Leitsatz (amtlich)

1. Auch die Umsatzsteuer auf Anzahlungen nach neuem Umsatzsteuerrecht (§ 20 UStG 1967) darf nicht aktiviert werden.

2. Die erhaltene Anzahlung ist mit dem vollen Betrag, ohne Abzug der Umsatzsteuer auf die Anzahlung, zu passivieren.

 

Normenkette

EStG § 5; HGB § 38 ff.; AktG § 152 Abs. 9, § 151 Abs. 1 Passivseite VI 4

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt ein Gewerbe. Er versteuert seine Umsätze nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 des Umsatzsteuergesetzes 1967 (UStG 1967). Im Streitjahr 1975 erhielt er von einem Kunden eine Anzahlung von 105 000 DM. Die darauf entfallende Umsatzsteuer von 10 4055,0 DM behandelte er als Aufwand des Streitjahres, indem er zum Ende des betreffenden Voranmeldezeitraums ein Konto "Mehrwertsteuer auf Anzahlungen" belastete und dieses Konto beim Jahresabschluß 1975 über das Gewinn- und Verlustkonto ausglich.

Im Anschluß an eine Betriebsprüfung erhöhte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Gewinn des Streitjahres um 10 405,50 DM.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG), das eine gleichlautende Entscheidung in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1978 S. 535 (EFG 1978, 535) als "rechtskräftig" veröffentlicht hat, hat die Auffassung vertreten, die neue Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) auf Anzahlungen habe keinen Kostencharakter, weil sie in der später zu erteilenden Rechnung offen ausgewiesen werde und damit vom Rechnungsempfänger zu erstatten sei. Sie sei deshalb grundsätzlich anders zu behandeln als die Umsatzsteuer auf Anzahlungen nach früherem Umsatzsteuerrecht. Die Umsatzsteuer auf Anzahlungen nach neuem Umsatzsteuerrecht sei auch ein Wirtschaftsgut in Gestalt einer Anwartschaft. Zwar könne der Kläger die Umsatzsteuer auf Anzahlungen zum Zeitpunkt ihrer Entrichtung noch nicht vom Kunden erstattet verlangen. Er sei jedoch berechtigt, durch den offenen Ausweis der Umsatzsteuer in der später zu erteilenden Rechnung die Umsatzsteuer vom Anzahlenden anzufordern. Komme das Geschäft nicht zustande, könne der Kläger die Umsatzsteuer auf die Anzahlung vom FA zurückverlangen (§ 17 UStG 1967). Je nach dem Ablauf der Beziehungen zu dem Kunden könne der Kläger mithin die Umsatzsteuer entweder mit der Rechnung vom Kunden oder durch eine Berichtigung der Besteuerungsgrundlage vom FA zurückverlangen. Diese Rechtsposition rechtfertige es, das Vorliegen eines Wirtschaftsguts anzunehmen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, die das FG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen hat. Der Kläger rügt, das Urteil verstoße gegen zwingende Vorschriften des Aktiengesetzes (AktG). Nach § 152 Abs. 9, § 153 Abs. 3 AktG sei die Aktivierung der Umsatzsteuer auf Anzahlungen verboten, da die Umsatzsteuer zu den Vertriebskosten zähle. Auch unter dem Gesichtspunkt der Rechnungsabgrenzung oder der Entstehung eines Wirtschaftsguts komme eine Aktivierung nach den Vorschriften des Aktiengesetzes nicht in Betracht. In dieser Beziehung bestehe kein Unterschied zwischen der Umsatzsteuer auf Anzahlungen nach früherem Umsatzsteuerrecht und der Umsatzsteuer auf Anzahlungen nach neuem Umsatzsteuerrecht.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer 1975 nach einem um 10 405,50 DM verminderten Einkommen festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig (§ 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und begründet. Auch die Umsatzsteuer auf Anzahlungen nach neuem Umsatzsteuerrecht darf nicht aktiviert werden (§ 5 des Einkommensteuergesetzes - EStG -, §§ 152 Abs. 9, 153 Abs. 2 zweiter Halbsatz AktG).

