Leitsatz (amtlich)

a) Ein außenstehender Aktionär ist dann in seinen Rechten i.S. des § 20 Abs. 1 FGG beeinträchtigt, wenn ihm die Möglichkeit genommen wird, eine registergerichtliche Entscheidung, mit der eine Pflicht des Vorstandes zur Erstellung eines Abhängigkeitsberichtes verneint wird, im Wege der Beschwerde überprüfen zu lassen.

b) Die Verpflichtung zur Aufstellung eines Abhängigkeitsberichtes gem. § 312 AktG entfällt nicht mit der Feststellung des Jahresabschlusses.

c) Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist bereits dann als Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne anzusehen, wenn sie lediglich ein in privater Rechtsform organisiertes Unternehmen beherrscht (Ergänzung zu BGHZ 69, 334, 344).

 

Normenkette

AKtG 1965 §§ 17, 312, 315; FGG § 20 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Braunschweig (Beschluss vom 02.08.1995)

OLG Braunschweig

 

Tenor

1. Die weitere Beschwerde der Beschwerdeführerin wird hinsichtlich der Beschwerdegegner zu 6 und 7 als unzulässig verworfen und hinsichtlich des Beschwerdegegners zu 3 als unbegründet zurückgewiesen.

2. Im übrigen wird auf die weitere Beschwerde der Beschwerdeführerin der Beschluß der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Braunschweig vom 2. August 1995 aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 100.000,– DM

 

Tatbestand

I.

Die Beschwerdeführerin, Aktionärin der V. Aktiengesellschaft, hat bei dem für die Führung des Handelsregisters dieser Gesellschaft zuständigen Amtsgericht beantragt, auf der Grundlage von § 407 Abs. 1 AktG in Verbindung mit § 132 Abs. 1 FGG die Beschwerdegegner in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Vorstandes der Volkswagen Aktiengesellschaft aufzufordern, innerhalb einer angemessenen Frist einen Abhängigkeitsbericht gemäß § 312 Abs. 1 AktG für das Geschäftsjahr 1993 zu erstellen. Weiter hat die Beschwerdeführerin den Antrag gestellt, den Beschwerdegegnern die Festsetzung eines Zwangsgeldes anzudrohen, falls sie der Aufforderung zur Erstellung des Abhängigkeitsberichtes nicht fristgerecht nachkommen.

Die Beschwerdeführerin hat hierzu die Auffassung vertreten, das Land Niedersachsen sei im Verhältnis zur V. Aktiengesellschaft jedenfalls für das Geschäftsjahr 1993 als herrschendes Unternehmen anzusehen, weil es in diesem Jahr unmittelbar und mittelbar über eine Beteiligungsgesellschaft Eigentümerin von 20 % der stimmberechtigten Stammaktien der V. Aktiengesellschaft gewesen sei und außerdem langfristig Beteiligungen an einer Vielzahl von weiteren Unternehmen gehalten habe und noch halte.

Registergericht und Beschwerdegericht haben es abgelehnt, tätig zu werden.

Auf die weitere Beschwerde der Beschwerdeführerin hat das Gericht der weiteren Beschwerde die Sache gemäß § 28 Abs. 2 PGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Voraussetzungen für eine Vorlage nach § 28 Abs. 2 FGG sind gegeben. Das Gericht der weiteren Beschwerde sieht sich zu einer Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts zu Recht durch den Beschluß des Oberlandesgerichts Köln vom 22. Dezember 1977 (veröffentlicht in AG 1978, 171, 172) gehindert. Das Oberlandesgericht Köln hat dort die Ansicht vertreten, ein Abhängigkeitsbericht im Sinne von § 312 Abs. 1 AktG brauche dann nicht mehr erstellt zu werden, wenn der Jahresabschluß der Aktiengesellschaft festgestellt und nicht wirksam angefochten worden sei. Das folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Entscheidung. Es ist aber aus dem Gesamtzusammenhang der Gründe des Beschlusses zu entnehmen: Denn das Oberlandesgericht Köln stellt einmal entscheidend auf die von § 313 Abs. 1 Satz 1 AktG geforderte Gleichzeitigkeit der Vorlage von Jahresabschluß, Lagebericht und Abhängigkeitsbericht ab, zum anderen geht es für zukünftige Zeiträume ohne weiteres von der Verpflichtung des Vorstandes der dort betroffenen Aktiengesellschaft aus, einen Abhängigkeitsbericht zu erstellen. Mithin war die allein tragende Begründung für die Ablehnung dieser Pflicht, daß der Jahresabschluß bereits festgestellt war.

