Leitsatz

Uneinbringlichkeit i. S. d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG kann vor Stellung des Insolvenzantrags nur gegeben sein, wenn der Steuerpflichtige zahlungsunfähig ist. Anzeichen für eine Zahlungseinstellung ist z. B. die Nichtzahlung von Löhnen und Sozialversicherungsbeiträgen (wenn diese für mehr als einen Monat nicht gezahlt wurden) sowie die Nichtzahlung von Versicherungsprämien, Betriebssteuern, Energiekosten, die häufige Hinnahme von Pfändungen oder Wechselprotesten sowie die Aufnahme von Sanierungsbemühungen. Auch das Überschreiten des Zahlungsziels um das zwei- bis dreifache der Zahlungsfrist, mindestens um mehr als 6 Monate, ist als Indiz für eine Uneinbringlichkeit anzusehen.

 

Sachverhalt

Zwischen der E. GmbH (Organgesellschaft) und der klagenden KG (Organträger) bestand unstreitig vom 1.5.2005 bis zum 30.9.2006 eine umsatzsteuerliche Organschaft. Die Organschaft entfiel ab dem 1.10.2006 wegen des Entfallens der personellen Verflechtung, nachdem die Geschäftsführer der KG und der E. GmbH nicht mehr identisch waren.

Am 15.9.2006 teilte die E. GmbH mit, dass die Löhne der sog. gewerblichen Arbeitnehmer nicht fristgerecht zum 15.9.2006 zahlbar seien. Diese sollten aus einem beantragten Kredit gezahlt werden. Am 20.9.2006 bat die E. GmbH die Krankenkassen ihrer Arbeitnehmer um "Stundung" der September- und Oktoberbeiträge bis zum 20.10.2006. Am 07.10.2006 wurde die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge bezahlt.

Am 16.10.2006 stellte die E. GmbH einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und ordnete das Amtsgericht die vorläufige Insolvenzverwaltung an. Daraufhin führte das Finanzamt für die von der Organgesellschaft (E.GmbH) auf den 30.11.2006 nicht bezahlten Eingangsrechnungen eine Vorsteuerberichtigung gemäß § 17 UStG i.H. von 81.085,89 EUR beim Organträger durch.

 

Entscheidung

Werden Verbindlichkeiten der Organgesellschaft erst nach Beendigung der Organschaft uneinbringlich, kann die Vorsteuerrückzahlung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht vom Organträger gefordert werden (BFH, Urteil v. 7.12.2006, V R 2/05).

Uneinbringlichkeit i. S. d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist gegeben, wenn objektiv damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann, so z. B. bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens (nicht schon bei Stellung des Insolvenzantrag) bzw. vorher bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalter (mit auferlegtem allgemeinen Verfügungsverbot bzw. wenn Verfügungen des Schuldners nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam sind). O.g. Uneinbringlichkeit tritt vor Stellung des Insolvenzantrags nur ein, wenn der Schuldner zahlungsunfähig ist, was sich nach außen in einer Zahlungseinstellung manifestiert. Unschädlich ist dabei eine in drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten. Dabei bleiben gestundete Verbindlichkeiten außer Betracht.

Indizien für eine Uneinbringlichkeit (Zahlungseinstellung) sind lt. FG Berlin-Brandenburg

  • das Überschreiten des Zahlungsziels um das 2- bis 3-fache der Zahlungsfrist, mindestens um mehr als 6 Monate,
  • die Nichtzahlung von Versicherungsprämien, Betriebssteuern, Energiekosten,
  • die häufige Hinnahme von Pfändungen oder Wechselprotesten,
  • die Aufnahme von Sanierungsbemühungen sowie
  • die Nichtzahlung von Löhnen und Sozialversicherungsbeiträgen, wenn diese für mehr als einen Monat nicht gezahlt wurden und nicht "gestundet" wurden.

Für den Streitfall war vor dem 30.9.2006 (Beendigung Organschaft) weder das Insolvenzverfahren eröffnet noch ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und nach Überzeugung des Finanzgerichts auch keine (allgemeine) Zahlungsunfähigkeit der E. GmbH gegeben. Hinsichtlich der nicht bzw. nicht vollständigen gezahlten im September 2006 fällig gewordenen Löhne und Sozialversicherungsbeiträge ging das Finanzgericht von Stundungen bzw. geduldete Überschreitungen des Zahlungsziels aus. Auch spreche die Bezahlung der Versicherungen und Energiekosten gegen eine Zahlungsunfähigkeit der E. GmbH zum 30.9.2006. Von den zum 30.9.2006 fälligen vorsteuerbelasteten Verbindlichkeiten der E. GmbH waren 11.964 EUR länger als 6 Monate fällig, was zu einer Vorsteuerberichtigung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG gegenüber dem Organträger von nur 1.914 EUR führt.

 

Hinweis

Nach Auffassung des FG Berlin-Brandenburg ist die Uneinbringlichkeit von Verbindlichkeiten auch aus der Perspektive des Leistenden und des für ihn zuständigen Finanzamts zu beurteilen (Urteil v. 2.4.2014, 7 K 7337/12). Insoweit ist beim BFH eine Revision anhängig (Az. XI R 21/14).

 

Link zur Entscheidung

FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.01.2015, 7 K 7250/13

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