Leitsatz

1. Erfüllen Ehegatten die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung (§ 26 Abs. 1 EStG), können sie nach der im Jahr 2008 geltenden Rechtslage zwischen getrennter Veranlagung (§ 26a EStG), Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) sowie der be­sonderen Veranlagung im Jahr der Eheschließung (§ 26c EStG) wählen und die einmal getroffene Wahl bis zur Unanfechtbarkeit eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheides frei widerrufen. Dieses Wahlrecht besteht auch dann, wenn einer der Ehegatten zuvor einzeln veranlagt wurde.

2. Eine Zusammenveranlagung setzt in einem solchen Fall voraus, dass der Bescheid des anderen Ehegatten geändert werden kann. Falls dieser bestandskräftig ist, kommt als Rechtsgrundlage § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auch dann in Betracht, wenn der andere Ehegatte besonders veranlagt wurde.

 

Normenkette

§ 26 EStG, § 26a, § 26c EStG a.F., § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger erklärte in seiner 2010 beim FA eingegangenen Einkommensteuererklärung für 2008, seit dem "20.8.2009" verheiratet zu sein, obwohl er bereits seit dem 20.9.2008 verheiratet war (Zahlendreher). Weitere Angaben zur Ehefrau und zur Veranlagungsart enthielt die Erklärung nicht.

Das FA setzte die Einkommensteuer gegenüber dem Kläger auf 0 EUR fest. Die Einkommensteuer wurde später erhöht und durch Bescheid vom 2.1.2012 wieder auf 0 EUR gemindert.

Am 6.1.2012 beantragten der Kläger und seine Ehefrau für 2008 die Zusammenveranlagung. Dem ­Antrag war eine gemeinsame Einkommensteu­ererklärung beigefügt. Beigefügt war ferner der Einkommensteuerbescheid der Ehefrau für 2008 vom 13.4.2010. Für sie war eine besondere Veranlagung für den VZ der Eheschließung durchgeführt und die Einkommensteuer auf 13.017 EUR festgesetzt worden. Das FA lehnte den Antrag auf Zusammenveranlagung dem Kläger gegenüber ab.

Das FG wies die Klage ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.5.2016, 4 K 4262/14, Haufe-Index 11364964). Es entschied, der Kläger habe keines der Wahlrechte zur Ehegattenveranlagung ausgeübt, d.h. zur Zusammenveranlagung, zur getrennten Veranlagung oder zur besonderen Veran­lagung. Die erstmalige Ausübung des Wahlrechts könne nicht nachträglich durch einen Antrag auf gemeinsame Veranlagung nachgeholt werden. Das Veranlagungswahlrecht könne zwar geändert werden, wenn ein Änderungsbescheid ergehe. Der Kläger wolle aber nicht das Wahlrecht anders ausüben, etwa von der vormals getrennten zur Zusammenveranlagung, sondern begehre den Wechsel von der Einzelveranlagung zur Zusammenveranlagung. Eine Änderung der Wahlrechtsausübung könne aber nur dann als rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO angesehen werden, wenn innerhalb der Ehegattenveranlagungsarten gewechselt werde.

 

Entscheidung

Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies zurück, weil die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung noch nicht festgestellt waren.

 

Hinweis

Das Urteil erläutert den vom FA und FG miss­verstandenen Mechanismus der Änderung einer Ehegattenveranlagung aufgrund veränderter Wahlrechtsausübung nach der 2008 geltenden Rechtslage:

1. Erfüllen Ehegatten die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung – gültige Ehe, unbeschränkte Steuerpflicht, kein dauerndes Getrenntleben (§ 26 Abs. 1 EStG) –, können sie zwischen getrennter Veranlagung (§ 26a EStG a.F., jetzt: Einzelveranlagung von Ehegatten) und Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) sowie im Jahr der Eheschließung zusätzlich der besonderen Veranlagung nach § 26c EStG a.F. wählen.

2. Die getroffene Wahl kann bis zur Unanfechtbarkeit des ursprünglichen oder eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheids – vorbehaltlich rechtsmissbräuchlichen oder willkürlichen Verhaltens – widerrufen werden. Da das Wahlrecht bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung ausgeübt werden kann, wird es durch einen Berichtigungs- oder Änderungsbescheid bis zu dessen Unanfechtbarkeit neu eröffnet.

3. Ein Steuerpflichtiger, der als Ehegatte getrennt, zusammen oder nach § 26c EStG a.F. besonders zu veranlagen ist, stattdessen aber rechtswidrig einzeln veranlagt wird, kann innerhalb der Einspruchsfrist entweder Einspruch einlegen oder die Durchführung eines anderen, wesensverschiedenen Veranlagungsverfahrens beantragen, also z.B. die Zusammenveranlagung mit seinem Ehegatten anstelle der erfolgten Einzelveranlagung.

Dies gilt auch, wenn er bereits zuvor rechtswidrig, aber bestandskräftig einzeln veranlagt wurde und sodann ein Änderungsbescheid ergeht, in dem er wiederum einzeln veranlagt wird. Dem steht § 351 Abs. 1 AO nicht entgegen, denn diese Vorschrift begrenzt lediglich den Umfang der Anfechtung eines Steuerbescheids. Das Begehren auf Änderung der Veranlagungsart ist aber nicht als Anfechtung zu verstehen, sondern als ein auf Durchführung einer erneuten Veranlagung gerichtetes Verpflichtungsbegehren.

4. Zur (geänderten oder erstmaligen) Ausübung des Veranlagungswahlrechts während der Einspruchsfrist eines Bescheids bedarf es keines rückwirkenden Ereignisses; sie wird durch eine vorangegangene Einzelveranlagung nicht ausgeschlossen.

5. Eine Zusamm...

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