Entscheidungsstichwort (Thema)

Abschreibungen auf den übernommenen Auftragsbestand

 

Leitsatz (NV)

Rechte aus schwebenden Verträgen - dazu gehört der übernommene Auftragsbestand - sind selbständig bewertungsfähige immaterielle Wirtschaftsgüter. Sie sind nicht Bestandteil des Geschäftswerts. Von ihnen können AfA vorgenommen werden.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde durch Vertrag vom 1. Januar 1974 gegründet. Persönlich haftende Gesellschafter waren in den Streitjahren die Beigeladenen zu 1 und 2, der Beigeladene zu 3 bis zu seinem Ausscheiden am 1. Juli 1974. Kommanditistin war die L GmbH & Co. KG (KG).

Bei ihrer Gründung erwarb die Klägerin das Einzelunternehmen des Beigeladenen zu 3. Sie übernahm im wesentlichen die im Inventarverzeichnis zum 31. Dezember 1973 aufgeführten Wirtschaftsgüter des beweglichen Anlagevermögens und trat im übrigen in alle bestehenden Arbeits- und Versorgungsverträge sowie in den Gruppenversicherungsvertrag ein, den der Beigeladene zu 3 zugunsten der Betriebsangehörigen abgeschlossen hatte. In § 4 Nr. 3 des Kaufvertrages wurde u. a. folgendes vereinbart:

,,Die Vertragschließende zu 2) tritt ferner in sämtliche Liefer- und Verkaufsverträge sowie Angebote ein, wie sie am Übergabestichtag bestanden. Der Vertragschließende zu 1) versichert, daß der Auftragsbestand laut Auftragseingangsstatistik ca. 1,3 Mio DM ausmacht . . ."

Ein besonderes Entgelt wurde für den Auftragsbestand nicht ausgewiesen.

Der Kaufpreis betrug pauschal 2,5 Mio DM. Darüber hinaus übernahm die Klägerin eine betriebliche Darlehensverbindlichkeit in Höhe von 125 910 DM. Das dem Betrieb dienende Grundstück erwarb die KG für 550 000 DM.

Die Klägerin vertrat die Auffassung, sie habe den Auftragsbestand als gesondertes Wirtschaftsgut entgeltlich erworben. Bei der Bewertung ging sie von einem tatsächlichen Auftragsbestand von 1 596 748 DM und von einer Gewinnerwartung aus, die den in den vergangenen Jahren durchschnittlich erzielten Gewinnen entsprach. In der Eröffnungsbilanz setzte sie deshalb die ,,erworbenen Rechte aus Auftragsbestand" mit 527 436 DM an. Davon schrieb sie - entsprechend den Auftragserledigungen - in den Streitjahren 1974 467 964 DM und 1975 59 472 DM ab.

Im Anschluß an eine Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die Auffassung, der Betrag von 527 436 DM und ein weiterer inzwischen nicht mehr streitiger Betrag in Höhe von 151 410,18 DM seien dem Geschäftswert zuzuschlagen. Er erhöhte den von der Klägerin angesetzten Geschäftswert in Höhe von 1 124 463 DM auf 1 803 309,18 DM.

Dagegen wandte sich die Klägerin nach vergeblichem Einspruch mit der Klage. Neben der Rückgängigmachung der genannten Gewinnerhöhungen begehrte sie hilfsweise eine Teilwertabschreibung auf den Geschäftswert von 1 803 309,18 DM in Höhe von 678 846,18 DM.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage zum Teil statt. Zur Begründung führte es an:

Die Vorteile aus dem Gruppenversicherungsvertrag habe die Klägerin zu Recht aktiviert und zutreffend zum Teil abgeschrieben.

Die Vorteile aus dem Auftragsbestand seien jedoch unselbständige Bestandteile des allgemeinen Geschäftswerts.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen (§ 76 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und materiellen Rechts (§ 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -).

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und der Einspruchsentscheidungen vom 10. März 1981 und unter Änderung der Gewinnfeststellungsbescheide für 1974 und 1975 vom 30. Oktober 1980 den Gewinn für 1974 auf ./. 249 209,03 DM und für 1975 auf 70 900,34 DM festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im wesentlichen begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und der Einspruchsentscheidungen vom 10. März 1981 und zur Stattgabe der Klage.

I. FA und FG sind zu Unrecht davon ausgegangen, daß der übernommene Auftragsbestand unselbständiger Bestandteil des Geschäftswerts war, von dem Absetzungen für Abnutzungen - AfA - (§ 7 EStG i. d. F. der Streitjahre) nicht vorgenommen werden durften (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG).