1. Der I. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat durch Urteile vom 19. Juni 1973 I R 206/71 (BFHE 110, 116, BStBl II 1973, 774) und vom 24. März 1976 I R 139/73 (BFHE 118, 453, BStBl II 1976, 450) entschieden, daß die Umsatzsteuer auf Anzahlungen bei der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten nicht zu aktivieren ist. Zur Begründung hat der I. Senat ausgeführt, die Umsatzsteuer, auch die Umsatzsteuer auf Anzahlungen, gehöre zu den Vertriebskosten, deren Aktivierung § 153 Abs. 2 AktG verbiete. Für die geleistete Umsatzsteuer auf Anzahlungen dürfe auch kein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten gebildet werden. Einen Grundsatz der einheitlichen Behandlung des schwebenden Geschäfts des Inhalts, daß Aufwendungen im Rahmen eines schwebenden Geschäfts im Wege der Aktivierung in das Jahr zu verlagern seien, in dem die Erträge aus dem schwebenden Geschäft anfielen, gebe es nicht. Durch die Entrichtung der Umsatzsteuer auf Anzahlungen entstehe auch kein Wirtschaftsgut. Schließlich sei die Umsatzsteuer auf Anzahlungen selbst keine Anzahlung auf die Umsatzsteuerschuld.

2. Diese Entscheidungen, denen sich der erkennende Senat anschließt, betrafen die Umsatzsteuer auf Anzahlungen nach früherem Umsatzsteuerrecht. Entgegen der Auffassung des FG hat sich insoweit die Rechtslage durch das Umsatzsteuergesetz 1967 (Mehrwertsteuergesetz) nicht geändert.

a) Es kann auf sich beruhen, ob und wieweit die neue Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) betriebswirtschaftlich gesehen Kostencharakter hat. Denn die Bilanz im Rechtssinne ist keine Kostenrechnung (BFH-Urteil vom 17. Juli 1974 I R 195/72 BFHE 113, 115, BStBl II 1974, 684), die betriebswirtschaftliche Betrachtung der neuen Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) ist einkommensteuerrechtlich nicht ausschlaggebend (BFH-Urteil vom 19. Februar 1975 I R 154/73, BFHE 115, 129, BStBl II 1975, 441).

Bilanzrechtlich hat allerdings die neue Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) insofern keinen "Kostencharakter", als der Vorsteuerbetrag nach § 15 UStG 1967, soweit er bei der Umsatzsteuer abgezogen werden kann, nicht zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten gehört (§ 9 b EStG). Das gilt aber nur für die Vorsteuer, die der Empfänger einer Lieferung oder Leistung an den Liefernden oder Leistenden zu zahlen hat (§ 15 UStG 1967), nicht aber für die Umsatzsteuer, die der Liefernde oder Leistende an das FA zu entrichten hat (§ 18 Abs. 1 UStG 1967). Diese ist nach wie vor eine Betriebsausgabe (§ 4 Abs. 4 EStG; Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., § 4 S. 116) und gehört nach wie vor zu den Vertriebskosten, die nach den BFH-Urteilen I R 206/71, I R 139/73 nicht aktiviert werden dürfen.

