I. Abgrenzung zum klassischen Factoring

 

Rn. 47

Stand: EL 28 – ET: 05/2019

Das sog. umgekehrte ("reverse") Factoring weist keinen Unterschied in Bezug auf die grundlegende Geschäftsstruktur dieses Finanzierungsinstruments im Vergleich zum klassischen Factoring auf. Vielmehr geht lediglich die Initiative für dessen Einsatz nicht vom Leistungserbringer/Lieferanten des Waren- und Dienstleistungsgeschäfts aus, sondern vom Leistungsempfänger/Abnehmer. Es handelt sich also um ein Instrument der Einkaufsfinanzierung, bei dem ein eigenständiges schuldrechtliches (Vorfinanzierungs-)Verhältnis zwischen dem Abnehmer und einem externen Finanzierer (dem Factor) begründet wird. Der Abnehmer verspricht sich dadurch einen positiven Liquiditätseffekt: Er erreicht durch das Einschalten des Factors regelmäßig eine Verlängerung des eigenen Zahlungsziels (auf bis zu 180 Tage), ohne dass dies auf den vom Lieferanten gewünschten kurzfristigen Zahlungseingang durchschlägt und eine ggf. bestehende Skontierungsmöglichkeit beeinträchtigt. Da umgekehrtes Factoring auf Initiative und im Interesse des Abnehmers vereinbart wird, übernimmt dieser grds. die damit verbundenen Vorfinanzierungskosten (vgl. NWB HGB-Komm. (2019), § 246, Rn. 279). Die folgende Übersicht zeigt die Struktur einer umgekehrten Factoring-Transaktion:

Übersicht: Merkmale des "umgekehrten" Factoring

II. Bilanzielle Abbildung

 

Rn. 48

Stand: EL 28 – ET: 05/2019

Der zentrale bilanzielle Abbildungsaspekt beim umgekehrten Factoring betrifft die Frage, ob durch das Einschalten eines Factors beim Abnehmer die bisherige Leistungsverbindlichkeit gegenüber dem Lieferanten durch eine neue, eigenständige Finanzierungsverbindlichkeit ­gegenüber dem Factor ersetzt wird und mit dem damit verbundenen Ab- und Zugang einer Verbindlichkeit ggf. ein Ergebniseffekt einhergeht. Der konkrete Ausweis der ursprünglich aus dem Waren- und Dienstleistungsgeschäft erwachsenen Verpflichtung ("Verbindlichkeiten aus LuL" versus "Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten" oder "sonstige Verbindlichkeiten") kann je nach Ausgestaltung von Financial Covenants in Finanzierungsvereinbarungen des Abnehmers im Einzelfall von erheblicher Bedeutung sein.

 

Rn. 49

Stand: EL 28 – ET: 05/2019

In Bezug auf die Abbildung des umgekehrten Factoring aufseiten des Lieferanten gelten die Ausführungen zum klassischen Factoring analog.

 

Rn. 50

Stand: EL 28 – ET: 05/2019

Zivilrechtlich wird das umgekehrte Factoring in praxi entweder als befreiende Schuldübernahme des Factors i. S. d. § 414 BGB ausgestaltet oder als Schuldbeitritt, aus dem eine Gesamtschuld von Factor und Abnehmer i. S. d. § 421 BGB erwächst. Verlangt die Factoring-Vereinbarung im Fall des Schuldbeitritts die Zahlung des Abnehmers an den Factor, besteht ein Doppelzahlungsrisiko des Abnehmers (mit entsprechendem Rückforderungsanspruch gegenüber dem Factor), wenn der Factor mit der Zahlung gegenüber dem Lieferanten ausfällt. Unabhängig von der zivilrechtlichen Einordnung der Factoring-Vereinbarungen vollzieht sich aus bilanzrechtlicher Sicht aber ein Gläubigerwechsel mit der Folge einer geänderten personellen Zuordnung der Verbindlichkeit: Die ursprüngliche "Verbindlichkeit aus LuL" gilt es auszubuchen und eine "Verbindlichkeit gegenüber Kreditinstituten" (falls der Factor ein Kreditinstitut i. S. d. § 1 Abs. 1 KWG ist) bzw. eine "sonstige Verbindlichkeit" ist einzubuchen. In Anbetracht des bestehenden Doppelzahlungsrisikos hat der Abnehmer in Fällen des Schuldbeitritts für die Lieferantenrechnungen, die der Factor bis zum Berichtsstichtag noch nicht beglichen hat, zusätzlich ein Haftungsverhältnis nach § 251 anzugeben (vgl. NWB HGB-Komm. (2019), § 246, Rn. 281).

 

Rn. 51

Stand: EL 28 – ET: 05/2019

Zur Verbesserung der Aussagekraft der RL erscheint es unter Verweis auf § 265 Abs. 3, 5 möglich,

  • einen entsprechenden Mitzugehörigkeits- bzw. "Davon"-Vermerk bei den "Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten" bzw. den "sonstige[n] Verbindlichkeiten" aufzunehmen, oder
  • die Verbindlichkeiten gegenüber dem Factor alternativ in einem gesonderten Bilanz­posten auszuweisen, für den die Tatsache, dass diese aus LuL entstanden sind, klar herausgestellt wird.

Führt die Implementierung des umgekehrten Factoring aus Sicht des Abnehmers – abgesehen von der mit einer entsprechenden Zinspflicht verbundenen, systemimmanenten Verlängerung des Zahlungsziels – zu keinen inhaltlichen Änderungen der vertraglichen (Zahlungs-)Konditionen, ergeben sich keinerlei Ergebniswirkungen aus dem Factoring-Geschäft. Ein Buchgewinn oder -verlust aus der Ausbuchung der ursprünglichen Leistungsverbindlichkeit kann nur dann ausnahmsweise erwachsen, sofern die allg. Bewertungsregeln des § 253 in Bezug auf die einzubuchende Finanzierungsverbindlichkeit einen abweichenden Wertansatz verlangen (vgl. so etwa auch NWB HGB-Komm. (2019), § 246, Rn. 281).

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