III.

1. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit die Beschwerdeführerin mit der weiteren Beschwerde erreichen möchte, daß auch die Beschwerdegegner zu 6 und 7 mittels Androhung eines Zwangsgeldes zur Aufstellung des Abhängigkeitsberichtes für das Jahr 1993 angehalten werden. Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegner zu 6 und 7 erst nach einem Hinweis des Gerichtes der weiteren Beschwerde auf zwischenzeitlich eingetretene personelle Änderungen im Vorstand der V. Aktiengesellschaft in das Verfahren mit einbezogen. Das ist nicht zulässig. Aus der in § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG enthaltenen Verweisung auf § 561 ZPO ist zu schließen, daß nach Einlegung der weiteren Beschwerde das Verfahren nicht auf weitere Personen als Beteiligte erstreckt werden darf (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 13. Aufl., § 27 Rdn. 43; für das Revisionsverfahren vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 20. Aufl., § 561 Rdn. 10; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 561 Rdn. 5).

2. Die weitere Beschwerde ist hingegen zulässig, soweit sie die Verpflichtung der Beschwerdegegner zu 1 bis 5 zum Gegenstand hat, einen Abhängigkeitsbericht zu erstellen. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin berechtigt, die weitere Beschwerde einzulegen (§§ 20 Abs. 1, 27 Abs. 1 FGG).

Die Beschwerdegegner verstehen den Antrag der Beschwerdeführerin bei dem zuständigen Registergericht lediglich als Anregung im Sinne des § 132 FGG. Demgemäß werde die Maßnahme des Registergerichtes allein im öffentlichen Interesse getroffen. Da somit ein subjektives Recht der Beschwerdeführerin als Aktionärin nicht betroffen sein könne, stehe ihr ein Beschwerderecht nicht zu. Zudem sei die aktienrechtliche Regelung insoweit abschließend, als der Abschlußprüfer nach § 313 AktG auch die Frage zu prüfen habe, ob die Erstattung eines Abhängigkeitsberichtes im Sinne des § 312 AktG erforderlich sei oder nicht. Dem kann nicht gefolgt werden.

Nach § 20 Abs. 1 FGG steht die Beschwerde jedem zu, dessen Recht durch eine gerichtliche Verfügung beeinträchtigt wird. Als Recht im Sinne dieser Regelung ist jede durch Gesetz verliehene oder durch die Rechtsordnung anerkannte, von der Staatsgewalt geschützte und dem Beschwerdeführer zustehende Rechtsposition anzusehen (Keidel/Kuntze/Winkler a.a.O., § 20 Rdn. 7; Bassenge/Herbst, FGG. 7. Aufl., § 20 Rdn. 5 f.; Bumiller/Winkler, FGG, 5. Aufl., § 20 Anm. 2). Die Befugnis eines Aktionärs, nach § 315 Abs. 1 Satz 1 AktG die Bestellung eines Sonderprüfers zu beantragen, ist als Recht in diesem Sinne anzusehen. Das folgt aus dem Zweck der §§ 312 und 315 AktG. § 312 Abs. 1 Satz 1 AktG soll außenstehenden Aktionären die Möglichkeit eröffnen, das Bestehen von Schadensersatzansprüchen gegen das herrschende Unternehmen und dessen gesetzliche Vertreter (§ 317 AktG) sowie die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat des beherrschten Unternehmens (§ 318 AktG) zu prüfen. Die Regelung dient vor allem dem Zweck, den außenstehenden Aktionären durch Verbesserung ihrer Beweislage die Durchsetzung derartiger Schadensersatzansprüche zu erleichtern (vgl. Begr. RegE zu § 312 AktG, abgedruckt bei Kropff, 1965, S. 411; Hüffer, AktG, 2. Aufl., § 312 Rdn. 1; KK/Koppensteiner, AktG, 2. Aufl., § 312 Ran. 2 f.; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 312 Rdn. 1; Würdinger in: Großkommentar zum AktG, 3. Aufl., Einleitung zu § 312). Diesem Ziel dient auch das nach § 315 Satz 1 AktG jedem Aktionär zustehende Recht, unter den in der Vorschrift aufgeführten eingeschränkten Voraussetzungen die Bestellung eines Sonderprüfers zu beantragen (Hüffer a.a.O., § 315 Rdn. 1; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff a.a.O., § 315 Rdn. 1).

