Leitsatz

Der Anspruch auf Kindergeld einer im Inland wohnhaften Beamtin der Bundesrepublik Deutschland für ihr im Inland lebendes, minderjähriges Kind ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie mit dem bei der Europäischen Kommission beschäftigten Kindesvater, der für das betreffende Kind Anspruch auf eine Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder hat, nicht verheiratet ist.

 

Normenkette

§ 62 Abs. 1 Nr. 1, § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 65 Abs. 1 Satz 3 EStG, Art. 67, Anhang 7 Art. 2 EU-Beamtenstatut

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine Beamtin, beantragte für ihre Tochter T Kindergeld ab Dezember 2012. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab, weil der Kindesvater, mit dem die Klägerin nicht verheiratet ist, seit Juli 2012 bei der Europäischen Kommission beschäftigt sei und dort für T eine Kinderzulage erhalte. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG Köln (Urteil vom 21.5.2015, 11 K 3038/13, Haufe-Index 8633265, EFG 2015, 1726) gab der Klage statt. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 EStG widersprächen Art. 67 Abs. 2 EU-Beamtenstatut.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision der Familienkasse als unbegründet zurück.

 

Hinweis

Beim Kindergeld wird grundsätzlich nicht darauf abgestellt, ob die Eltern eines Kindes miteinander verheiratet (bzw. "verpartnert") sind oder nicht. Dies muss auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass Art. 6 Abs. 1 GG die Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt und "unehelichen" Kindern nach Art. 6 Abs. 5 GG durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre ­Stellung in der Gesellschaft zu schaffen sind wie den ehelichen Kindern. Das Kindergeld soll, wie § 74 EStG zeigt, letztlich dem Kind zugutekommen.

Eine Ausnahme hiervon scheint § 65 Abs. 1 Satz 3 EStG zu sein: Zwar ist der Anspruch auf Kindergeld nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG an sich ausgeschlossen, wenn für das Kind daneben Leistungen von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung gewährt werden, die dem Kindergeld vergleichbar sind. Steht der Kindergeldberechtigte jedoch in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit (§ 24 SGB III) oder ist er versicherungsfrei nach § 28 Absatz 1 Nummer 1 SGB III oder steht er im Inland in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis, so wird sein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind nicht nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG mit Rücksicht darauf ausgeschlossen, dass sein Ehegatte als Beamter, Ruhestandsbeamter oder sonstiger Bediensteter der Europäischen Union für das Kind Anspruch auf Kinderzulage hat. Die Rückausnahme verlangt also nach ihrem Wortlaut an sich, dass die Eltern miteinander verheiratet sind.

Der deutsche Gesetzgeber hat diese Rückausnahme für unselbstständig tätige Ehegatten jedoch geschaffen, um dem EuGH-Urteil vom 7.5.1987, C–189/85 (Slg 1987, I-2075, EU:C:1987:209) Kom­mission/Deutschland, Rechnung zu tragen (BT-Drucks. 11/4508, S. 6), das heißt in nationales Recht umzusetzen. Sie ist daher unionsrechtskonform (und unter Beachtung der Rechtsgrundsätze des EuGH) auszulegen.

Nach der Rechtsprechung des EuGH wird u.a. die Kinderzulage nach Art. 67 Abs. 2 EU-Beamtenstatut nur insoweit gezahlt, als sie "vergleichbare" nationale Zulagen der Mitgliedstaaten übersteigt; sie ist also gegenüber nationalen Ansprüchen nachrangig.

Deshalb darf einem Kindergeldberechtigten die Zahlung von Kindergeld nicht verweigert werden, wenn dieser eine unselbstständige Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat ausübt und sein Ehegatte einen Anspruch auf Kinderzulage nach Art. 67 Abs. 1 Buchst. b EU-Beamtenstatut hat. Dies hat der deutsche Gesetzgeber punktgenau im Sinne einer "Minimallösung" umgesetzt.

Art. 67 Abs. 2 EU-Beamtenstatut ist jedoch hinsichtlich nicht verheirateter Elternteile in gleicher Weise anzuwenden, d.h. unionsrechtlich wird die Kinderzulage des EU-Beamten auch dann gekürzt, wenn er mit dem anderen Elternteil nicht verheiratet ist. Deshalb ist es unionsrechtlich geboten, auch in einem solchen Fall § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht zur Anwendung zu bringen.

Insoweit ist die Gesetzeslage nicht anders als vor Einführung des § 65 Abs. 1 Satz 3 EStG: Der Anwendungsbereich des Ausschlusses wird zur Erreichung eines unionsrechtskonformen Ergebnisses reduziert (vgl. dazu auch in Bezug auf § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStGBFH, Urteil vom 16.5.2013, III R 18/11, BFH/NV 2013, 1698, BFH/PR 2013, 406, BStBl II 2013, 1040, Rz. 29).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 13.7.2016 – XI R 16/15

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