Die Rechte aus schwebenden Verträgen - und um solche handelt es sich bei dem übernommenen Auftragsbestand -, die die Klägerin vom Beigeladenen zu 3 erworben hat, sind selbständig bewertungsfähige immaterielle Wirtschaftsgüter. Sie sind nicht Bestandteil des Geschäftswerts. Von ihnen können AfA vorgenommen werden. Davon ist der Bundesfinanzhof (BFH) im Anschluß an den Reichsfinanzhof - RFH - (vgl. Urteil vom 12. Februar 1941 VI 303/40, RStBl 1941, 499, bezüglich Belieferungsrechte) in ständiger Rechtsprechung ausgegangen (Urteile vom 9. Juli 1958 I 207/57 U, BFHE 67, 370, BStBl III 1958, 416; vom 20. November 1962 I 266/61 U, BFHE 76, 164, BStBl III 1963, 59; vom 5. August 1970 I R 180/66, BFHE 100, 89, BStBl II 1970, 804; vom 18. Februar 1976 I R 60/74, nicht veröffentlicht - NV -; vgl. ferner Urteil vom 17. März 1977 IV R 218/72, BFHE 122, 70, BStBl II 1977, 595, zu II., unter Aufgabe früherer Rechtsprechung; offen Urteil vom 7. November 1985 IV R 7/83, BFHE 145, 194, BStBl II 1986, 176). Die steuerrechtliche Literatur ist ihm ganz überwiegend gefolgt (Herrmann / Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 6 EStG Rdnr. 854 ,,schwebende Geschäfte"; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 7. Aufl., § 5 Anm. 23 a; Brezing in Handbuch des Jahresabschlusses, Abteilung I 4 Rdnr. 29; Mathiak, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1986, 287, 289; Stöcker, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1983, 465; Liepelt, DStZ 1985, 424; anderer Ansicht Söffing in Lademann / Söffing / Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 6 Rdnr. 243 ,,Auftragsbestand"; Sauer, Die steuerliche Betriebsprüfung - StBp - 1970, 265 zu dem Urteil des FG Nürnberg vom 11. Juli 1969 III 150/66).

Auch der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an, läßt aber offen, ob sie auch auf die Rechtslage nach Änderung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 und Einfügung des § 7 Abs. 1 Satz 3 durch das EStG 1986 noch Anwendung findet (vgl. dazu Meincke in Littmann / Bitz / Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 6 Rdnr. 407; Mathiak, StuW 1986, 287).

Unerheblich ist, ob das Wirtschaftsgut in der Bilanz des Veräußerers aktiviert oder ob in dem Kaufvertrag ein besonderer Betrag dafür ausgewiesen war (BFH-Urteil I R 60/74).

Offenbleiben kann auch, ob Voraussetzung der Aktivierung ist, daß die Parteien dem Auftragsbestand eine besondere wirtschaftliche Bedeutung beigemessen haben. Nach den Feststellungen des FG war das der Fall. Der Auftragsbestand ist nicht nur ausdrücklich als Gegenstand des Leistungsaustauschs erwähnt, er ist auch beziffert. Ob das hinsichtlich anderer Wirtschaftsgüter auch zutrifft, ist entgegen der Auffassung des FG nicht erheblich.

Dieses Ergebnis folgt auch aus der Inhaltsbestimmung des Geschäftswerts durch die Rechtsprechung des BFH. Danach ist Geschäftswert der Mehrwert, der einem gewerblichen Unternehmen über den Wert der einzelnen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens hinaus innewohnt (Urteil vom 7. November 1985 IV R 7 /83, BFHE 145, 194, BStBl II 1986, 176, m. w. N.; vgl. auch § 255 Abs. 4 des Handelsgesetzbuches - HGB -). Geht man mit der Rechtsprechung des BFH davon aus, daß die ,,Gewinnaussichten aus schwebenden Geschäften" ein immaterielles Wirtschaftsgut sind (s. oben), bleibt kein Raum für ihre Berücksichtigung im Rahmen des Geschäftswerts.

Das FG hat festgestellt, daß der Auftragsbestand laut Kaufvertrag ca. 1,3 Mio DM und nach der Berechnung der Klägerin 1 569 748 DM ausmachte; es ist in Übereinstimmung mit der Klägerin von einem Wert des Auftragsbestands in Höhe von 527 436 DM ausgegangen. Dagegen hat das FA keine Einwände erhoben. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, daß der aktivierte Betrag rechtsfehlerhaft ermittelt worden ist. Gleiches gilt für die in den Streitjahren vorgenommenen AfA auf den Auftragsbestand.

II. Die Revision bleibt erfolglos, soweit die Klägerin mit ihrem Hauptantrag in der Revision die Feststellung eines Verlustes für 1974 in Höhe von ./. 249 209,03 DM statt - wie im finanzgerichtlichen Verfahren - ./. 245 409,03 DM und eines Gewinns für 1975 in Höhe von 70 900,34 DM statt 85 600,34 DM begehrt. Hinsichtlich der Differenzen liegt eine jedenfalls in der Revision nicht mehr zulässige Erweiterung des Klageantrags vor (BFH-Urteil vom 8. Februar 1979 V R 114/74, BFHE 127, 254, zu IV., BStBl II 1979, 358).

 

Fundstellen

Haufe-Index 62512

BFH/NV 1989, 778

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