Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtabzugsfähigkeit des auf die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils entfallenden Teils einer Geldbuße

 

Leitsatz (amtlich)

§ 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 25.Juli 1984 (BGBl I 1984, 1006) ist insoweit mit dem GG vereinbar, als er den auf die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils (Mehrerlöses) entfallenden Teil einer Geldbuße vom Abzug als Betriebsausgabe ausschließt (BVerfG-Beschluß vom 23.Januar 1990 1 BvL 4, 5, 6 und 7/87, BStBl II 1990, 483).

Der auf die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils (Mehrerlöses) entfallende Teil einer nach § 38 Abs.4 GWB festgesetzten Geldbuße kann auch dann nicht als Betriebsausgabe abgezogen werden, wenn bei der Bemessung der Geldbuße unter Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG) die auf den abgeschöpften Mehrerlös entfallende Einkommen- und Gewerbesteuer nicht berücksichtigt wurde.

 

Orientierungssatz

1. Im Bußgeldverfahren wegen Verstoßes gegen das GWB vom Bundeskartellamt festgesetzte Gebühren und Auslagen sind als Betriebsausgaben abziehbar (vgl. BFH-Urteil vom 14.4.1986 IV R 260/84).

2. Auch eine erst während des Revisionsverfahrens wirksam gewordene Gesetzesänderung ist vom Revisionsgericht zu beachten (vgl. BFH-Urteil vom 10.7.1986 IV R 12/81).

3. Der Konkurs über das Vermögen einer Personenhandelsgesellschaft berührt das einheitliche Gewinnfeststellungsverfahren nicht, da seine steuerlichen Folgen die Gesellschafter persönlich betreffen (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1984-07-25; WettbewG § 38 Abs. 4; EStG § 4 Abs. 5 Nr. 8 Fassung: 1984-07-25; FGO § 155; ZPO § 240; EStG § 4 Abs. 4

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte zu 1 (Klägerin zu 1) ―eine KG― betreibt ein Straßen- und Tiefbauunternehmen.

Der Kläger und Revisionsbeklagte zu 2 (Kläger zu 2) ist der persönlich haftende Gesellschafter der Klägerin zu 1.

Durch Bußgeldbescheid vom 15.Mai 1975 setzte das Bundeskartellamt wegen der Teilnahme an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen im Zusammenhang mit der Vergabe von Bauleistungen gegen die Kläger Bußgelder nach § 38 Abs.1 Nr.1 und Abs.4 i.V.m. § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und §§ 14, 30, 130 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) fest. Gegen die Klägerin zu 1 wurde eine Geldbuße von 112 220 DM, gegen den Kläger zu 2 eine Geldbuße von 19 000 DM verhängt. Es wurden ferner Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 1 012 DM erhoben. Aus Teil II der Gründe des Bußgeldbescheides geht hervor, daß bei der Bemessung der Geldbuße gegen die Klägerin zu 1 die Zahl der abgesprochenen Bauvorhaben sowie deren wirtschaftliche Bedeutung, der durch die Zuwiderhandlung erlangte Mehrerlös und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens berücksichtigt wurden.

Im Anschluß an eine Außenprüfung bei der Klägerin zu 1 erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) die gezahlten Geldbußen bei der einheitlichen Gewinnfeststellung für das Streitjahr 1975 nicht mehr als abziehbare Betriebsausgaben an und erließ einen entsprechend geänderten Gewinnfeststellungsbescheid. Der Einspruch der Kläger blieb erfolglos.

Die Klage führte zur Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 20.Januar 1982 und zur Änderung des angefochtenen Feststellungsbescheides vom 1.Dezember 1981. Das Finanzgericht (FG) setzte den Gewinn aus Gewerbebetrieb um die gezahlten Geldbußen, Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 132 232 DM niedriger fest. In den Gründen seines Urteils, das vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und Körperschaftsteuergesetzes vom 25.Juli 1984 (BGBl I 1984, 1006) ergangen ist, führte es aus, bei den vom Bundeskartellamt festgesetzten Geldbußen, Gebühren und Auslagen handele es sich um Betriebsausgaben der Klägerin zu 1. Das FG hat insoweit auf die Gründe des Beschlusses des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21* .November 1983 GrS 2/82 (BFHE 140, 50, BStBl II 1984, 160) Bezug genommen.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht.

