Rn. 21

Stand: EL 35 – ET: 03/2022

Der AP hat nicht in allen Fällen die Möglichkeit, Nachweise für die den JA und Lagebericht beeinflussenden Geschäftsvorfälle zu ermitteln (z. B. bei der Prüfung auf Vollständigkeit der gegebenen Bürgschaften oder geleisteten Sicherheiten). Für solche Fälle hat sich der GoA herausgebildet, dass der AP von den gesetzlichen Vertretern einer KapG eine schriftliche (Vollständigkeits-)Erklärung zu den nicht nachweisbaren Geschäftsvorfällen verlangt (vgl. ISA [DE] 580 (2021), Rn. 11). Darin sind u. a. auch die Personen zu benennen, die dem AP als Auskunftspersonen zur Verfügung standen. Damit übernehmen die gesetzlichen Vertreter der KapG die Gewähr für die von den Auskunftspersonen (Erfüllungsgehilfen) erteilten Auskünfte (vgl. stellvertretend Leffson (1988), S. 272). Zusammen mit der Vollständigkeitserklärung, die i. R.d. AP einzuholen ist, sehen die maßgeblichen Prüfungsstandards vor, dass auch bezüglich der ESEF-Unterlagen eine schriftliche Erklärung eingeholt werden soll (vgl. IDW PS 410 (2021), Rn. 45). Die Vollständigkeitserklärung ist nach bestem Wissen abzugeben und in vertretungsberechtigter Zahl – etwa von einem für den Abschluss und den Lagebericht verantwortlichen, einzelvertretungsberechtigten gesetzlichen Vertreter – zu unterschreiben (vgl. ISA [DE] 580 (2021), Rn. 15; Beck Bil-Komm. (2020), § 320 HGB, Rn. 13).

 

Rn. 22

Stand: EL 35 – ET: 03/2022

In der Literatur werden der Vollständigkeitserklärung verschiedene Funktionen zugeschrieben. Unstrittig ist, dass die Vollständigkeitserklärung als Nachweis für die Geschäftsvorfälle gilt, die nicht durch Nachweise von Dritten belegt werden können. Das Einholen der Vollständigkeitserklärung kann aber andere Prüfungshandlungen nicht ersetzen. Deshalb darf sie lediglich als zusätzliches Beweismittel fungieren (vgl. ISA [DE] 580 (2021), Rn. 11, 18). Wenngleich die Aussagefähigkeit der Vollständigkeitserklärung für die Prüfung begrenzt ist, ist sie dennoch unter prüfungspsychologischen Aspekten, d. h. als Instrument zur Unterstützung präventiver Wirkungen beim Mandanten, sinnvoll. Besteht jedoch der berechtigte Verdacht, dass durch die Vollständigkeitserklärung bewusst Fehlinformationen vermittelt werden, verliert die Erklärung die Funktion des Beweismittels und der BV ist entsprechend zu versagen (vgl. ISA [DE] 580 (2021), Rn. 18).

 

Rn. 23

Stand: EL 35 – ET: 03/2022

Seiner eigenen Verantwortung für das Prüfungsergebnis kann sich der AP mit einer Vollständigkeitserklärung indes nicht entziehen, da er seinen Beruf nach § 43 Abs. 1 WPO "unabhängig, gewissenhaft, verschwiegen und eigenverantwortlich" auszuüben hat. Die Verantwortlichkeit des AP bei der handelsrechtlichen Pflichtprüfung ergibt sich aus seiner Aufgabe nach § 317 und wird durch die Haftungsregelungen des § 323 noch unterstrichen. Die Vollständigkeitserklärung kann den Umfang der Verantwortlichkeit des AP nicht beeinflussen (vgl. Schulze-Osterloh, in: FS Hefermehl (1976), S. 405 (424); MünchKomm. HGB (2020), § 320, Rn. 16).

 

Rn. 24

Stand: EL 35 – ET: 03/2022

Zweckmäßig und berufsüblich ist es, die Vollständigkeitserklärung von den gesetzlichen Vertretern am Ende der materiellen Prüfungshandlungen und damit zeitnah zum BV einzuholen (vgl. ISA [DE] 580 (2021), Rn. A15; Strieder, BB 2000, S. 298 (299); WP-HB (2021), Rn. L 1273).

 

Rn. 25

Stand: EL 35 – ET: 03/2022

Für die gesetzlichen Vertreter einer KapG besteht grds. keine Pflicht, eine Vollständigkeitserklärung abzugeben. Der AP kann somit die gesetzlichen Vertreter nicht zwingen, eine derartige Erklärung zu unterzeichnen. Wird sie durch die gesetzlichen Vertreter verweigert, ist dies im Prüfungsbericht zu vermerken (vgl. IDW PS 450 (2017), Rn. 59) und führt wie im Fall einer bewussten Fehlinformation zur Versagung des BV (vgl. ISA [DE] 580 (2021), Rn. 20). Die Versagung des BV aufgrund einer nicht abgegebenen Vollständigkeitserklärung ist indes kritisch zu sehen. Denn grds. kann der AP die in der Vollständigkeitserklärung enthaltenen Fragen auch mündlich stellen und sich den Inhalt der Auskünfte schriftlich bestätigen lassen, wobei sich die gesetzlichen Vertreter diesem Verlangen i. R.d. Auskunfts- und Nachweispflicht nicht entziehen können (vgl. ADS (2000), § 320, Rn. 34). Zumindest aber muss der AP bei einer Weigerung der gesetzlichen Vertreter, eine Vollständigkeitserklärung abzugeben, dieses in seiner Beurteilung des Risikos falscher Angaben in der RL berücksichtigen und regelmäßig weitere Prüfungshandlungen durchführen sowie über die Auswirkungen auf sein Prüfungsurteil entscheiden (vgl. WP-HB (2021), Rn. L 1275). Werden die vom IDW herausgegebenen (allg.) Auftragsbedingungen für WP und WPG vom 01.01.2017 der AP zugrunde gelegt, ergibt sich allerdings aus deren Art. 3 Abs. 2 ein Anspruch des AP auf eine von ihm formulierte und von den gesetzlichen Vertretern schriftlich zu bestätigende Vollständigkeitserklärung.

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