Tz. 37

Nicht zuletzt in Reaktion auf die Finanzkrise und den dadurch zutage getretenen Handlungsbedarf wurde seitens der EU auch die Harmonisierung der Abschlussprüfung weiter vorangetrieben.[73] Dazu legte die Kommission im Oktober 2010 das Grünbuch "Weiteres Vorgehen im Bereich der Abschlussprüfung: Lehren aus der Krise" vor, mit dem im allgemeinen Zusammenhang mit der Finanzmarktregulierungsreform eine breite öffentliche Konsultation eingeleitet wurde, bei der es um Funktion und Umfang der Abschlussprüfung sowie um die Frage ging, wie Abschlussprüfungen gestärkt werden können, um zu erhöhter Finanzstabilität beizutragen.[74] Aus dem Ergebnis der Konsultation zog die Kommission den Schluss, dass die geltenden Bestimmungen zur Prüfung von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen verbessert werden sollten. Es folgten im Jahr 2011 Vorschläge der EU-Kommission für eine Reform der Abschlussprüfung.[75]

 

Tz. 38

Die EU verfolgt bei der jüngsten Reform eine zweigeteilte Strategie mit zwei Rechtsakten: So wurde die weitere Harmonisierung im Bereich der Unternehmen von öffentlichem Interesse (Public Interest Entities, PIE, kapitalmarktorientierte Unternehmen, Kreditinstitute, Versicherungen) in eine Verordnung ausgelagert (Abschlussprüfungsverordnung).[76] Hier werden wegen der großen Bedeutung dieser Unternehmen unmittelbar EU-weit einheitliche Vorgaben geschaffen. Hingegen bleibt es für sonstige Unternehmen bei einer Richtlinien (Abschlussprüfungsrichtlinie),[77] sodass den Mitgliedstaaten insoweit Umsetzungsspielräume verbleiben.

 

Tz. 39

Die Reform der Abschlussprüfungsrichtlinie enthält unter anderem einen weiteren Begriff der Abschlussprüfung, einen europäischen Pass, das Bestehen auf einer "kritischen Grundhaltung", Vorgaben zur internen Organisation und Arbeitsorganisation und zu Prüfung und Bestätigungsvermerk gemäß den internationalen Prüfungsstandards, ferner Erleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen, sofern diese nicht Unternehmen von öffentlichem Interesse sind. Noch nicht absehbar ist, ob es mittel- und langfristig bei der nur allgemeinen Vorgabe des Art. 30 Abs. 2 der Abschlussprüfungsrichtlinie 2014 der Richtlinie ("wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen" für Abschlussprüfer, die sich nicht an die Richtlinie halten) bleibt. Eine Studie über zivilrechtliche Haftungssysteme für die EU-Kommission von 2001 hat erhebliche nationale Unterschiede ergeben.[78] Die EU-Kommission scheut vor einer Harmonisierung der Abschlussprüferhaftung zurück und sorgt mit der Abschlussprüferreform 2014 stattdessen für einen ganz erheblichen Ausbau der verwaltungsrechtlichen Untersuchungs- und Sanktionsbefugnisse (Art. 30 ff. der Abschlussprüfungs­richtlinie).[79]

 

Tz. 40

Die eigentlichen Probleme liegen jedoch in der Abschlussprüfungsverordnung. Hier wurden die Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse ganz erheblich verschärft, so etwa externe Rotation (Prüferwechsel grundsätzlich nach zehn Jahren), interne Rotation (verantwortlicher Prüfungspartner: nach sieben Jahren für mindestens drei Jahre; beteiligtes Führungspersonal: angemessenes graduelles Rotationssystem), schärfere Bestimmungen über Unabhängigkeit und Vermeidung von Interessenkonflikten und erhöhte Anforderungen an die Durchführung der Abschlussprüfung (Organisation, Ressourcen, Qualitätssicherung, kritische Grundhaltung, Bestätigungsvermerk, zusätzlicher Bericht an den Prüfungsausschuss, erhöhte Transparenz, Meldungen an die Behörde, Empfehlung des Prüfungsausschusses zur Bestellung der Abschlussprüfer u. a.). Vor allem aber sind diese Anforderungen mit dem Übergang auf die Rechtsform der europäischen Verordnung unmittelbar unionsrechtlich geregelt. Das ist eine in den letzten Jahren besonders im Bank- und Kapitalmarktrecht aufgekommene Praxis. Es könnte sein, dass künftig ein Großteil des Kapitalmarktrechts als Verordnung erlassen werden wird. Diese Praxis sorgt zwar für größere Rechtseinheitlichkeit, aber um den Preis, dass sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit systemkonformer Umsetzung in das nationale Recht entzieht und die unvermeidlichen Auslegungsprobleme direkt auf die europäische Ebene hinaufschiebt. Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hatte deswegen in seinem Bericht vom 15. April 2013 vorgesehen, dass ein Teil der Artikel aus der Verordnung in die Richtlinie überführt werden sollte. Die nunmehr zustande gekommene Abschlussprüferreform war bis zuletzt strittig und wird dementsprechend, was ihre Sinnhaftigkeit und ihre Auswirkungen auf die Praxis angeht, ganz unterschiedlich bewertet. In Deutschland sind durch die externe Rotation rund 1.600 Unternehmen betroffen, da über 800 nichtkapitalmarktorientierte Banken und Versicherungen ebenfalls erfasst sind, in der EU mehr als 30.000. In Deutschland, wo im Zeitpunkt der Reform 24 der DAX 30-Unternehmen seit mehr als 20 Jahren denselben Prüfer hatten, stehen insoweit erhebliche Änderungen an.

 

Tz. 41

Deutschland hat die EU-Reform...

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