Das FG habe die §§ 4 Abs.4, 12 Nr.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie § 38 Abs.1 GWB unzutreffend angewendet.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage bis auf einen Betrag von 1 012 DM (Gebühren und Auslagen), der bei den festgestellten Einkünften abzuziehen sei, abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

§ 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 25.Juli 1984 verbiete zwar den Abzug inländischer Geldbußen. Die vom Gesetzgeber angeordnete rückwirkende Anwendung dieser Vorschrift sei jedoch verfassungswidrig; die rückwirkende Verschärfung der Besteuerung sei unvereinbar mit dem Rechtsstaatsprinzip.

Das Bundeskartellamt habe bei der Festsetzung der Geldbuße gegen die Klägerin zu 1 die auf den Mehrerlös entfallenden Ertragsteuern nicht berücksichtigt. Die Besteuerung dieses Mehrerlöses führe somit zu einer doppelten Abschöpfung, die mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) nicht vereinbar sei.

Der erkennende Senat hat durch Beschluß vom 21.Oktober 1986, ergänzt durch Beschluß vom 21.Mai 1987, das Verfahren gemäß Art.100 Abs.1 GG ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber eingeholt, ob § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 25.Juli 1984 insoweit mit dem GG vereinbar ist, als er den auf die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils entfallenden Teil der Geldbuße vom Abzug als Betriebsausgabe ausschließt.

Das BVerfG hat durch Beschluß vom 23.Januar 1990 1 BvL 4, 5, 6 und 7/87 (BStBl II 1990, 483) entschieden, § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG sei insoweit, als er den auf die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils entfallenden Teil der Geldbuße vom Abzug als Betriebsausgabe ausschließe, mit dem GG vereinbar. Insbesondere verstoße diese Vorschrift nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG).

Nach § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG sei es unter keinen Umständen zulässig, die einkommensteuerrechtliche Absetzung von Bußgeldern anzuerkennen, die von deutschen Behörden oder Gerichten oder von Organen der Europäischen Gemeinschaften festgesetzt worden seien. Die Vorschrift sei insoweit eindeutig und auch unter dem Gesichtspunkt verfassungskonformer Auslegung keiner anderen Interpretation zugänglich.

Dagegen lasse § 17 Abs.4 Satz 1 OWiG eine Auslegung zu, bei deren Anwendung beide Bestimmungen in ihrem gegenseitigen Zusammenwirken den Anforderungen der Verfassung gerecht würden. Nach dieser Vorschrift solle die Geldbuße den aus der Ordnungswidrigkeit erlangten wirtschaftlichen Vorteil übersteigen. Der Wortlaut des § 17 Abs.4 OWiG schließe es nicht aus, bei der Berechnung des wirtschaftlichen Vorteils die darauf entfallende Einkommensteuer ―ggf. im Wege der Schätzung― zu berücksichtigen. Werde die Vorschrift in diesem Sinne ausgelegt, komme es nicht zu einer mit Art.3 Abs.1 GG unvereinbaren doppelten Gewinnabschöpfung. Aus verfassungsrechtlichen Gründen müsse deshalb bei der Bemessung einer Geldbuße, durch die ein aus der Ordnungswidrigkeit erlangter wirtschaftlicher Vorteil abgeschöpft werden solle, der um die absehbare Einkommensteuer verminderte Betrag zugrunde gelegt werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zu einer anderweitigen Feststellung des Gewinns aus Gewerbebetrieb (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

1. Das Revisionsverfahren ist durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Klägerin zu 1 nicht nach § 240 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO unterbrochen worden. Der Konkurs über das Vermögen der Personenhandelsgesellschaft berührt das Verfahren der Gewinnfeststellung nicht, da seine steuerlichen Folgen die Gesellschafter persönlich betreffen (vgl. BFH-Urteile vom 13.Juli 1967 IV 191/63, BFHE 90, 87, BStBl III 1967, 790, und vom 8.August 1986 VIII R 64/85, BFH/NV 1987, 182).

2. Die vom Bundeskartellamt gegen die Kläger festgesetzten Geldbußen sind bei der Feststellung des Gewinns für das Streitjahr nicht als Betriebsausgaben zu berücksichtigen.

