Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung der AO und des EGAO v. 12.7.2022[1] hat der Gesetzgeber den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts v. 8.7.2021[2], bis Ende Juli 2022 für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 bei der Vollverzinsung nach § 233a AO eine rückwirkende Anpassung des Zinssatzes vorzunehmen, erfüllt. Abweichend von dem für alle anderen Zinsen i. S. d. § 233 AO (insbesondere Stundungs-, Hinterziehungs-, Aussetzungs- und Prozesszinsen) unverändert geltenden Zinssatz von 0,5 % pro vollen Monat[3], also 6 % pro Jahr, beträgt er für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 0,15 % pro Monat, d. h. 1,8 % pro Jahr.[4]

Der nur für die Vollverzinsung nach § 233a AO geltende neue Zinssatz von 0,15 % für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 ist weiterhin als starrer Zinssatz ausgestaltet. Dessen Angemessenheit ist allerdings unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB alle 2 Jahre mit Wirkung für nachfolgende Verzinsungszeiträume zu evaluieren, erstmals zum 1.1.2024.[5] Eine Änderung des Zinssatzes soll nach der Gesetzesbegründung möglichst erst dann erfolgen, wenn der zum 1. Januar des Jahres der Evaluation geltende Basiszinssatz um mehr als 1 Prozentpunkt von dem bei der letzten Festlegung oder Anpassung des Zinssatzes geltenden Basiszinssatz abweicht.

Zeitgleich zur Verkündung des Gesetzes am 21.7.2022 hat die Finanzverwaltung am 22.7.2022 – in Ergänzung des AEAO – ein umfangreiches Anwendungsschreiben herausgegeben.[6]

Die Absenkung des Zinssatzes gilt zum einen in allen Fällen, in denen Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 nach Verkündung des Gesetzes, also am 21.7.2022, erstmals festgesetzt werden.

Nach der Anwendungsregelung in Art. 97 § 15 Abs. 14 Satz 1 EGAO gilt sie zum anderen – vorbehaltlich der Vertrauensschutzregelung des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (s. u.) – aber auch rückwirkend in allen Verfahren, die am 21.7.2022 noch anhängig waren. Dies sind die Verfahren, in denen

  • aufgrund eines außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs noch keine Unanfechtbarkeit eingetreten war.
 
Hinweis

Herabsetzung von Nachzahlungszinsen nur noch in "offenen" Verfahren

Bereits seit dem 2.5.2019 waren Zinsen nach § 233a AO vorläufig festgesetzt worden.[7] "Durch das Raster" der Rückwirkung der Zinssatzsenkung konnten damit nur solche Zinsen fallen, die in der kurzen Zeit zwischen dem 1.1. und 2.5.2019 endgültig (also auch ohne Vorbehalt der Nachprüfung) und – mangels fristgemäßem Rechtsbehelf – unanfechtbar festgesetzt worden waren. Profitieren von der Zinssatzsenkung in Form der entsprechenden Herabsetzung von Nachzahlungszinsen konnte folglich nur derjenige, dessen Verfahren am 21.7.2022 noch offen war.

Die offenen Verfahren müssten inzwischen abgewickelt sein. Andernfalls ist dringend zu empfehlen, je nach Verfahrensstand auf deren Erledigung hinzuwirken und den entsprechenden Antrag zu stellen.

 
Wichtig

Vertrauensschutz in Form eines "Verschlechterungsverbots" sowohl bei Nachzahlungs- als auch Erstattungszinsen

Der allgemeinen Vertrauensschutzregelung des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO[8] kommt bei der Umsetzung der Zinssatzsenkung eine wichtige Bedeutung zu. Dies gilt allerdings nicht für die Nachholung einer ausgesetzten Zinsfestsetzung. Hierbei ist immer der neue Zinssatz von 0,15 % zugrunde zu legen, unabhängig davon, ob es sich um Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen handelt.

Vielmehr spielt die Regelung zum einen dann eine Rolle, wenn in Folge einer Korrektur des Steuerbescheids auch die bisherige Zinsfestsetzung nach § 233a Abs. 5 AO[9] zu ändern ist. So ist bei Anwendung des § 233a Abs. 5 Satz 3 2. Halbsatz AO für die Minderung von Nachzahlungszinsen der Zinssatz maßgeblich, der bei der ursprünglichen Festsetzung der Nachzahlungszinsen zugrunde gelegt wurde. § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist dabei mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Zinsen, die sich aufgrund der Neuberechnung bisher festgesetzter Zinsen nach den Sätzen 1 und 2 ergeben, die vor Anwendung der Neuberechnung festgesetzten Zinsen nicht übersteigen dürfen ("Verschlechterungsverbot").[10] Dies hat Bedeutung für alle Fälle, in denen für einen Zinsberechnungszeitraum ab 1.1.2019 Nachzahlungszinsen endgültig und unanfechtbar mit 6 % pro Jahr festgesetzt worden waren.

Zum anderen führt der Vertrauensschutz zu Gunsten des Steuerpflichtigen dazu, dass sich im Falle bisher festgesetzter reiner Erstattungszinsen von 6 % pro Jahr aufgrund der rückwirkenden Zinssatzsenkung keine Rückforderung durch das Finanzamt ergeben kann. Dabei ist unerheblich, ob die Erstattungszinsen endgültig und unanfechtbar festgesetzt worden waren oder nicht, ebenso w...

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