
Während das EU-Parlament den von der EU-Kommission vorgelegten Richtlinienentwurf zur Ausweitung der Sorgfaltspflichten im Rahmen der Lieferkette deutlich verschärfen will, plädiert der Europäische Rat für eine etwas mildere Anwendung. Es bleibt die Einigung in den Trilog-Gesprächen abzuwarten.
Der Richtlinienentwurf zur Ausweitung der Sorgfaltspflichten im Rahmen der Lieferkette (Corporate Sustainability Due Diligence Directive [CSDDD], sog. EU-Lieferkettenrichtlinie) wurde von der EU-Kommission am 23.2.2022 vorgelegt. Die Ziele ähneln denen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). Das LkSG gilt bereits seit dem 1.1.2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmern in Deutschland. Ab dem Jahr 2024 wird der Schwellenwert auf 1.000 Arbeitnehmer reduziert. Die CSDDD wird der europäische Rahmen des deutschen LkSG werden, wobei nach der Verabschiedung eine Umsetzung unternehmensgrößengestaffelt ab frühestens 2026 geplant ist.
Die Ziele der EU-Lieferkettenrichtlinie: Anforderungen weitgehender als beim LkSG
Ziele des Richtlinienvorschlags sind ähnlich denen des LkSG, im Ergebnis aber weitgehender, insbesondere:
- Verbesserung der Corporate-Governance-Praktiken zur besseren Integration des Risikomanagements und von Minderungsprozessen von Menschenrechts- und Umweltrisiken und -auswirkungen, einschließlich derjenigen, die aus Wertschöpfungsketten stammen, in Unternehmensstrategien.
- Eine Vermeidung der Fragmentierung der Sorgfaltspflichten im Binnenmarkt und der Schaffung von Rechtssicherheit für Unternehmen und Interessengruppen bzgl. Verhalten und Haftung.
- Die Rechenschaftspflicht der Unternehmen für nachteilige Auswirkungen zu erhöhen und Kohärenz zu gewährleisten bzgl. Verpflichtungen aus bestehenden und geplanten EU-Initiativen zur Offenlegung des verantwortungsvollen Geschäftsgebarens von Unternehmen.
- Verbesserung des Zugangs zu Rechtsbehelfen für diejenigen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, und unter den Umweltauswirkungen des Unternehmensverhaltens leiden.
- Als horizontales Instrument, das sich sowohl auf Geschäftsprozesse als auch auf die gesamte Wertschöpfungskette bezieht, soll diese Richtlinie andere geltende Maßnahmen ergänzen, die spezifische Nachhaltigkeitsherausforderungen direkt adressieren.
Die Richtlinie über die Sorgfaltspflichten enthält Vorschriften über die Pflichten großer Unternehmen in Bezug auf tatsächliche und potenzielle nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt in Bezug auf ihre eigenen Tätigkeiten und derjenigen ihrer Tochterunternehmen sowie der von ihren Geschäftspartnern durchgeführten Tätigkeiten. Sie enthält anders als im LkSG geregelt auch Vorschriften über Sanktionen und insbesondere die deutlich ausgeweitete zivilrechtliche Haftung bei Verstößen gegen diese Verpflichtungen.
EU-Lieferkettenrichtlinie: Umfassendere Due-Diligence-Prüfung vorgesehen
Entsprechend des Richtlinienentwurfs müssen Unternehmen eine "due diligence" durchführen. Dies meint im deutschen Rechtsverständnis bisher eine sorgfältige Prüfung und Analyse eines Unternehmens, insbesondere im Hinblick auf seine wirtschaftlichen, rechtlichen, steuerlichen und finanziellen Verhältnisse. Diese Sorgfaltspflichten sollen nun aber umfassender verstanden werden als die
- Identifizierung,
- Beendigung,
- Vorbeugung,
- Verringerung,
- Überwachung und
- Berichterstattung
in Bezug auf negative Auswirkungen für Menschenrechte und Umweltbelange sowie die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens. Diese Betrachtung umfasst neben der Geschäftstätigkeit des Unternehmens und der einbezogenen Tochterunternehmen auch die Wertschöpfungskette.
