Tz. 142

Das Bilanzrecht stellt den Bereich des Unternehmensrechts dar, dem das vereinigte Europa – von der EWG über die EG bis zur heutigen EU – mit Abstand die größte Aufmerksamkeit und den meisten Aufwand gewidmet hat.[196] Ziel der Harmonisierungsbemühungen ist es, Kapitalanlegern und Kreditgebern Informationen über die in der Gemeinschaft tätigen Gesellschaften zur Verfügung zu stellen, die formell und materiell vergleichbar und gleichwertig sind; beabsichtigt ist aber auch die Herstellung gleichwertiger rechtlicher Rahmenbedingungen für die miteinander in Wettbewerb stehenden Gesellschaften. Das Erreichen dieses Ziels wird allerdings durch die zahlreichen Wahlrechte, die das Richtlinienrecht sowohl den Mitgliedstaaten als auch den Gesellschaften einräumt, beeinträchtigt.[197]

 

Tz. 143

Grundcharakteristikum des europäischen Bilanzrechtsharmonisierung ist die Trennung zwischen dem Einzelabschluss des Unternehmens und dem konsolidierten bzw. Konzernabschluss in der Unternehmensgruppe. Für den Einzelabschluss orientiert sich die Harmonisierung am kontinentaleuropäischen Ansatz, der den Gläubigerschutz in den Vordergrund stellt. Hier erfolgt die Bewertung der Aktiva nach Anschaffung- oder Herstellungskosten abzüglich der Abschreibungen, und es dürfen nur realisierte Gewinne ausgeschüttet werden. Demgegenüber dient der Konzernabschluss in erster Linie der Kapitalmarktinformation, weshalb er dem angloamerikanischen Ansatz der Fair-Value -Bewertung (Zeitwertprinzip)und des True-and-Fair-View-Prinzips folgt. Damit scheidet er für die Ausschüttungsbemessung aus. An diesem grundlegenden Unterschied haben weder die zahlreichen Änderungsrechtsakte ("Bilanzrechtsreform in Permanenz")[198] noch die Zusammenführung der Vierten und der Siebenten Richtlinie in der Bilanzrichtlinie 2013 etwas geändert, allerdings sind die ergänzenden Angaben im Einzelabschluss heutzutage sehr viel zahlreicher und informativer als zu Beginn der Harmonisierung. Dies gilt insbesondere für so genannte außerbilanzielle Geschäfte etwa im Zusammenhang mit Zweckgesellschaften (special purpose vehicles).[199]

[196] Lutter/Bayer/Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., München 2012, 146.
[197] Kalss/Klampfl, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, München 2016, E. III Rn. 25b.
[198] Schmidt, J., in: Bayer (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des Deutschen Juristentages, Jena 2010, 407 (482).
[199] Lutter/Bayer/Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., München 2012, 147 (155).

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