschaulich von der Bilanzrechtsreform in Permanenz.[14] Diese Maßnahmen werden auf unterschiedlichen Ebenen ergriffen (vgl. Tz. 54 ff.), lassen sich aber plastisch in chronologischer Folge darstellen, weil sie aufeinander aufbauen, ineinander greifen und zum Teil explizit aufeinander Bezug nehmen. Es ist nicht zu leugnen, dass sich das Bilanzrecht dadurch dem Vorwurf der Kurzatmigkeit und der mangelnden Systemstimmigkeit aussetzt, was allerdings zu einem gewissen Grad der Komplexität und der Schnelllebigkeit der Unternehmenswirklichkeit als seines Regelungsgegenstands geschuldet ist.

[13] Zöllner, AG 1994, 336.
[14] J. Schmidt, in: Bayer (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des Deutschen Juristentages, Jena 2010, 407 (482).

I. Die große Bilanzrechtsreform 1986

 

Tz. 12

Am Beginn des modernen deutschen Bilanzrechts steht das "Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinien-Gesetz – BiRiLiG)"[15], das am 1. Januar 1986 in Kraft trat.[16] Während es bei der Vierten Richtlinie[17] um den Einzelabschluss und bei der Siebenten Richtlinie[18] um den konsolidierten Abschluss ging, harmonisierte die Achte Richtlinie[19] die Anforderungen an die Qualifikationen von Abschlussprüfern. Aufgrund dieses umfassenden thematischen Regelungsprogramms stellte das BilRiLiG seit der Herausnahme des Aktienrechts aus dem HGB im Jahre 1937 durch Erlass des AktG die einschneidendste Änderung des HGB dar.[20] Im Zuge dieser grundlegenden Reform wurde ein eigenes neues Drittes Buch mit über einhundert Paragraphen in das HGB eingefügt und es wurden gleichzeitig tiefe Einschnitte in zahlreiche andere Gesetze, darunter das AktG, dass GmbHG, das GenG, das PublG und die WPO, vorgenommen.

 

Tz. 13

Das BiRiLiG führte das bis dahin äußerst rudimentäre Buchführungs- und Bilanzrecht des HGB (§§ 38–47b a. F., seither in §§ 238 ff. HGB inkorporiert) und wesentliche Teile des früheren Rechnungslegungsrechts für Aktiengesellschaften (über die Aufstellung des Jahresabschlusses, über die Prüfung des Jahresabschlusses und über die Rechnungslegung im Konzern) an zentraler Stelle im HGB zusammen. Das Dritte Buch bildet eine Art Grundgesetz des Bilanzrechts (Grundgesetz für Soll und Haben des Kaufmanns) mit allen wesentlichen Teile des Rechts der Buchführung, Bilanzierung und Rechnungslegung, Prüfung und Offenlegung für alle Kaufleute (Erster Abschnitt), Kapitalgesellschaften (Zweiter Abschnitt: AG, KGaA, GmbH) und eingetragene Genossenschaften (Dritter Abschnitt). Nur abgestimmt, aber nicht integriert in das HGB hat das BiRiLiG 1985 im Wesentlichen nur das Bilanzrecht für Großunternehmen, die nicht Kapitalgesellschaften sind. Dieses Sonderbilanzrecht für Großunternehmen findet sich unverändert im PublG.

[15] BGBl. 1985 I 2355 vom 19. Dezember 1985.
[16] Zur älteren Geschichte des Bilanzrechts siehe die Nachweise bei Hüffer, GroßKo-HGB, § 238 HGB Rn. 6 Fn. 10.
[17] Vierte Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (78/660/EWG), ABl. 1978, L 222, 11.
[18] Siebente Richtlinie des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluss (83/349/EWG), ABl. 1983, L 193, 1.
[19] Achte Richtlinie des Rates vom 10. April 1984 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen (84/253/EWG), ABl. 1984, L 126, 20.
[20] Zur Entwicklung bis zur Mitte der achtziger Jahre Walz, in: Heymann, Band 3, Einl. Rn. 4 ff.; Thiele/Stellbrink/Ziesemer, in: Baetge/Kirsch/Thiele, BilanzR, Einf. Rn. 2 ff.

II. Die Entwicklung bis zum BilMoG 2009

 

Tz. 14

Der wesentliche Treiber der Bilanzrechtsentwicklung blieb auch nach der Reform von 1986 zunächst vor allem die europäische Rechtsharmonisierung.[21] Aus dem umfangreichen Harmonisierungsprogramm und den dazu ergangenen deutschen Umsetzungsmaßnahmen seien im Folgenden nur die wichtigsten in chronologischer Folge genannt.

 

Tz. 15

Mit der Elften Richtlinie von 1989[22] wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass im Binnenmarkt für grenzüberschreitende Unternehmensaktivitäten immer häufige Zweigniederlassungen in anderen EG-Mitgliedstaaten errichtet wurden. Die Richtlinie erweitert den Kreis der offenlegungspflichtigen Unternehmen, indem verlangt wird, dass Zweigniederlassungen die am Ort der Hauptniederlassung offenzulegenden Unterlagen der Hauptniederlassung grundsätzlich auch am Ort der Zweigniederlassung offenlegen müssen (Art. 1 Abs. 1). Die gleiche Pflicht trifft so gena...

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