Leitsatz

Leistungen der sog. 24‐Stunden‐Pflege von privatrechtlichen Einrichtungen zur ambulanten Pflege waren in den Jahren 2005 und 2006 nur dann umsatzsteuerfrei, wenn im Vorjahr oder im jeweiligen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 % der Pflegefälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind. Diese Einschränkung ist weder unionsrechtswidrig noch verfassungswidrig.

 

Normenkette

§ 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F., Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g 6. EG-RL (= 388/77 EWGRL)

 

Sachverhalt

Der Kläger, ein Krankenpfleger, betrieb seit 1995 als Einzelunternehmer einen ambulanten Pflegedienst in X. Seine Leistungen beruhten auf Verträgen mit Krankenkassen, Pflegekassen und Sozialämtern, wobei er sich der klassischen Krankenpflege widmete. Seit Ende der 1990er Jahre kam schwerpunktmäßig die sog. 24-Stunden-Pflege hinzu.

Im Jahr 2003 gründete der Kläger eine GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer er war. Sodann übernahm die GmbH den Geschäftsbereich der sog. 24-Stunden-Pflege.

Die GmbH erbrachte ihre Leistungen auf der Grundla­ge von Versorgungsverträgen gemäß § 72 SGB XI. Für die 24-Stunden-Pflege stellte die GmbH den gepflegten Personen monatlich jeweils 2.750 EUR in Rechnung.

In den Jahren 2004 bis 2006 wurde unstreitig die für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. erforderliche 40 %-Grenze von der GmbH nicht erreicht.

Mit Wirkung ab dem 1.2.2006 "verpachtete" die GmbH an Frau W den aus einer Patientenliste ersichtlichen Patientenstamm. Der "Pachtzins" betrug monatlich inklusive "Mehrwertsteuer" 12.000 EUR; eine Rückübertragung von Verträgen zwischen Patienten und W an die GmbH war ausgeschlossen.

Die Mitarbeiterinnen, die die vom Pachtvertrag betroffenen Patienten pflegten, waren weiter bei der GmbH angestellt, wurden jedoch an W ausgeliehen.

Im November 2006 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt E zum Insolvenzverwalter bestellt. Bereits im September 2006 war Rechtsanwalt E zum vorläufigen Insolvenzverwalter der GmbH bestellt worden; Verfügungen der Schuldnerin waren nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO). Schuldnern der GmbH wurde verboten, an die GmbH zu zahlen. Der vorläufige Insolvenzverwalter wurde ermächtigt, Forderungen der GmbH einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen.

Das FA sah den Kläger als Organträger der GmbH an. Die Umsätze der GmbH seien nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. steuerfrei, da die nach dieser Vorschrift erforderliche 40 %-Grenze für das jeweilige Vorjahr nicht erreicht worden sei. Die "Verpachtung" des Patientenstamms und die Arbeitnehmerüberlassung seien ebenfalls umsatzsteuerpflichtig.

Das FG (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.4.2014, 6 K 1796/13, Haufe-Index 6791417, EFG 2014, 1336) gab der Klage überwiegend statt. Es führte aus, zwar seien die Umsätze der GmbH für den Zeitraum bis einschließlich August 2006 aufgrund einer bestehenden Organschaft beim Kläger als Organträger zu erfassen. Die Umsätze aus den Pflegeverträgen seien jedoch steuerfrei. Die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. erfülle der Kläger zwar (unstreitig) nicht. Er könne sich aber für die Steuerfreiheit der Umsätze unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 388/77 EWGRL berufen. Die Personalüberlassung an W sei ebenfalls gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 388/77 EWGRL steuerfrei. Die Umsätze aus dem "Pachtvertrag" hingegen seien steuerbar und steuerpflichtig. Der Pachtvertrag stelle keine Geschäftsveräußerung i.S.v. § 1 Abs. 1a UStG dar.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und wies die Klage überwiegend ab.

Zwar habe die Organschaft mit Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens geendet (vgl. dazu auch BFH, Urteil vom 8.8.2013, V R 18/13, BFH/NV 2013, 1747, BFH/PR 2013, 415, BStBl II 2017, 543; BMF-Schreiben vom 26.5.2017, BStBl I 2017, 790).

Die Umsätze aus der 24-Stunden-Pflege seien aber aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen steuerpflichtig.

Auch seien die Umsätze aus der Personalgestellung steuerpflichtig (vgl. EuGH, Urteil vom 12.3.2015, C-594/13, "go fair" Zeitarbeit, EU:C:2015:164, BFH/NV 2015, 782; BFH, Beschluss vom 21.8.2013, V R 20/12, BFH/NV 2014, 126, BFH/PR 2014, 61).

Die "Verpachtung" von Teilen des Patientenstamms sei keine Geschäftsveräußerung (vgl. BFH, Urteil vom 21.5.2014, V R 20/13, BFH/NV 2014, 1680, BFH/PR 2014, 432, BStBl II 2014, 1029; BFH, Beschluss vom 11.11.2009, V B 46/09, BFH/NV 2010, 479, ZSteu 2010, R-165).

 

Hinweis

1. Nach § 4 Nr. 16 UStG a.F. waren bis 31.12.2007 von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ga...

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