Eine Rechtsbeeinträchtigung im Sinne des § 20 Abs. 1 PGG liegt in jeder Rechtsgefährdung. Eine solche kann insbesondere dadurch hervorgerufen werden, daß die Rechtsausübung behindert oder die Möglichkeit der Verbesserung einer Rechtsstellung erschwert wird. Das gilt auch hinsichtlich der Beschwerdebefugnis von Aktionären im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Keidel/Kuntze/Winkler a.a.O., § 20 Rdn. 12, 104 f.; § 132 Rdn. 30; Bumiller/Winkler a.a.O., § 20 Rdn. 5; Hüffer in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff a.a.O., § 407 Rdn. 22; Hüffer in Großkommentar zum HGB, 4. Aufl., § 14 Rdn. 20). Würde man einem außenstehenden Aktionär die Möglichkeit nehmen, eine registergerichtliche Entscheidung, mit der eine Pflicht des Vorstandes zur Erstellung eines Abhängigkeitsberichtes verneint wird, im Wege der Beschwerde und der weiteren Beschwerde überprüfen zu lassen, wäre er in der Regel nicht in der Lage, mögliche Ansprüche nach § 315 Satz 1 und §§ 317 f. AktG durchzusetzen. Das würde seine Rechtsposition im Sinne des § 20 Abs. 1 FGG beeinträchtigen.

IV.

Die weitere Beschwerde ist nur zum Teil begründet.

1. Hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 3 ist sie unbegründet. Die Pflicht zur Erstattung des Abhängigkeitsberichtes trifft nur die Vorstandsmitglieder, die im Zeitpunkt der Berichtserstellung amtieren (Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., § 312 AktG Rdn. 78; Döllerer in FS Semler, 1993, S. 441, 448, 453 f.). Diese Voraussetzung ist in der Person des Beschwerdegegners zu 3, der zwischenzeitlich aus dem Vorstand der V. Aktiengesellschaft ausgeschieden ist, nicht mehr erfüllt.

2. Hinsichtlich der Beschwerdegegner zu 1, 2, 4 und 5 ist die weitere Beschwerde begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

a) Die Vorlagefrage ist in Übereinstimmung mit dem Gericht der weiteren Beschwerde dahingehend zu beantworten, daß die Verpflichtung zur Aufstellung eines Abhängigkeitsberichtes gemäß § 312 Abs. 1 AktG nicht mit der Feststellung des Jahresabschlusses (§§ 170 Abs. 1, 171, Abs. 1, 172 AktG) entfällt (vgl. OLG Braunschweig, ZIP 1996, 875, 876 mit zustimmender Anmerkung von Hirte, EWiR 1996, 583; LG Traunstein, ZIP 1993, 1551 mit zustimmender Anmerkung von staab, EWiR 1993, 1049, 150; Hüffer, AktG a.a.O., § 312 Rdn. 10; KK/Koppensteiner a.a.O., § 312 Rdn. 23; Krieger in Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4 (Aktiengesellschaft), 1988, § 69 Rdn. 76; a.A. OLG Köln, AG 1978, 171, 172; AG Bremen, DB 1976, 1760; Adler/Düring/Schmaltz a.a.O., § 312 Rdn. 103; Mertens, AG 1996, 241, 247 ff.). Daraus folgt für den vorliegenden Fall, daß auch nach Feststellung des Jahresabschlusses die Androhung eines Zwangsgeldes gegen die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft möglich bleibt (§ 407 Abs. 1 AktG in Verbindung mit § 132 Abs. 1 FGG), um die Erstellung eines Abhängigkeitsberichtes nach § 312 Abs. 1 AktG zu erzwingen.