Zusätzlich sollen bestimmte Unternehmen nachweisen, dass deren Unternehmensstrategie im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015 steht. Der Richtlinienentwurf sieht die verpflichtende Einführung und Überwachung dieser due diligence-Prozesse sowie deren Integration in die Unternehmensstrategie vor. Die Unternehmensführung muss zudem sicherstellen, dass Menschenrechte und Umweltbelange in Unternehmensentscheidungen berücksichtigt werden; es kommt somit zu Eingriffen in die Vorstands- und Aufsichtsratstätigkeit sowie auch in die Vergütungssysteme, bei denen künftig eine "Klimavergütung" integraler Bestandteil von Anreizsystemen sein soll, allerdings nur bei Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten.
Die Richtlinie wird die EU beim Übergang zu einer klimaneutraleren und umweltfreundlicheren Wirtschaft unterstützen, wie im europäischen Grünen Deal und den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung beschrieben.
EU-Parlament: Enorme Ausweitung der verpflichteten Unternehmen
Die Sorgfaltspflichten gelten nach dem Richtlinienentwurf der Kommission für große EU-Unternehmen und für in der EU tätige Nicht-EU-Unternehmen.
Für EU-Unternehmen beruhen die Kriterien, anhand deren bestimmt wird, ob ein Unternehmen in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt, auf der Zahl der Beschäftigten und dem weltweiten Nettoumsatz des Unternehmens, während sich das Kriterium bei Unternehmen aus Drittländern auf den in der EU erwirtschafteten Nettoumsatz bezieht.
Nicht-EU-Unternehmen, die das Kriterium des in der Union erzielten Nettoumsatzes erfüllen, werden in den Geltungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie über die Sorgfaltspflichten fallen, und zwar unabhängig davon, ob sie eine Zweigstelle oder ein Tochterunternehmen in der Union haben.
Der Richtlinienentwurf sollte nach dem Vorschlag der Kommission von großen, haftungsbeschränkten EU-Unternehmen anzuwenden sein. Das EU-Parlament hat hier aber mit knapper Mehrheit in einem am 1.6.2023 beschlossenen Änderungsvorschlag eine deutlich verschärfte Fassung für die weiteren Verhandlungen vorgelegt.
CSDDD: Welche Unternehmen von der geplanten EU-Lieferkettenrichtlinie betroffen sein werden
Folgende Unternehmen sollen künftig die Richtlinie anwenden:
- EU-Unternehmen mit mehr als 250 (bisher von der Kommission vorgeschlagen 500) Mitarbeitern und einem Umsatz von mindestens 40 Mio. EUR (bisher 150 Mio. EUR) [Gruppe 1].
- EU-Unternehmen aus den sog. "high-impact" sectors mit mehr als 50 Mitarbeitern (bisher 250 Mitarbeitern) und einem Umsatz von mindestens 8 Mio. EUR (bisher 40 Mio. EUR), wobei mind. 50 % des Umsatzes aus bestimmen Branchen stammen muss [Gruppe 2]. Diese Branchen sind im Richtlinienentwurf definiert und umfassen u. a. die Textilbranche, Landwirtschaftsunternehmen oder Unternehmen, die Bodenschätze abbauen.
- Zusätzlich fallen bestimmte Unternehmen aus Drittstaaten in den Anwendungsbereich.
Der 187-seitige Textfassung mit den beschlossenen Änderungsvorschlägen des EU-Parlaments ist hier abrufbar.