b) Dieser Betriebsausgabe darf aus den Gründen der BFH-Urteile I R 206/71, I R 139/73, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, kein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten gegenübergestellt werden. Ergänzend wird bemerkt, daß die Rechnungsabgrenzungsposten nach der neueren Rechtsprechung des BFH beschränkt sind auf Vorleistungen an den anderen Vertragsteil aus einem gegenseitigen Vertrag (Urteil vom 7. März 1973 I R 48/69, BFHE 109, 172, BStBl II 1973, 565). Die Umsatzsteuer auf Anzahlungen nach § 20 UStG 1967 ist keine Vorleistung des Unternehmers an den anderen Vertragsteil, sondern Leistung an einen Dritten (an das FA), die einen aktiven Rechnungsabgrenzungsposten nicht rechtfertigt (vgl. BFH-Urteile vom 4. März 1976 IV R 78/72, BFHE 121, 318, BStBl II 1977, 380, und vom 4. Mai 1977 I R 27/74, BFHE 123, 20, BStBl II 1977, 802). Die Umsatzsteuer auf Anzahlungen ist auch keine "Vorleistung" aus dem Steuerschuldverhältnis gegenüber dem FA, da sie von keiner Gegenleistung abhängig ist (§ 1 der Reichsabgabenordnung - AO -, § 3 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Sie entsteht - wie die Umsatzsteuer auf Anzahlungen nach früherem Recht (§ 3 Abs. 5 Nr. 4 a des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -) - bereits mit Ablauf des Voranmeldezeitraums, in dem die Anzahlungen vereinnahmt worden sind (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 b UStG 1967) und ist deshalb, wie die BFH-Urteile I R 206/71, I R 139/73 für die frühere Umsatzsteuer auf Anzahlungen festgestellt haben, selbst keine "Anzahlung", auch nicht, soweit sie als Vorauszahlung zu entrichten ist (§ 18 Abs. 2 UStG 1967).

c) Durch die Umsatzsteuer auf Anzahlungen nach § 20 UStG 1967 entsteht kein aktivierbares Wirtschaftsgut. Zu Unrecht sieht das FG ein solches Wirtschaftsgut darin, daß der Unternehmer den Betrag der Umsatzsteuer auf Anzahlungen bei der Endabrechnung anfordern könne. Aus der Sicht des neuen Umsatzsteuergesetzes ist diese Auffassung nicht richtig, weil die Anzahlung die auf sie entfallende Umsatzsteuer bereits enthält (§ 20 Abs. 2 Satz 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967). Betrachtet man dagegen die Anzahlung in voller Höhe als Teil des Nettopreises (ohne die Umsatzsteuer), so daß die noch ausstehende Schlußzahlung die gesamte Umsatzsteuer umfaßt, bedeutet die Aktivierung der Umsatzsteuer auf Anzahlungen die Aktivierung eines Teils des Anspruchs auf den Preis. Dies stünde im Widerspruch zu den Grundsätzen über die Bilanzierung des schwebenden Vertrags, nach denen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem gegenseitigen Vertrag nicht zu bilanzieren sind, solange und soweit der Vertrag noch von keiner Seite erfüllt ist (BFH-Urteil vom 26. Oktober 1977 I R 148/75, BFHE 123, 547, BStBl II 1978, 97). Die Tatsache, daß im Rahmen eines gegenseitigen Vertrags eine Betriebsausgabe an einen Dritten zu leisten ist, die im Preis wieder hereinkommt, ist kein ausreichender Grund für die Aktivierung eines anteiligen Anspruchs auf den Preis.

Abgesehen davon überschätzt das FG die Bedeutung des gesonderten Ausweises der Umsatzsteuer (§ 14 UStG 1967). Der gesonderte Ausweis der Umsatzsteuer nach dieser Vorschrift hat die Aufgabe, den Vorsteuerabzug zu ermöglichen (§ 15 UStG 1967). Er ändert aber nichts daran, daß der bürgerlich-rechtliche Preis für die Lieferung oder Leistung die Umsatzsteuer umfaßt (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Februar 1972 VIII ZR 132/70, Betriebs-Berater 1972 S. 334; BFH-Urteil vom 18. Oktober 1972 II R 124/69, BFHE 107, 399, BStBl II 1973, 126). Er ändert auch nichts daran, daß der Unternehmer bei ungünstigen Marktverhältnissen gezwungen sein kann, zu einem nicht kostendeckenden Preis zu liefern oder zu leisten. Da sich der Verlust, den er dabei erleidet, als Saldo aus dem Vergleich des Erlöses mit der Summe der Aufwendungen ergibt, läßt sich nicht sagen, welche Aufwendungen gedeckt sind und welche nicht. Der gesonderte Ausweis der Umsatzsteuer nach § 14 UStG 1967 besagt darüber nichts.