aa) Der Abhängigkeitsbericht ist kein Bestandteil des Jahresabschlusses. Er wird es auch nicht dadurch, daß die Schlußerklärung des Vorstandes nach § 312 Abs. 3 Satz 3 AktG in den Lagebericht aufgenommen werden muß. Denn auch der Lagebericht gehört nicht zum Inhalt des Jahresabschlusses, sondern bildet einen eigenständigen Teil der Rechnungslegung (BGHZ 124, 111, 121 f.). Bereits aufgrund dieses Befundes kann nicht davon ausgegangen werden, daß zwischen dem Jahresabschluß und dem Abhängigkeitsbericht ein zwingender Zusammenhang besteht.

bb) Zutreffend wird auf die große Bedeutung hingewiesen, die diesem Bericht im Zusammenwirken mit dem Recht auf Beantragung einer Sonderprüfung nach § 315 Abs. 1 AktG für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aus §§ 317 f. AktG zukommt (OLG Braunschweig a.a.O., LG Traunstein a.a.O.; KK/Koppensteiner a.a.O.; vgl. auch Begr. RegE zu § 312 AktG, abgedruckt bei Kropff, 1965, S. 410 f.). Mit diesem von § 312 Abs. 1 AktG verfolgten Regelungszweck wäre es unvereinbar, die Verpflichtung zur Aufstellung des Abhängigkeitsberichtes mit der Feststellung des Jahresabschlusses entfallen zu lassen. Das gilt insbesondere deswegen, weil sich für das Registergericht und für außenstehende Aktionäre in aller Regel erst aus dem Jahresabschluß und dem gleichzeitig vorzulegenden Lagebericht der Aktiengesellschaft Anhaltspunkte für eine neu entstandene oder fortdauernde Abhängigkeit von einem herrschenden Unternehmen ergeben.

cc) Ließe man die Pflicht zur Aufstellung des Abhängigkeitsberichtes mit der Feststellung des Jahresabschlusses entfallen, so läge es weitgehend in der Hand von Vorstand und Aufsichtsrat, durch eine kurzfristige Feststellung des Jahresabschlusses nach Ende des Geschäftsjahres die Notwendigkeit der Aufstellung eines Abhängigkeitsberichtes zu umgehen. Damit würde § 312 Abs. 1 AktG die Schutzwirkung, die er zugunsten der außenstehenden Aktionäre entfaltet, weitgehend verlieren. Auch wäre unter diesen Umständen nicht gewährleistet, daß dem Registergericht stets eine ausreichende Zeitspanne zur Prüfung der Frage zur Verfügung steht, ob ein Abhängigkeitsbericht aufzustellen und ggf. ein Einschreiten auf der Grundlage des § 407 Abs. 1 AktG in Verbindung mit § 132 Abs. 1 FGG veranlaßt ist.

dd) Darüber hinaus würde § 312 Abs. 1 AktG seiner Präventivwirkung entkleidet. Diese besteht darin, daß in der Praxis die der Aktiengesellschaft im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses zugefügten Nachteile unmittelbar ausgeglichen werden, ohne daß auf die §§ 317 f. AktG zurückgegriffen werden muß (Hommelhoff, ZHR 156 (1992), 295, 313; Landgericht Traunstein a.a.O.).

b) Ob die Verpflichtung, einen Abhängigkeitsbericht zu erstellen, zeitlichen Grenzen unterliegt, kann für den vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Ein Interesse der außenstehenden Aktionäre an der Erstellung des Berichtes besteht auf jeden Fall bis zum Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist der §§ 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 und 309 Abs. 5 AktG für Schadensersatzansprüche im Sinne der §§ 317 f. AktG, um erforderlichenfalls die Bestellung eines Sonderprüfers erreichen zu können. Diese Frist ist für das hier allein interessierende Geschäftsjahr 1993 noch nicht abgelaufen.

