Rn. 18

Stand: EL 39 – ET: 06/2023

Da es beim Thema "GoB" im Zusammenhang mit dem HGB 1985 wegen der vielfachen Nennungen von GoB und der mehr oder weniger konkreten Kodifizierungen von GoB im Gesetz nicht mehr überwiegend um die Ermittlung von außergesetzlichen Normen geht, sondern v.a. um die Auslegung von gesetzlichen GoB-Vorschriften ("gesetzlichen Grundsätzen" i. S. v. Müller (1988), S. 15, und HdR-E, Kap. 2, Rn. 4), genügt eine – in dem vorher erläuterten Sinne – deduktive Ermittlung von GoB nicht mehr. Aus diesen Gründen ist es notwendig, die bei der Gesetzesauslegung übliche Methodenlehre der Jurisprudenz i. V. m. der hermeneutischen Methode zur Auslegung und Ermittlung von GoB heranzuziehen (vgl. Larenz (1991), S. 204f.; Beisse, StuW 1984, S. 1 (8); Kriele (1967); a. A. Müller (1988), S. 7f.). Die so verstandene "hermeneutische Methode" schließt die handelsrechtlich deduktive Methode ein, denn der "Auslegende vergegenwärtigt sich die verschiedenen möglichen Bedeutungen eines Ausdrucks oder einer Wortfolge und fragt sich, welche hier die richtige sei. Zu diesem Zwecke befragt er den Textzusammenhang, seine eigene Kenntnis von der Sache, von der im Text die Rede ist, prüft die Situation, die den Anlass zu dem Text [...] gegeben hat, sowie andere hermeneutisch bedeutsame Umstände, die sich als Indizien für die gesuchte Bedeutung verwerten lassen" ­(Larenz (1991), S. 204, Herv.d. d.Verf.). Die Auslegung gesetzlich fixierter und neu hinzugewonnener GoB ist somit auch nur im Bedeutungszusammenhang aller GoB möglich.

 

Rn. 19

Stand: EL 39 – ET: 06/2023

Zur hermeneutischen Auslegung und Ermittlung handelsrechtlicher GoB sind die Gesetzesvorschriften, in denen bereits einzelne GoB genannt oder auch mehr oder weniger kodifiziert sind, und der im HGB mehrfach verwendete unbestimmte Rechtsbegriff "GoB" auszulegen. Grundlage für die Auslegung ist der Wortlaut und der Wortsinn der auszulegenden Vorschrift, der Bedeutungszusammenhang der Vorschrift innerhalb des Gesetzes, deren Entstehungsgeschichte sowie die vom seinerzeitigen Gesetzgeber nach den Gesetzesmaterialien verfolgten und die objektiv-teleologisch ermittelten Buchführungs- und JA-Zwecke (vgl. Larenz (1991), S. 204). Bei den objektiv-teleologisch ermittelten Zwecken spielt auch die oben erwähnte Natur der Sache (vgl. HdR-E, Kap. 2, Rn. 13) eine Rolle, d. h., es sind auch betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte i. R.d. rechtlichen Kriterien zu berücksichtigen. Daneben ist die Übereinstimmung der gewonnenen GoB mit der Verfassung zu beachten (vgl. Larenz (1991), S. 339).

 

Rn. 20

Stand: EL 39 – ET: 06/2023

Bei der hermeneutischen Auslegung und Ermittlung von handelsrechtlichen GoB sind die genannten Kriterien, soweit sie vorhanden bzw. relevant sind, als Maßstäbe anzulegen. Wird im Gesetz ein Grundsatz genannt oder mehr oder weniger kodifiziert, dann ist bei der Auslegung zunächst vom Wortlaut und vermuteten Wortsinn dieser Vorschrift auszugehen. Außerdem sind der Bedeutungszusammenhang dieses gesetzlichen Grundsatzes zu den anderen GoB und zu den übrigen gesetzlichen Vorschriften sowie die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zu ermitteln. Anschließend ist zu prüfen, ob der Bedeutungszusammenhang und die Entstehungsgeschichte die bis dahin erarbeitete Wortlaut-Wortsinn-Auslegung weiterführen, u. U. aber auch verändern bzw. einengen können. Für die Auslegung sind auch die zu ermittelnden Buchführungs- und JA-Zwecke (vgl. HdR-E, Kap. 2, Rn. 29ff.) relevant. Ferner ist die Verfassungskonformität der bis zu diesem Punkt erarbeiteten Auslegung zu prüfen, wie dies Birk (BB 1983, S. 2065ff.) für das frühere Passivierungswahlrecht für Pensionsrückstellungen nach § 152 Abs. 7 AktG 1965 getan hat und feststellte, dass dieses Wahlrecht das im GG geschützte Recht auf Eigentum implizit infrage stellte und somit nicht verfassungskonform sei. Die Verfassungskonformität hat als einziges Auslegungskriterium – wenn sie überhaupt einmal relevant ist – den absoluten Vorrang vor den anderen Auslegungskriterien (vgl. Larenz (1991), S. 339ff.).

 

Rn. 21

Stand: EL 39 – ET: 06/2023

Liefert der Wortlaut des HGB dagegen keine Grundlage für einen GoB und nennt das Schrifttum dafür einen solchen oder entwickelt ein Verfasser einen außergesetzlichen GoB, dann entfallen bei dessen hermeneutischer Ermittlung und Gestaltung die folgenden Auslegungskriterien:

  • Wortlaut und Wortsinn des Gesetzes,
  • i. d. R. Entstehungsgeschichte des Gesetzes und
  • die vom Gesetzgeber gesetzten Zwecke bezüglich dieses GoB.

Die verbleibenden Kriterien der hermeneutischen Vorgehensweise müssen aber zur Ermittlung und Konkretisierung von nicht kodifizierten GoB herangezogen werden, nämlich:

  • die vom Gesetzgeber gesetzten Zwecke bezüglich der Buchführung und des JA,
  • die objektiv-teleologischen Buchführungs- und JA-Zwecke,
  • der Bedeutungszusammenhang und
  • die Verfassungskonformität.

Wie unter HdR-E, Kap. 2, Rn. 29ff., gezeigt wird, sind der Bedeutungszusammenhang und die Buchführungs- und JA-Zwecke selbst wiederum vorwiegend aus dem Wo...

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