EU-Parlament für die enorme Ausweitung der verpflichteten Unternehmen
Die Begründung des EU-Parlaments für die Ausweitung der verpflichteten Unternehmen ist in Abs. 4 Erwägungsgrund 4 zusammengefasst:
Das Verhalten von Unternehmen in allen Wirtschaftszweigen ist nach Auffassung der EU der Schlüssel zum Erfolg bei den Nachhaltigkeitszielen der Union, da viele Unternehmen in der EU auf globale Wertschöpfungsketten angewiesen sind. Es liegt auch im Interesse der Unternehmen, die Menschenrechte und die Umwelt zu schützen, insbesondere angesichts der wachsenden Besorgnis von Verbrauchern und Investoren über diese Themen. Auf Unions- und nationaler Ebene gibt es bereits mehrere Initiativen zur Förderung von Unternehmen, die eine werteorientierte Transformation unterstützen, einschließlich verbindlicher Rechtsvorschriften in mehreren Mitgliedstaaten wie Frankreich und Deutschland, was die Notwendigkeit gleicher Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen mit sich bringt, um dies zu erreichen, um eine Fragmentierung zu vermeiden und Rechtssicherheit für die im Binnenmarkt tätigen Unternehmen zu schaffen. Darüber hinaus ist es angesichts der Bedeutung von Unternehmen als Stütze beim Aufbau einer nachhaltigen Gesellschaft und Wirtschaft von entscheidender Bedeutung, einen europäischen Rahmen für einen verantwortungsvollen und nachhaltigen Ansatz für globale Wertschöpfungsketten zu schaffen
Europäischer Rat: Etwas mildere Anwendung der Sorgfaltspflichten
Der Europäische Rat hat entgegen der Position des EU-Parlaments in seiner Verhandlungsposition ("allgemeine Ausrichtung") die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit deutlich milder festgelegt. Dennoch wird es bei deutlichen Verschärfungen im Vergleich zum aktuellen LkSG für die Unternehmen kommen, denn die Richtlinie wird sowohl die Gruppe der betroffenen Unternehmen als auch den Gegenstand deutlich ausweiten. In § 2 LkSG wird insbesondere auf bestimmte Menschenrechte sowie nur wenige Umweltaspekte (insb. Müllexport und Umgang mit gefährlichen Stoffen) abgestellt, wohingegen die Richtlinie deutlich weiter den Schutz der Umwelt und der Menschenrechte insgesamt betrachtet.
Anwendung der CSDDD wird schrittweise verbindlich sein
Neu wurde mit dem Text des Europäischen Rates ein schrittweiser Ansatz in Bezug auf die Anwendung der in der Richtlinie festgelegten Vorschriften eingeführt. Die Vorschriften würden zunächst 3 Jahre nach dem Inkrafttreten der Richtlinie für sehr große Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von 300 Mio. EUR oder für Nicht-EU-Unternehmen mit einem in der EU erzielten Nettoumsatz von 300 Mio. EUR gelten.
Nach dem vom EU-Parlament verabschiedeten Text sollen die Bestimmungen der Richtlinie für die "Aktivitätskette" eines Unternehmens gelten, wobei die vorgelagerten und – jetzt nur noch in begrenztem Umfang, da die Phase der Nutzung der Produkte des Unternehmens oder der Erbringung von Dienstleistungen ausgenommen ist – auch die nachgelagerten Geschäftspartner umfasst werden. Damit werden auch der risikobasierte Ansatz und die Vorschriften für die Priorisierung der nachteiligen Auswirkungen gestärkt, um sicherzustellen, dass die Erfüllung der Sorgfaltspflichten für die Unternehmen auch möglich ist.
Zudem wurde mehr Klarheit in Bezug auf die Voraussetzungen für die zivilrechtliche Haftung geschaffen, wobei es weiter um den vollen Ersatz von Schäden geht, die sich aus der Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten durch ein Unternehmen ergeben.
Die 129-seitige Textfassung des überarbeiteten Richtlinientextes des Europäischen Rates ist hier abrufbar.
Trilog-Gespräche bleiben abzuwarten, aber deutliches Signal an Unternehmen
Mit diesen Verhandlungspositionen des Europäischen Rates und des EU-Parlaments werden nun die Trilog-Gespräche mit der Kommission stattfinden – es bleibt abzuwarten, ob tatsächlich bis herunter zu den mittelgroßen Unternehmen der hohe bürokratische Aufwand als gerechtfertigt eingeschätzt wird oder ob das EU-Parlament seinen Änderungsvorschlag wieder zurückziehen muss. Die Position des Parlaments machte nochmals deutlich, welch scharfer Wind den Unternehmen in diesem Kontext entgegenbläst und wie entschlossen hier die Politik offenbar agieren will.
In eigener Sache: Wie treibe ich Nachhaltigkeit im Unternehmen voran?
In der News-Reihe "Aktuelles zur Nachhaltigkeitsberichterstattung" fasst Herr Prof. Dr. Müller monatlich die neuesten und relevantesten Entwicklungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung prägnant für Sie zusammen.