3. Das Land Niedersachsen ist als Unternehmen im Sinne des § 17 Abs. 1 AktG anzusehen.

Grundsätzlich ist ein Gesellschafter – ohne Rücksicht auf seine Rechtsform – dann Unternehmer im konzernrechtlichen Sinne, wenn er neben der Beteiligung an der Aktiengesellschaft anderweitige wirtschaftliche Interessenbindungen hat, die nach Art und Intensität die ernsthafte Sorge begründen, er könne wegen dieser Bindung seinen aus der Mitgliedschaft folgenden Einfluß auf die Aktiengesellschaft zu deren Nachteil ausüben (BGHZ 69, 334, 337; Sen. Urt. v. 13. Dezember 1993 – II ZR 89/93, ZIP 1994, 207, 208; Hüffer, AktG a.a.O., § 15 Rdn. 8; KK/Koppensteiner a.a.O., § 15 Rdn. 7; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., § 31 II 1 a). Das ist u.a. regelmäßig dann der Fall, wenn er maßgeblich an einer anderen Gesellschaft beteiligt ist und somit die Möglichkeit besteht, daß er sich unter Ausübung von Leitungsmacht auch in anderen Gesellschaften unternehmerisch betätigt (BGHZ 69, 334, 346; Sen. Urt. v. 13. Dezember 1993 a.a.O., S. 208; Hüffer, AktG a.a.O., § 15 Rdn. 9; KK/Koppensteiner a.a.O., § 15 Rdn. 21 f. und 27 f.).

Für Körperschaften des öffentlichen Rechts muß diese Definition des konzernrechtlichen Unternehmensbegriffes allerdings modifiziert werden. Sie sind bereits dann als Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne anzusehen, wenn sie lediglich ein in privater Rechtsform organisiertes Unternehmen beherrschen (Dielmann, Die Beteiligung der öffentlichen Hand an Kapitalgesellschaften und die Anwendbarkeit des Rechts der verbundenen Unternehmen, 1977, 153; Zöllner, ZGR 1976, 1, 28; Kaiser, ZGR 1996, 458, 464 f.; KK/Koppensteiner a.a.O., § 15 Rdn. 41 a.E.; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., Anh. zu § 77 Rdn. 22; offengelassen in BGHZ 69, 334, 344). Dieser Ausdehnung des Unternehmensbegriff für den Bereich privatwirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand bedarf es, um der Gefahr einer einseitigen Förderung öffentlicher Aufgaben und politischer Ziele zu Lasten von Minderheitsaktionären begegnen zu können. Denn anders als bei privaten Aktionären ist bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften im Regelfall davon auszugehen, daß sie sich bei der Ausübung ihres Einflusses auf die beherrschte Aktiengesellschaft nicht nur von typischen Aktionärsinteressen, sondern auch von anderen Interessen leiten lassen, nämlich solchen, die aus ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabenstellung herrühren. Diese Interessenkollision ist von der gleichen Art wie der Konflikt, dem das Konzernrecht steuern soll. Sie birgt überdies für Minderheitsgesellschafter ebenso große Gefahren in sich wie diejenigen, die durch eine anderweitige Beteiligung eines privaten Mehrheitsaktionärs auftreten können (Kaiser a.a.O., 465).

4. Das Land Niedersachsen konnte im Geschäftsjahr 1993 einen beherrschenden Einfluß im sinne des § 17 Abs. 1 AktG auf die Volkswagen Aktiengesellschaft ausüben.