Nach § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG dürfen Geldbußen, Ordnungsgelder und Verwarnungsgelder, die von deutschen Behörden oder Gerichten oder von Organen der Europäischen Gemeinschaften festgesetzt worden sind, nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden.

a) Das Abzugsverbot des § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG soll nach § 52 Abs.3 a EStG i.d.F. des Gesetzes vom 25.Juli 1984 auch für Veranlagungszeiträume vor 1983 gelten, sofern die Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind. Es erfaßt daher auch den Streitfall.

Die Gesetzesänderung ist zwar erst während des Revisionsverfahrens wirksam geworden, aber gleichwohl vom Senat zu beachten (vgl. BFH-Urteil vom 10.Juli 1986 IV R 12/81, BFHE 147, 63, BStBl II 1986, 811). Die in § 52 Abs.3 a EStG angeordnete rückwirkende Anwendung des § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG ist verfassungsgemäß. Der Senat nimmt insoweit wegen der Begründung Bezug auf seinen Beschluß vom 21.Mai 1987 VIII R 194/84 ―nv― und auf die Entscheidung des BVerfG in BStBl II 1990, 483.

b) Die Regelung des § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG ist nicht verfassungswidrig. Sie verstößt insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, der gebietet, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen auszurichten (vgl. Beschluß des BVerfG in BStBl II 1990, 483).

c) Die im Streitfall gegen die Klägerin zu 1 festgesetzte Geldbuße kann auch dann nicht in Höhe des auf die Abschöpfung des Mehrerlöses entfallenden Betrages als Betriebsausgabe abgezogen werden, wenn das Bundeskartellamt bei Bemessung der Geldbuße die auf den Mehrerlös entfallende Einkommen- und Gewerbesteuer nicht berücksichtigt haben sollte. Eine Bemessung der Geldbuße nach dem aus der Tat erzielten Bruttogewinn wäre zwar verfassungswidrig. Ein etwaiger Verfassungsverstoß bei der Festsetzung der Geldbuße kann jedoch nicht in der Weise behoben werden, daß der auf die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils (Mehrerlöses) entfallende Teil der Geldbuße ―entgegen der eindeutigen Regelung des § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG― bei der Gewinnfeststellung oder der Festsetzung der Einkommensteuer gewinnmindernd berücksichtigt wird. Vielmehr wäre es Sache der Klägerin zu 1 gewesen, im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Bußgeldbescheid eine verfassungswidrige Bemessung der Geldbuße nach dem Bruttobetrag des Mehrerlöses zu rügen. Wenn sie es unterließ, gegen den Bußgeldbescheid rechtzeitig Einspruch einzulegen, kann sie im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Gewinnfeststellungsbescheid nicht mit Erfolg geltend machen, der auf die Abschöpfung des Mehrerlöses entfallende Teil der Geldbuße müsse nunmehr als Betriebsausgabe abgezogen werden, weil es anderenfalls zu einer mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbaren doppelten Abschöpfung des aus der Ordnungswidrigkeit erlangten Mehrerlöses komme.

d) Ob im Falle einer verfassungswidrigen doppelten Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils (Mehrerlöses) ein Billigkeitserlaß nach § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) in Betracht zu ziehen ist, kann der Senat im vorliegenden Verfahren nicht entscheiden (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9.Aufl., § 163 AO 1977 Anm.68 f.).

3. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die im Bußgeldbescheid festgesetzten Gebühren und Auslagen in Höhe von 1 012 DM bei der Gewinnfeststellung des Streitjahrs als Betriebsausgaben zu berücksichtigen sind (vgl. BFH-Urteil vom 14.April 1986 IV R 260/84, BFHE 146, 411, BStBl II 1986, 518). Insoweit hat auch das FA im Revisionsverfahren einer Änderung des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheids zugestimmt.

4. Die Sache ist entscheidungsreif. Der angefochtene Gewinnfeststellungsbescheid ist dahingehend zu ändern, daß der Gewinn der Klägerin zu 1 unter Berücksichtigung einer entsprechend geminderten Gewerbesteuer-Rückstellung um den Betrag von 1 012 DM niedriger festgestellt wird. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Berechnung des geänderten Gewinns aus Gewerbebetrieb wird gemäß Art.3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit dem FA übertragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63277

BFH/NV 1990, 83

BStBl II 1992, 508

BFHE 161, 509

BFHE 1991, 509

BB 1990, 2012

BB 1990, 2012-2013 (LT)

DB 1990, 2350-2351 (LT1)

DStR 1990, 634 (KT)

HFR 1990, 686 (LT)

StE 1990, 374 (K)

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