Rn. 30

Stand: EL 40 – ET: 09/2023

Der Gesetzgeber begründete die in § 250 Abs. 1 Satz 2 HGB 1985 aufgenommenen Regelungen wie folgt: "Den Kaufleuten soll die Aktivierung der entsprechenden Aufwendungen auch in der Handelsbilanz ermöglicht werden, ohne sie hierzu zu verpflichten" (BT-Drs. 10/4268, S. 99). Diese Vorschrift diente folglich dem Zweck, eine Einheitlichkeit von HB und StB herbeizuführen, d. h., den "Bilanzierenden eine einheitliche Handhabung in Handels- und Steuerbilanz zu ermöglichen" (Treuarbeit (1986), S. 18). Als Begründung wurde zudem angeführt, dass es sich bei den steuerrechtlichen Vorschriften in § 5 Abs. 5 EStG eigentlich um Vorschriften handelsrechtlicher Art handele.

 

Rn. 31

Stand: EL 40 – ET: 09/2023

Eine völlige Identität der handels- und steuerrechtlichen Vorschriften wurde seitens des Gesetzgebers indes nicht hergestellt (vgl. auch Bonner-HdR (2020), § 250 HGB, Rn. 36ff.; H/H/R (2021), § 5 EStG, Rn. 2280ff.). Es bestanden vielmehr nachstehende Unterschiede:

(1) Handelsrechtlich existierte ein Aktivierungswahlrecht, steuerrechtlich – ebenso wie auch (noch) nach derzeit geltendem Rechtsstand – dagegen ein Aktivierungsgebot.
(2) Des Weiteren wurde handelsrechtlich berücksichtigt, dass die USt auf Anzahlungen auch im Vorratsvermögen enthalten sein kann, weil eben handelsrechtlich qua § 268 Abs. 5 Satz 2 auch (weiterhin) die offene Absetzung der erhaltenen Anzahlungen vom Vorratsvermögen zulässig ist.
 

Rn. 32

Stand: EL 40 – ET: 09/2023

Eine sachgerechte Begründung für die Zulässigkeit dieser beiden neuen RAP – versehen mit einem handelsrechtlichen Aktivierungswahlrecht – gab der Gesetzgeber nicht. Er zog sich ganz auf die einheitliche Handhabung von Handels- und Steuerrecht zurück, die aber durch die handelsrechtliche Ausgestaltung als Wahlrecht (vgl. zur Kritik HdR-E, HGB § 250, Rn. 46f.) nicht gegeben war. Der RegE vom 26.08.1983 (vgl. BT-Drs. 10/317) sah hingegen noch eine Aktivierungspflicht vor. Die Fragwürdigkeit dieser Begründung wird insbesondere deutlich, wenn die Entstehungsgeschichte der steuerrechtlichen Vorschriften des § 5 Abs. 4 Satz 2 EStG (a. F.) näher betrachtet wird.

 

Rn. 33

Stand: EL 40 – ET: 09/2023

Die steuerrechtliche Aktivierungspflicht der Zölle und Verbrauchsteuern sowie der USt auf Anzahlungen hat ihren Ursprung in der einkommensteuerlichen Sphäre. Der BFH hatte nämlich

(1) mit dem sog. "Biersteuer-Urteil" (vgl. BFH, Urteil vom 26.02.1975, I R 72/73, BStBl. II 1976, S. 13ff.) die Aktivierung von Zöllen und Verbrauchsteuern abgelehnt sowie
(2) mit dem Urteil vom 26.06.1979 (VIII R 145/78, BStBl. II 1979, S. 625ff.) die Aktivierung von auf erhaltene Anzahlungen entfallende USt für nicht zulässig erklärt.

Durch diese BFH-Rspr. befürchtete der Gesetzgeber erhebliche Steuerausfälle mit direkten (negativen) Auswirkungen auf den Haushalt. So wurden bei Nichtaktivierung der Verbrauchsteuern Gewinnminderungen i. H. v. ca. 875 Mio. DM (bzw. 447 Mio. EUR) sowie im Falle der USt ein einmaliger Steuerausfall von rund 6 Mio. DM (bzw. 3,1 Mio. EUR) befürchtet (vgl. HB-RP (1986), § 250 HGB, Rn. 19).

 

Rn. 34

Stand: EL 40 – ET: 09/2023

Somit war also die steuerlich motivierte Sonderform jener aktiven Rechnungsabgrenzung nicht auf die Herausbildung einer gefestigten steuerlichen h. M. zurückzuführen, die entweder auf der BFH-Rspr. fußte oder sich aufgrund sachbezogener fachkundiger Diskussion gebildet hatte, sondern ging ausschließlich auf steuerpolitische Willensbildung bzw. Absichten zurück. Eine auf diese Weise entstandene gesetzliche Vorschrift dann quasi als Begründung für die Implementierung einer fast gleich lautenden Vorschrift in das HGB anzuführen, ist mit den von den Bilanzierungsvorschriften verfolgten Zielen des "true and fair view" nicht zu vereinbaren, zumal damit auch das "harmonische, in sich geschlossene und statischer Bilanzauffassung angenäherte Bild von der Rechnungsabgrenzung" (Bordewin, DStZ 1982, S. 463) bewusst aufgegeben wurde.

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