Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsatz der Bilanzwahrheit, Bewertung von Vermögensgegenständen, Methode der Bewertung aufgrund der ursprünglichen Kosten, Niedrigere Anschaffungskosten als der tatsächliche Wert

 

Leitsatz (amtlich)

Der in Art. 2 Abs. 3 bis 5 der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel [44 Abs. 2 Buchst. g EG] über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen genannte Grundsatz der Bilanzwahrheit erlaubt es nicht, vom Grundsatz der Bewertung der Vermögensgegenstände auf der Grundlage ihrer Anschaffungs- und Herstellungskosten nach Art. 32 dieser Richtlinie zugunsten einer Bewertung auf der Grundlage ihres tatsächlichen Werts abzuweichen, wenn die Anschaffungs- und Herstellungskosten dieser Vermögensgegenstände offenkundig niedriger sind als ihr tatsächlicher Wert.

 

Normenkette

EWGRL 660/78 Art. 2 Abs. 3-5

 

Beteiligte

GIMLE

État Belge

GIMLE SA

 

Verfahrensgang

Cour de Cassation (Belgien) (Urteil vom 01.06.2012; ABl. EU 2012, Nr. C 287/22)

 

Tatbestand

„Vierte Richtlinie 78/660/EWG ‐ Art. 2 Abs. 3 ‐ Grundsatz der Bilanzwahrheit ‐ Art. 2 Abs. 5 ‐ Verpflichtung zur Abweichung ‐ Art. 32 ‐ Methode der Bewertung aufgrund der ursprünglichen Kosten ‐ Anschaffungskosten offenkundig niedriger als der tatsächliche Wert“

In der Rechtssache C-322/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Belgien) mit Entscheidung vom 1. Juni 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juli 2012, in dem Verfahren

État belge

gegen

GIMLE SA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter E. Juhász und C. Vajda (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen:

‐ der GIMLE SA, vertreten durch R. Tournicourt und F. Lettany, avocats,

‐ der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,

‐ der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,

‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun und J. Hottiaux als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Grundsatzes des den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaften in Art. 2 Abs. 3 bis 5 der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von [Art. 44 Abs. 2 Buchst. g EG] über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl. L 222, S. 11, im Folgenden: Vierte Richtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem belgischen Staat und der GIMLE SA (im Folgenden: GIMLE) über die buchhalterische Behandlung des Erwerbs von Geschäftsanteilen, die einen Monat nach ihrem Erwerb zu einem 3 400-mal höheren Preis als ihren Anschaffungskosten weiterverkauft wurden.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 2 Abs. 3 bis 5 der Vierten Richtlinie lautet:

„(3) Der Jahresabschluss hat ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft zu vermitteln.

(4) Reicht die Anwendung dieser Richtlinie nicht aus, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild im Sinne des Absatzes 3 zu vermitteln, so sind zusätzliche Angaben zu machen.

(5) Ist in Ausnahmefällen die Anwendung einer Vorschrift dieser Richtlinie mit der in Absatz 3 vorgesehenen Verpflichtung unvereinbar, so muss von der betreffenden Vorschrift abgewichen werden, um sicherzustellen, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild im Sinne des Absatzes 3 vermittelt wird. Die Abweichung ist im Anhang anzugeben und hinreichend zu begründen; ihr Einfluss auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ist darzulegen. Die Mitgliedstaaten können die Ausnahmefälle bezeichnen und die entsprechende Ausnahmeregelung festlegen.“

Rz. 4

In Art. 31 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die Bewertung der Posten im Jahresabschluss folgende allgemeine Grundsätze gelten:

c) Der Grundsatz der Vorsicht muss in jedem Fall beachtet werden. Das bedeutet insbesondere:

aa) Nur die am Bilanzstichtag realisierten Gewinne werden ausgewiesen.

…“

Rz. 5

Art. 32 der Vierten Richtlinie bestimmt:

„Für die Bewertung der Posten im Jahresabschluss gelten die Artikel 34 bis 42, die die Anschaffungs- und Herstellungskosten zur Grundlage haben.“

Belgisches Recht

Rz. 6

Nach Angaben des vorlegenden Gerichts stellen Art. 3 Abs. 1, Art. 4 und Art. 16 Abs. 1 des Arrêté royal du 8 octobre 1976 relatif aux comptes annuels des entreprises (Königliche Verordnung vom 8. Oktober 1976 über den Jahresabschluss von Unternehmen) in der für den Ausgangsrechtsstreit geltenden Fassung (im Folgenden: Königliche Verordnung) die Umsetzung des Art. 2 Abs. 3 bis 5 der V...

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