aa) Reichweite

 

Rn. 95

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

§ 5 Abs. 1 Satz 1 (2. Halbsatz) EStG eröffnet die Möglichkeit, steuerliche Wahlrechte ohne Vorprägung durch handelsrechtliche GoB, d. h. steuerlich autonom auszuüben. Der steuergesetzliche Wahlrechtsvorbehalt erfasst Ansatz- ebenso wie Bewertungswahlrechte. Der Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 1 (2. Halbsatz) EStG bezieht sich konkret zwar lediglich auf den steuerlich gewählten "anderen Ansatz", die Dokumentationsregelung des § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG stellt mit Inbezugnahme des "Werts" von WG gleichwohl klar, das auch Bewertungswahlrechte eingeschlossen werden.

 

Rn. 96

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Der konkrete Umfang der vom Wahlrechtsvorbehalt erfassten Wahlrechte ist umstritten (vgl. zum Disput Gräbe (2012), S. 167ff., m. w. N.). Der steuergesetzliche Wahlrechtvorbehalt ist nach Auffassung der Finanzverwaltung weit auszulegen, umfasst sind alle Wahlrechte, die sich aus dem Gesetz oder Verwaltungsanweisungen ergeben, unabhängig davon, ob ein korrespondierendes handelsrechtliches Wahlrecht besteht oder das Wahlrecht lediglich einseitig steuerlich besteht (vgl. BMF, Schreiben vom 12.03.2010, IV C 6 – S 2133/09/10001, BStBl. I 2010, S. 239ff. (Rn. 12f., 16)). Explizit vom steuergesetzlichen Wahlrechtsvorbehalt erfasst sieht die Finanzverwaltung insbesondere auch das steuerliche Wahlrecht zur Teilwert-AfA gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2 Satz 2 EStG (vgl. BMF, Schreiben vom 12.03.2010, IV C 6 – S 2133/09/10001, BStBl. I 2010, S. 239ff. (Rn. 15); R 6.8 Abs. 1 Satz 3 EStR (2012)). Diese Auffassung korrespondiert grds. mit der h. M. im Schrifttum, die – jeglicher fehlenden Differenzierung/Einschränkung des § 5 Abs. 1 Satz 1 (2. Halbsatz) EStG entsprechend – sämtliche steuerlichen Wahlrechte ohne Ansehen ihrer Motivation (steuersubventionell, fiskalisch motiviert, Vereinfachung etc.) oder der GoB-Konformität der eröffneten Wahlmöglichkeiten erfasst sieht (vgl. z. B. Stobbe, DStR 2008, S. 2432 (2433); Herzig/Briesemeister, DB 2009, S. 926 (929); Herzig/Briesemeister, DB 2009, S. 976; Herzig/Briesemeister, DB 2010, S. 917; Dörfler/Adrian, Ubg 2009, S. 385 (387); Kirsch, Stbg 2009, S. 320; Ortmann-Babel/Bolik/Gageur, DStR 2009, S. 934 (935); Ott, StuB 2009, S. 469 (470); Theile, DStR 2009, S. 2384; Werth, DStZ 2009, S. 508 (509f.); Klein, NWB 2010, S. 2042 (2044ff.); Prinz, DB 2010, S. 2069 (2071); Bilanz-HB (2015), Kap. C, Rn. 596; Beck Bil-Komm. (2022), § 243 HGB, Rn. 106f.; § 274 HGB, Rn. 122, 125, 141; HB-BilStR (2021), Rn. 366; Blümich (2021), § 5 EStG, Rn. 202); dies kommt ebenfalls im BFH-Urteil vom 09.12.2014 (X R 36/12, BFH/NV 2015, S. 821 (obiter dictum)) zum Ausdruck. Mit Nachdruck betont nicht zuletzt auch der GrS des BFH die Eigenständigkeit der steuerlichen Gewinnermittlung, konkret eine eigenständige Auslegung und Anwendung spezieller steuerrechtlicher Vorschriften, auch wenn diese im Handelsrecht eine Entsprechung finden (vgl. BFH, Beschluss vom 31.01.2013, GrS 1/10, BStBl. II 2013, S. 317, zum subjektiven Fehlerbegriff).

 

Rn. 97

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Eine demgegenüber (in unterschiedlichen Nuancen) vertretene Einengung des Wahlrechtsvorbehalts auf steuerliche Wahlrechte mit Subventionscharakter bzw. besonderem Lenkungszweck (vgl. insbesondere Hennrichs, Ubg 2009, S. 533 (538ff.); AKBR, DB 2009, S. 2570 (2571); Schenke/Risse, DB 2009, S. 1957ff.; Anzinger/Schleitner, DStR 2010, S. 395 (397f.); Schulze-Osterloh, DStR 2011, S. 534 (535f., 538); Weber-Grellet DB 2009, S. 2401 (2403); H/H/R (2021), § 5 EStG, Rn. 273, 280) hat sich bis dato nicht durchgesetzt. Gleiches gilt hinsichtlich einer Verengung des Anwendungsbereichs auf GoB-widrige Wahlrechte (vgl. Förster/Schmidtmann, BB 2009, S. 1342 (1343); i. d. S. auch Drüen/Mundfortz, DB 2014, S. 2245 (2250)). Eine auf Wahlrechte mit Subventionscharakter bzw. besonderem Lenkungszweck begrenzte enge Auslegung wird vornehmlich auf verfassungsrechtlicher Grundlage mit Hinweis darauf vertreten, dass steuerliche Wahlrechte rechtfertigungsbedürftig seien, konkret einen über die Bemessung finanzieller Leistungsfähigkeit hinausreichenden Zweck verfolgen müssen, demgemäß nur in den engen Grenzen eines besonderen Lenkungszwecks zulässig seien (vgl. Hennrichs, Ubg 2009, S. 533 (539); Anzinger/Schleitner, DStR 2010, S. 395 (397); Mayr (2011), S. 331f.). Einer verfassungsrechtlich gebotenen Verengung "steuerlicher Wahlrechte" i. S. d. § 5 Abs. 1 Satz 1 (2. Halbsatz) EStG auf Wahlrechte mit Lenkungsziel tritt Barke mit dem Argument fehlender rechtfertigungsbedürftiger Ungleichbehandlung im Außenverhältnis im Fall eines nicht-subventionellen Wahlrechts überzeugend entgegen (vgl. Barke, DStZ 2015, S. 302f.). Auch in Fällen GoB-konformer steuerlicher Wahlrechte erzwingt der Maßgeblichkeitsgrundsatz keine in HB und StB identischen Werte, da dieser (lediglich) die Einhaltung der handelsrechtlichen GoB erfordert, nicht hingegen den Ansatz eines konkreten Werts.

 

Rn. 98

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Eine Reduktion des Wahlrechtsbereichs i. S. d. § 5 Abs. 1 S...

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