3. Der Kläger hat die erhaltene Anzahlung - wie geschehen - mit dem vollen Betrag von 105 000 DM und nicht, wie das FA meint, mit dem um die Umsatzsteuer verminderten Betrag von 94 594,50 DM zu passivieren. Erhaltene Anzahlungen sind nach allgemeiner Auffassung mit dem voller Betrag des Geldeingangs zu bewerten (Hüttemann, Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung für Verbindlichkeiten, Düsseldorf 1970, S. 144 ff.). Denn der Passivposten dient dazu, der Vermögensvermehrung, die durch die Anzahlung eingetreten ist, jegliche Auswirkung auf den Gewinn zu nehmen. Ein Ertrag soll erst entstehen, wenn und soweit der Unternehmer, der die Anzahlung erhalten hat, leistet (vgl. Adler-Düring-Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., § 151 Rdz. 134).

Die Bewertung der erhaltenen Anzahlung auf der Passivseite der Bilanz mit dem vollen Betrag des Geldeingangs ergibt sich auch aus folgender Überlegung. Hinter der Aktivierung der geleisteten Anzahlung verbirgt sich der Anspruch auf die Gegenleistung oder - bei Nichterfüllung durch den anderen Vertragsteil oder bei Wegfall des Vertrags - der Anspruch auf die Rückzahlung (BFH-Urteile vom 17. Januar 1973 I R 17/70, BFHE 108, 329, BStBl II 1973, 487, und vom 16. Mai 1973 I R 186/71, BFHE 110, 325, BStBl II 1974, 25). Dementsprechend ist der Passivposten für die erhaltene Anzahlung ein Ausdruck der Verpflichtung zur Gegenleistung oder der Verpflichtung zur Zurückzahlung.

In beiden Fällen hat der Bilanzansatz auch die Umsatzsteuer zu umfassen.

a) Der Wert der Gegenleistung wird durch den Preis bestimmt; der Preis umfaßt, wie bereits bemerkt (oben 2. c), auch die Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer). Die Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) ist nicht etwa beim Empfänger der Anzahlung ein durchlaufender Posten im Sinne des Einkommensteuerrechts. Der Unternehmer vereinnahmt sie nicht "im Namen und für Rechnung eines anderen" - des FA - (§ 4 Abs. 3 Satz 2 EStG). Die im Preis enthaltene Umsatzsteuer gehört daher zu den Betriebseinnahmen. Der BFH hat das durch Urteil I R 154/73 für den Begriff der Betriebseinnahmen nach § 4 Abs. 3 EStG entschieden. Es gilt aber auch für den Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG. Denn die rechtliche Eigenschaft des durchlaufenden Postens ist von der Art der Gewinnermittlung unabhängig.

b) Bei Nichterfüllung oder bei Wegfall des Vertrags umfaßt die Verpflichtung zur Zurückzahlung der Anzahlung den vollen Betrag der Anzahlung, einschließlich der Umsatzsteuer, die nach neuem Umsatzsteuerrecht in ihr enthalten ist. Der Unternehmer kann hier allerdings den geschuldeten Steuerbetrag berichtigen (§ 17 UStG 1967). Dies ist aber ein selbständiges Recht aus dem Steuerschuldverhältnis gegenüber dem FA, das mit der Verpflichtung zur Zurückzahlung der Anzahlung, die gegenüber dem anderen Vertragsteil besteht, nicht saldiert werden darf (§ 152 Abs. 8 AktG; BFH-Urteil vom 1. Februar 1966 I 90/63, BFHE 85, 108, BStBl III 1966, 251).

 

Fundstellen

Haufe-Index 73205

BStBl II 1979, 625

BFHE 1979, 243

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