Die Voraussetzungen des Abhängigkeitstatbestandes nach dieser Vorschrift sind dann gegeben, wenn ein rechtlich selbständiges Unternehmen – aus seiner Sicht – in eine Situation geraten ist, nach der es der Möglichkeit einer Beherrschung durch ein anderes Unternehmen ausgesetzt ist (allgemeine Meinung, vgl. Hüffer, AktG a.a.O., § 17 Rdn. 4). Insbesondere kann auch eine unter 50 % liegende Beteiligung in Verbindung mit weiteren verläßlichen Umständen rechtlicher oder tatsächlicher Art eine Abhängigkeit im Sinne des § 17 Abs. 1 AktG begründen (BGHZ 69, 334, 347). Erforderlich ist die Möglichkeit einer Einflußnahme, die beständig, umfassend und gesellschaftsrechtlich vermittelt ist (BGHZ 90, 381; vgl. auch Hüffer, AktG a.a.O., § 17 Rdn. 4). Das kann bereits dann der Fall sein, wenn die Hauptversammlungen einer Aktiengesellschaft erfahrungsgemäß so besucht sind, daß die unter 50 % liegende Beteiligung eines Großaktionärs regelmäßig ausreicht, um für einen längeren Zeitraum Beschlüsse mit einfacher Mehrheit durchzusetzen (BGHZ 69 a.a.O., 347; KK/Koppensteiner a.a.O., § 17 Rdn. 36). Die Abhängigkeit kann ferner durch die Möglichkeit einer tatsächlichen Einflußnahme auf den Vorstand und seine Geschäftspolitik verstärkt werden, die ein Großaktionär bei einer Gesellschaft, an der überwiegend Klein- und Kleinstaktionäre beteiligt sind, in hohem Maße ausüben Kann. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn er ein oder mehrere Mandate im Aufsichtsrat besetzen kann.

Diese Voraussetzungen sind bei dem Land Niedersachsen insgesamt erfüllt. Es hatte in der für das Geschäftsjahr 1993 durchgeführten Hauptversammlung im fünften aufeinanderfolgenden Jahr mit seiner Beteiligung von 20 % die Mehrheit der Stimmrechte der in der Hauptversammlung vertretenen Aktionäre. Hinzu kommt, daß das Land Niedersachsen mit zwei Mandaten im Aufsichtsrat der V. Aktiengesellschaft vertreten ist. Daraus ergeben sich nach §§ 84 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 1 Satz 1 AktG zusätzliche Möglichkeiten, auf die Geschäftspolitik der Gesellschaft Einfluß zu nehmen. Diese Umstände reichen aus, um aus der Sicht der V. Aktiengesellschaft die Möglichkeit einer beständigen und umfassenden Einflußnahme auf das Unternehmen bejahen zu können.

V.

Die Festsetzung der Höhe des Zwangsgeldes nach § 407 Abs. 1 Satz 1 AktG in Verbindung mit § 132 Abs. 1 Satz 1 FGG muß unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles erfolgen. Gleiches gilt für die Bemessung der Frist zur Erstellung des Abhängigkeitsberichtes. Diese Frist muß insbesondere so ausreichend bemessen sein, daß die Erfüllung der aufgegebenen Verpflichtung – hier also die Erstellung des Abhängigkeitsberichtes – fristgemäß vorgenommen werden kann (vgl. dazu Keidel/Kuntze/Winkler a.a.O., § 132 Rdn. 25 f.; § 33 Rdn. 20 a; Bumiller/Winkler a.a.O., § 132 Rdn. 5). Da das Beschwerdegericht – von seinem Standpunkt aus zu Recht – bisher zu diesen Punkten keine Feststellungen getroffen hat, war dem Senat eine abschließende Entscheidung in der Sache nicht möglich. Die Sache war daher zurückzuverweisen. Das Beschwerdegericht wird – ggf. nach Ergänzung des Sachvortrages durch die Beteiligten – diese Feststellungen nachzuholen haben.

 

Unterschriften

Röhricht, Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Henze, Dr. Kapsa, Kraemer

 

Fundstellen

Haufe-Index 1778275

BGHZ

BGHZ, 107

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1997, 887

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